Berlin. Kommt der große Krieg? Die Vorbereitungen für eine Attacke gegen Irans Atomanlagen sind weit gediehen. Was sind die Ziele und Risiken?

Nach dem neuen iranischen Raketenangriff hat Israel einen massiven Vergeltungsschlag angekündigt. Droht jetzt die Eskalation zum großen Krieg? Israel erwägt offenbar einen Militärschlag auf Anlagen des iranischen Atomprogramms, um das Mullah-Regime am Bau einer Atombombe zu hindern. Die israelische Regierung soll Teheran im Vorfeld gewarnt haben: Israel werde als Antwort auf einen Angriff Irans dessen Atomprogramm oder die wirtschaftlich wichtigen Öl-Anlagen ins Visier nehmen. Der israelische Ex-Premier Naftali Bennett drängt schon: „Wir müssen jetzt handeln, um das Atomprojekt zu zerstören, die wichtigsten Energieanlagen zu vernichten und dieses Terrorregime schwer zu treffen.“ Was hat Israel vor, wie liefe ein Angriff, wie groß sind die Risiken?

Die Vorbereitungen für einen Angriff auf das Atomprogramm sind weit gediehen. Israel und vor Jahren auch die USA haben solche Militärschläge mit Kampfjets und Raketen immer wieder durchgespielt und geübt. Premier Benjamin Netanjahu soll mehrmals kurz davor gewesen sein, den Angriff zu starten. Die israelische Luftwaffe trainierte sogar schon bei einem Manöver auf der Insel Kreta die Zerstörung des Atomforschungszentrums Natanz im Iran. Der israelische Geheimdienst ist tief eingedrungen in das Nuklearprogramm Teherans, Spezialeinheiten waren immer wieder im Iran unterwegs. Es spricht viel dafür, dass Israels Agenten in den vergangenen Jahren auch hinter Attentaten auf hochrangige Mitarbeiter des Atomprogramms und Explosionen in Forschungsanlagen steckten.

Irans Atomanlagen
Eine Luftaufnahme von der Schwerwasser-Fabrik in Arak, die Teil des iranischen Atomprogramms ist. © picture alliance / dpa | HANDOUT

Mindestens ein halbes Dutzend Standorte des offiziell rein zivilen Atomprogramms kommen als Ziele für israelische Attacken in Frage: Im Blick ist vor allem Natanz rund 200 Kilometer südöstlich von Teheran, wo tausende moderne Zentrifugen für die zum Bombenbau notwendige Anreicherung des Uran betrieben werden. In Esfahan befindet sich eine Uranumwandlungsanlage, in Arak eine Schwerwasser-Fabrik.

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Die Universitätsstadt Isfahan gilt als Zentrum der iranischen Kernforschung, hier stehen auch Anlagen zur Urankonversion. 30 Kilometer südöstlich von Teheran liegt der Militärkomplex Parchin, wo der Iran nach Einschätzung von Militärexperten heimlich für den Bau nuklearer Sprengköpfe forschen lässt. Eine weitere, unterirdische Anreicherungsanlage gibt es in Fordo, nach einem Ende August vorgelegten Bericht der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) wurden hier kürzlich zusätzliche leistungsstarke Zentrifugen in Betrieb genommen.

Atomanlage in Isfahan
Mitarbeiter der Internationalen Atomenergiebehörde inspizieren die iranische Urankonversionsanlage in Isfahan. © DPA Images | ABEDIN TAHERKENAREH

US-Armee hat Präzisionsbombe entwickelt, um Atomanlagen in Bunkern zu treffen

Geschützt werden viele dieser Eoinrichtungen durch russische Luftabwehrsysteme S-300, die der Iran seit 2016 von Moskau erhält. Doch hat Israel nach dem ersten iranischen Raketenangriff im April bei einem Gegenschlag erfolgreich getestet, wie sich die russischen Abwehrsysteme in der Nähe von Atomanlagen ausschalten lassen. Allerdings: Der Iran hat sensible Teile des Atomprogramms sicherheitshalber in unterirdische Bunker wie in Fordo oder in Natanz verlegt. Viele dieser Anlagen ließen sich wohl durch bunkerbrechende Bomben zerstören. Die US-Armee hat für solche Einsätze eigens die Präzisionsbombe GBU-57 entwickelt, auch als Massive Ordnance Penetrator bekannt: Die 14.000 Kilo schwere Bombe bohrt sich 60 Meter tief durch den Fels, bevor sie detoniert.

