Düsseldorf. Schwarz-Grün nimmt in NRW erstmals wieder Milliardenschulden auf und plant mit Rekordausgaben. Kauft sich die Koalition nur Zeit?

Noch nie hat Nordrhein-Westfalen so viel Geld ausgegeben wie in diesem und dem nächsten Jahr. Vor allem: Schon lange nicht mehr wurden Landeshaushalte mit neuen Schulden bestückt wie 2024 und 2025.

In Zahlen bedeutet das: Das schwarz-grüne Landeskabinett hat am Dienstag für das laufende Jahr einen Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht, der die Gesamtausgaben noch einmal auf 102,6 Milliarden Euro hochschraubt. Als Ausgleich für prognostizierte Steuerausfälle und Mehrausgaben werden kurzerhand zwei Milliarden Euro auf Pump bereitgestellt.

Der Etatentwurf für 2025 sieht sogar Ausgaben von insgesamt 105,5 Milliarden Euro vor – inklusive rund 1,3 Milliarden Euro neuer Schulden. Es wäre nach Einschätzung von NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) „unverantwortlich“ gewesen, gegen die absehbaren Mindereinnahmen gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung anzusparen. „Wir könnten das nur mit harten Einschnitten bei Investitionen und durch Sparen bei den Schwächsten erwirtschaften“, rechtfertigte Optendrenk die neuen Kredite.

Warum kann NRW trotz Schuldenbremse neue Schulden aufnehmen?

Die Schuldenbremse lässt Bund und Ländern bei Konjunktureinbrüchen die Möglichkeit, in begrenztem Umfang mit Krediten gegenzusteuern. Die genaue Höhe wird anhand einer wissenschaftlichen Konjunkturbereinigung ermittelt und laufend überprüft. NRW geht derzeit davon aus, dass man wegen der Flaute in vielen Betrieben für dieses Jahr zwei Milliarden Euro Schulden machen darf und für nächsten Jahr noch einmal 1,34 Milliarden Euro.

Wann muss das Land die Kredite zurückzahlen?

Die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse verlangt, dass der Staat geliehenes Geld zur Bekämpfung einer Wirtschaftskrise sofort zurückzahlt, wenn es spürbar wieder aufwärts geht. Finanzminister Optendrenk galt lange als Skeptiker der Konjunkturkomponente, weil sich eine Regierung nur Zeit kauft und möglicherweise im laufenden Haushaltsvollzug Kredite zurückzahlen muss. Da Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) erst in der vergangenen Woche eine Konjunkturbelebung in NRW bejubelt hatte und für kommendes Jahr 1,5 Prozent Wachstum prognostiziert werden, könnte die Rückzahlungsverpflichtung also rasch kommen.

Ist es richtig, nicht gegen die Krise anzusparen?

Finanzminister Optendrenk ist als alter Ministerialbeamter vom Fach und hat Recht, wenn er das Land in der gegenwärtigen Stimmungslage nicht mit monatelangen Spardebatten belasten will – zumal der Löwenanteil seines Etats ohnehin aus Pflichtausgaben wie Gehältern für Polizisten und Lehrer besteht. Problematisch bleibt, dass CDU und Grüne kaum Ehrgeiz zeigen, den Dschungel aus Förderprogramm zu lichten, und gleichzeitig die Investitionsquote von ursprünglich vorgesehenen 10,8 Prozent in diesem Jahr auf 10,3 Prozent in 2025 fällt. Sprich: Es wird viel Geld ausgegeben, aber zu wenig nachhaltig investiert.

Ist die Finanzmisere also hausgemacht in Düsseldorf?

Nein, die Rahmenbedingungen sind zweifellos schwierig. Bundespolitische Entscheidungen etwa zur Wohngelderhöhung, zum Abbau der Kalten Progression oder zum Deutschlandticket schlagen ebenso durch wie hohe Zinsen und Tarifabschlüsse. Die Wirtschaftsflaute lässt zudem die Steuerquellen nicht so sprudeln wie erwartet. Aber: Die Staatseinnahmen sinken nicht, sie steigen nur nicht so schnell wie die politische Ausgabenfreude.

Welche finanzpolitischen Schwerpunkte setzt das Land?

Die Bildungsausgaben steigen im kommenden Jahr noch einmal um drei Milliarden und machen 42 Milliarden Euro aus. Das halten Experten für klug. Zudem steigt NRW mit 250 Millionen Euro jährlich erstmals in die kommunale Altschuldenhilfe ein, was mittelfristig vielen Großstädten mit Sozialproblemen hilft.

Wird das Regieren für CDU und Grüne jetzt ungemütlicher?

Durch die neuen Schulden hat der Finanzminister seinem Kabinett den ganz große Spardruck erst einmal genommen. Zwar wird der Stellenaufwuchs in den Ministerien etwas gebremst und ursprünglich mal gewünschte Ausgaben von 3,6 Milliarden Euro dürfen über alle Ressorts nicht mehr getätigt werden – aber echte Einschnitte, die einem der beiden Koalitionspartner wehgetan hätten, sind nicht mehr zu erwarten. Gleichwohl versuchten CDU und Grüne am Dienstag den Eindruck zu erwecken, sie wirtschafteten sparsam in „herausfordernden Zeiten“. FDP-Fraktionschef Henning Höne kam dagegen zum vernichtenden Urteil: „Nordrhein-Westfalen steht vor einem neuen Haushaltsrekord von über 105 Milliarden Euro, doch die schwarz-grüne Landesregierung versinkt im Förderdschungel und verteilt weiter Wahlgeschenke.“