Berlin. Die Union fordert von Scholz, früher Neuwahlen zu ermöglichen. In einem Gespräch mit Merz macht der Kanzler eine andere Ansage.
Am Tag nach dem großen Knall ist der Kampf um die Deutungshoheit voll entbrannt. Olaf Scholz bezeichnet Christian Lindner indirekt als Brandstifter. Der Noch-Kanzler will damit deutlich machen, wer aus seiner Sicht die alleinige Schuld am vorzeitigen Bruch der Ampel-Koalition trägt: der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister. Scholz bemüht sich zudem, die letzten Geschäfte seiner Regierung zu erledigen, bevor neu gewählt wird. Davon hängt ab, wie lange Scholz noch Kanzler ist.
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Obwohl seine Regierung am Vorabend zerbrach, spricht der SPD-Politiker am Donnerstagmorgen vor Betriebsräten der Telekom. Lindner habe die Milliardenkosten für die Unterstützung der Ukraine aus dem normalen Haushalt stemmen wollen, auf Kosten von Straßen, Schulen, Wirtschaft und Arbeitsplätzen, beschreibt Scholz den Konflikt, der die Ampel zum Erlöschen brachte. „Wenn man jetzt zu der Überzeugung kommt, das müssen wir einfach mal so nebenbei ausschwitzen, dann zündet man das Land an.“
Scholz begründet Lindners Rauswurf: „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“
Scholz hatte Lindner bereits am Vorabend scharf attackiert, als er gegen 21.15 Uhr im Kanzleramt für eine kurzfristig angekündigte Erklärung ans Rednerpult trat. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, begründete der Kanzler seinen Entschluss, den FDP-Politiker aus seinem Kabinett zu werfen. Lindner sei „verantwortungslos“, Scholz warf ihm „öffentlich inszenierten Streit“, Klientelpolitik und schmutziges Spiel vor: „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert.“
Das persönliche Verhältnis von Scholz und Linder galt einmal als ein Grund, warum das Bündnis der ungleichen Ampel-Partner funktionieren konnte. Die Beziehung hatte sich jedoch seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr stetig verschlechtert.
Scholz stellte Lindner eine entscheidende Frage, der verneinte
Das Ende der siechen Regierung zeichnete sich schließlich seit Tagen ab. Weder konnten sich Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf einen Haushalt für 2025 einigen, noch auf eine Strategie zur Unterstützung der schlingernden deutschen Wirtschaft. Lindner hatte Ende der Vorwoche ein Positionspapier vorgelegt, dass die Koalitionspartner als Provokation empfanden. Seitdem wuchs bei ihnen der Verdacht, dass Lindner den Ausweg aus dem Bündnis sucht.
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Im Kanzleramt fragte Scholz FDP und Grüne am Mittwochabend, ob sie die Schuldenbremse aussetzen und so Hilfe für die Ukraine in Höhe von 15,5 Milliarden Euro finanzieren wollen. Habeck sagte zu. Lindner verneinte und schlug stattdessen vor, der Ukraine den Marschflugkörper Taurus zu liefern. Scholz lehnt das kategorisch ab, weil er eine Eskalation des Konflikts mit Russland fürchtet.
So kam es zum Bruch zwischen Scholz und Lindner
Der FDP-Chef forderte Scholz daraufhin auf, noch gemeinsam den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen zu gehen. In eine Bedenkpause platzte eine Eilmeldung zu Lindners Neuwahl-Vorschlag. Für Scholz war das ein Vertrauensbruch zu viel. Er ging zu Lindner und teilte ihm mit: „Ich möchte nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst, und werde morgen dem Bundespräsidenten mitteilen, dass du entlassen wirst.“
Vor der Krisenrunde im Kanzleramt hatte Scholz drei Reden vorbereiten lassen. Eine für den Fall, dass sich die Koalition doch noch einigt. Eine für den Fall, dass Lindner von selbst hinwirft. Und eine Rede für den Fall, der schließlich eintrat, und die Scholz – anders als sonst bei ihm üblich – von einem Teleprompter abliest.
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Scholz hält Wutrede: In der SPD-Fraktion erhält er Applaus
Sie geriet zu einem Wutausbruch gegen Lindner, der in die Geschichtsbücher eingehen dürfte. Sozialdemokraten sind begeistert, sie sprechen von seiner besten Rede. In einer anschließenden Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion wurde Scholz mit stehendem Applaus begrüßt. Lindner ging umgehend zum Gegenangriff über und kritisierte ein „genau vorbereitetes“ Statement. Am Tag danach legte der FDP-Chef nach und warf dem Kanzler eine „Entlassungsinszenierung“ vor. Das Ende der Ampel: Sie gehen auseinander, wie sie regierten.
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In der ersten Sitzungswoche des Bundestags im neuen Jahr will Scholz am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für vorgezogene Neuwahlen bis Ende März freizumachen. Bis Weihnachten wolle er im Bundestag noch „alle Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die keinerlei Aufschub dulden“, kündigte Scholz an. Der Kanzler nannte unter anderem den Ausgleich der Kalten Progression und das Rentenpaket. Von der Union erhofft sich Scholz Unterstützung für die Stärkung der Wirtschaft und Beschlüsse im Verteidigungsbereich.
Merz fordert frühere Neuwahlen, Scholz lehnt ab
Doch der Plan dürfte nicht aufgehen. Von der FDP erwartet das Kanzleramt nur noch geringe Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Auch CDU-Chef Friedrich Merz reagierte nicht mit offenen Armen. Der Oppositionsführer verlangt von Scholz, die Vertrauensfrage noch in diesem Jahr zu stellen und deutlich vor März zu wählen. Scholz und Merz treffen sich am Donnerstag zu einem vertraulichen Gespräch, in dem der Kanzler aber an seinem Zeitplan festhält. Damit ist unsicher, ob die Restregierung vor der Neuwahl noch Beschlüsse durchs Parlament bekommt.
Eins hat der zuletzt auch in den eigenen Reihen stark unter Druck stehende Scholz aber erreicht. Die SPD versammelt sich hinter ihm. Kritiker, die sich in der Vergangenheit etwa Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidat gewünscht hatten, halten sich in der aktuellen Lage zurück. Ob Scholz die SPD auch in den vorgezogenen Wahlkampf führen soll, wird Generalsekretär Matthias Miersch gefragt. „Davon gehe ich fest aus“, antwortet der Kampagnenchef.
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