Doch im Zagros-Gebirge nahe Natanz ist eine neue Anlage in 80 bis 100 Meter Tiefe entstanden – Militärexperten halten es für möglich, dass selbst die stärksten bunkerbrechenden Bomben hier nicht mehr ausreichen. Es stehen aber eben auch in diesem Tunnelsystem tief unter dem Berg wahrscheinlich hochmoderne Zentrifugen für waffenfähiges Uran, sagt der frühere UN-Waffeninspekteur David Albright. Weil der Iran die wichtigen Nukleareinrichtungen immer tiefer unter die Erde verlegt und inzwischen weit über das Land verteilt hat, kann Israel nicht mehr sicher sein, mit einem Angriff das Atomprogramm nachhaltig zu stoppen. Der iranische Kommandeur für nukleare Sicherheit, Ahmad Hagh Taleb, warnt schon, bei einem solchen Militärschlag könne die Teheraner Regierung zur „Überprüfung der nuklearen Doktrin“ gezwungen sein – also den Bau der Bombe tatsächlich beschließen.  

Iran warnt Israel vor Vergeltungsschlägen

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    Iran könnte wohl Atombomben herstellen

    Für Israel ist der Druck indes gewachsen, weil der Iran inzwischen wohl in kurzer Zeit eine Atombombe herstellen könnte, wenn er sich dazu entschließen sollte – die Schätzungen westlicher Militärexperten reichen von wenigen Monaten bis anderthalb Jahren. Der frühere UN-Waffeninspekteur Albright, der das Atomprogramm jetzt am unabhängigen Militärforschungsinstitut ISIS in Washington untersucht, warnt: „Im schlimmsten Fall wird es dem Iran gelingen, schneller eine Atomwaffe zu bauen, als die westlichen Mächte sie entdecken und stoppen könnten.“

    Der Iran brauche heute nur noch etwa zwölf Tage Zeit, um genügend waffenfähiges Uran für den Bau einer Atomwaffe zu produzieren, innerhalb eines Monats reiche das Material für vier Atombomben. Mit dem waffenfähigen Uran ist es aber noch nicht getan. Hinzu kommen müssen die Atom-Sprengköpfe mit entsprechender Explosionsvorrichtung, für deren Entwicklung der Iran wohl noch ein bis zwei Jahren brauchen dürfte, und ein Trägersystem, das etwas schneller einsatzbar sein könnte.

    Netanjahu in den USA - Rede von Netanjahu
    Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu gibt sich entschlossen, eine Atombewaffnung des Iran unter allen Umständen zu verhindern. © DPA Images | Jose Luis Magana

    Dennoch ist nun auch die US-Regierung besorgt: Noch sieht Washington zwar keine Anzeichen, dass Teheran den Bau einer Atombombe tatsächlich plant. Aber seit das Atomabkommen von den USA aufgekündigt wurde und der Iran sein Atomprogramm wieder aufnahm, habe sich der Zeithorizont für den Bau einer Atomwaffe rapide verkürzt, schlug US-Außenminister Anthony Blinken vor einigen Monaten Alarm. Der Generaldirektor der Atombehörde IAEA, Rafael Grossi, räumt ein, dass seine Behörde den Einblick in Teile der iranischen Atomaktivitäten verloren hat.

    Das wiederum alarmiert den israelischen Premier Benjamin Netanjahu, der immer wieder erklärt, er werde eine iranische Atombombe um jeden Preis verhindern – notfalls eben auch mit einem Militärschlag. Noch hat Netanjahu aber nicht die Rückendeckung von US-Präsident Joe Biden für einen solchen Eskalationsschritt: Er werde ein militärisches Vorgehen Israels gegen die Atomanlagen des Iran nicht unterstützen, stellte Biden einen Tag nach dem jüngsten Raketenangriff klar. Alle G7-Staaten seien der Meinung, dass Israel das Recht habe, auf die Attacke zu antworten. „Aber die Antwort sollte verhältnismäßig sein“, meinte Biden. „Wir werden mit den Israelis besprechen, was sie tun werden.“