Düsseldorf. 2026 greift der Rechtsanspruch auf OGS-Betreuung. Wir kriegen das hin, behauptet das Land. Experten befürchten aber eine Ganztagskrise.

Der Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschüler naht, aber die Anbieter des Offenen Ganztags (OGS) sind unzufrieden damit, wie die Landesregierung mit diesem wichtigen Thema umgeht. Ein einfacher Erlass sei keine solide Grundlage für das Recht auf Ganztagsbetreuung ab August 2026 in NRW, erklären sie. Das müsse NRW schon mit einem richtigen Gesetz regeln.

Bei der Lektüre der Stellungnahmen, die OGS-Träger und Elternverbände dem Familienausschuss des Landtags geschickt haben, dürften NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) und NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) mindestens leichtes Unwohlsein verspüren, denn sie werden von den Sachverständigen für den Verzicht auf ein OGS-Ausführungsgesetz regelrecht abgewatscht.

Ganztag ohne Gesetz -- Kann das funktionieren?

Die drei Kommunalen Spitzenverbände, die für die Städte, Gemeinde und Landkreise sprechen, berichten von „erheblichen Irritationen“ vor Ort. Sie erinnern daran, dass das OGS-Ausführungsgesetz im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen ausdrücklich versprochen wird. Hinter dem Verzicht der Politik auf dieses Gesetz vermuten die Städte finanzielle Motive. Das Land fürchte explodierende Kosten für den OGS-Ausbau. Die OGS müsse aber durch das Land angemessen finanziert werden, sonst drohe am Ende ein „Ganztag nach Kassenlage“, sagen die Kommunalverbände.

Der Hintergrund: Ab 2025 soll die Zahl der OGS-Plätze in NRW von heute etwa 430.000 Schritt für Schritt erhöht werden, zunächst um 50.000. Zum Schuljahr 2028/29 sollen in NRW schließlich mehr als 600.000 OGS-Plätze zur Verfügung stehen. Dies genüge nach Berechnungen des Schulministeriums, um den Rechtsanspruch garantieren zu können. Ab 2027 werde NRW mehr als eine Milliarde Euro jährlich für den OGS-Ausbau ausgeben, heißt es.

Es geht nicht um die Zahl der Plätze, sondern um die Qualität der OGS-Betreuung

„Wir stellen deutlich mehr Geld für deutlich mehr Plätze zur Verfügung“, hatte Schulministerin Feller im Sommer gesagt. Damit werde „Klarheit und Verlässlichkeit“ für die Eltern und für die Träger des Offenen Ganztags (OGS) geschaffen, erklärte Familienministerin Paul damals. Die schwarz-grüne Landesregierung verzichtet allerdings auf ein von ihr selbst in Aussicht gestelltes Gesetz für den Ausbau der OGS-Betreuung. Stattdessen will sie die Ganztagsangebote für Grundschüler nur über einen Erlass regeln. CDU und Grüne begründen dies damit, dass sie die OGS-Träger nicht „überfordern“ wollten. Mit einem Gesetz, das Standards für Räume, Gruppengrößen, Mitarbeiterqualifikation, Personalschlüssel und Betreuungszeiten festschriebe, würde Eltern womöglich etwas versprochen, was am Ende gar nicht eingehalten werden könne.

Mit dieser Erklärung geben sich die Betroffenen allerdings nicht zufrieden. Sie vermuten, dass sich das Land mit dem Erlass einfach aus der Verantwortung stehlen und die Probleme auf die Städte, die freien OGS-Träger, Schüler, Eltern und Lehrkräfte abwälzen wolle.

Was ist mit Regeln zu Gruppengrößen, Pädagogik, Ausbildung des Personals?

„Während der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gesetzlich geregelt ist, stehen verbindliche Rahmenbedingungen für den Offenen Ganztag in NRW aus“, kritisiert zum Beispiel der Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen. Benötigt würden einheitliche Regeln in ganz NRW zu Gruppengrößen, Personalqualifikation, Ferienbetreuung, Schließtagen und pädagogischen Konzepten. Der Erlass führe außerdem zu einem „Flickenteppich in den Elternbeiträgen“ für die OGS, befürchten die Eltern. Das müsse unbedingt verhindert werden.

Der OGS-Rechtanspruch

Vom 1. August 2026 an haben bundesweit alle neuen Grundschüler einen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz. Ab 2029 ist die Nachmittagsbetreuung dann für alle Grundschul-Jahrgänge obligatorisch, wenn Eltern für ihre Kinder einen Platz wünschen. Bislang gingen viele Familien leer aus. Die Landesregierung hatte zuletzt das angekündigte Ausführungsgesetz zurückgestellt und lediglich „fachliche Grundlagen“ für den Nachmittagsbetrieb in den Grundschulen beschlossen. Dahinter steckt womöglich das Kalkül, keine Vorgaben zu schaffen, für die das Land finanziell aufkommen müsste.

Auch die beiden Landschaftsverbände LWL und LVR, zuständig für insgesamt 73 Förderschulen, sieben Klinikschulen und drei Berufskollegs, bedauern den Verzicht auf en OGS-Gesetz. Es reiche nicht, die Zahl der OGS-Plätze zu erhöhen, es müsse auch darauf geachtet werden, dass Kinder überall im Land vernünftig und mit vergleichbaren Standards betreut würden. Um das zu ermöglichen, müsse NRW viel eigenes Geld in die Hand nehmen.

„Ein Erlass ist kein Gesetz“, warnt auch der Katholische Verband In Via. Die Qualität der Betreuung in der OGS sei akut „einsturzgefährdet“.

Träger befürchten, auf den Kosten sitzen zu bleiben

Erwartet war ein Gesetz mit nötigen Mindeststandards für den Offenen Ganztag in NRW – erhalten haben wir einen Erlass, der die uns finanziell im Stich lässt“, zürnt das Bündnis katholischer Träger der OGS im Erzbistum Köln. Die Folgen der Corona-Pandemie, die Inflation und die steigenden Tariflöhne hätten die OGS-Träger schon in größte finanzielle Not gestürzt.

Die Freie Wohlfahrtspflege NRW ist als größte Träger von OGS-Einrichtungen sehr unzufrieden mit dem Verzicht des Landes auf eine Betriebserlaubnispflicht für OGS-Angebote. Über das Instrument Betriebserlaubnisse könnten Mindeststandards für die Betreuung NRW-weit festgeschrieben werden, zum Beispiel zum Beispiel Kinderschutz, Personalausstattung und zu Gruppengrößen.

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