Potsdam/Berlin. Die SPD feiert in Brandenburg Dietmar Woidkes „furiose Aufholjagd“. Die Partei muss sich fragen: Kann Olaf Scholz das nachmachen?

Die Uhr schlägt 18 Uhr und Jubel bricht bei den Brandenburger Sozialdemokraten aus. Manche Genossen recken ihre Fäuste in die Luft, andere klatschen sich erleichtert ab. Nach ersten Prognosen hat die SPD mit Spitzenkandidat Dietmar Woidke nicht nur deutlich hinzugewonnen. Die Sozialdemokraten liegen am Beginn eines langen Abends auch knapp vor der AfD.

Um 18.12 Uhr empfangen die Sozialdemokraten Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke mit Applaus. Es dauert eine Minute, bis der Spitzenkandidat sich den Weg durch die Menge zu dem Podium gebahnt hat. Im letzten Moment nimmt er noch seine Frau Susanne an die Hand und tritt die Stufe hinauf. „Es war ein hartes Stück Arbeit“, sagt Woidke. Wieder Jubel. „Wir haben eine Aufholjagd hingelegt, wie es sie in der Geschichte unseres Landes noch niemals gegeben hat“, fügt er hinzu. „Aber es scheint so zu sein, dass es wiederum, wie schon so oft in der Geschichte, Sozialdemokraten waren, die Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt haben.“ 

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Woidke grenzte sich von Scholz und der Ampel ab

Woidke hatte sich im Wahlkampf maximal von Kanzler Olaf Scholz und der Ampel-Koalition abgegrenzt. Er setzte damit alles auf eine Karte. Die hieß Dietmar Woidke. Der Ministerpräsident kündigte an, nicht Regierungschef zu bleiben, wenn die SPD bei der Wahl hinter der AfD landen sollte. Viele Brandenburger dürften dem in Umfragen lange zurückgelegenen Woidke mit einer Anti-AfD-Stimme Schwung gegeben haben.

Ganz anders als die Bundespolitik. Die Ampel-Regierung sorge für „schlechte Stimmung“, räumte SPD-Chefin Saskia Esken am Wahlabend ein. Bereits in Sachsen und Thüringen hatten die SPD-Wahlkämpfer geklagt, das schlechte Image der Ampel habe sie heruntergezogen. In Brandenburg ist die Koalition nicht beliebter. Doch Woidke gewann sogar hinzu. Dieses Ergebnis ist sein Erfolg. Wahlen gewinnen ohne den Kanzler?

Dietmar Woidke, Ministerpräsident und Vorsitzender der SPD in Brandenburg, steht nach Bekanntgabe der ersten Prognosen bei der SPD-Wahlparty auf der Bühne.
Dietmar Woidke, Ministerpräsident und Vorsitzender der SPD in Brandenburg, steht nach Bekanntgabe der ersten Prognosen bei der SPD-Wahlparty auf der Bühne. © DPA Images | Kay Nietfeld

Wahlergebnis in Brandenburg: Nützt es Olaf Scholz?

Für Scholz ist der Erfolg seiner Partei somit eine zweischneidige Nachricht. Kann der Wahlausgang seine Lage dennoch stabilisieren? SPD-Generalsekretär Kühnert gratulierte Woidke zur „furiosen Aufholjagd“. Vereinnahmen wollte er den Erfolg ausdrücklich nicht. Der Bundeskanzler weilte am Wahlabend weder in Berlin noch an seinem Wohnort Potsdam, sondern in New York bei einem UN-Gipfel.  Wie die Stimmung in einer Telefonschalte des SPD-Präsidiums gewesen sei, wurde Scholz gefragt. „Gut, natürlich“, antwortete er. Zurück in Berlin wird Scholz am Dienstag erwartet, somit kann er am Nachmittag an einer Sitzung der Bundestagsfraktion teilnehmen.

Landtagswahl in Brandenburg: Wohl hohe Wahlbeteiligung

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    Wahl in Brandenburg: Die FDP verschwindet in der Bedeutungslosigkeit

    Dann wird Scholz erfahren, wie die SPD seine Stellung nach der Brandenburg-Wahl beurteilt. Wird die Parteispitze um die Vorsitzenden Esken und Lars Klingbeil ihren Kurs fortsetzen können? Ihre Strategie: Weiter auf Scholz setzen, den Kanzler aber – mal wieder – zu mehr Durchsetzungskraft auffordern und konkrete SPD-Themen wie die Rente in den Vordergrund stellen. Und dann auf den Aufwärtstrend warten.

    Auszuschließen ist aber auch nicht, dass eine Dynamik aufkommt, die Scholz gefährlich werden kann. Einerseits birgt der Wahlausgang Sprengstoff für die Ampel: Die FDP verschwindet nach Thüringen und Sachsen auch in Brandenburg in der Bedeutungslosigkeit. Die Grünen stürzen so massiv ab, dass sie wohl nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Landtag fliegen. Die Erkenntnis vor allem für die FDP könnte lauten: Die Ampel ist für uns lebensgefährlich. Dass die FDP die Flucht nach vorne antritt und das Bündnis verlässt, geistert seit Wochen als Möglichkeit durchs Berliner Regierungsviertel.

    Jusos fordern nach den Ostwahlen einen politischen Kassensturz

    Andererseits kann Scholz nun trotz – oder wegen – des guten Woidke-Ergebnisses in seiner eigenen Partei massiv unter Druck geraten. Juso-Chef Philipp Türmer hatte kürzlich bereits einen politischen Kassensturz nach den Wahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern gefordert. „Wir wissen, dass wir eine lange und intensive Aufholjagd vor uns haben, wenn wir in einem Jahr bei der Bundestagswahl Erfolg haben wollen“, räumte Kühnert ein. Kann Scholz nachmachen, was Woidke vormachte?

    Unter den SPD-Bundestagsabgeordneten gibt es ein Jahr vor dem regulären Termin der Bundestagswahl Zweifel, ob die Partei noch mit Scholz als Kanzlerkandidat antreten sollte. Derzeit liegt die SPD in bundesweiten Umfragen etwa zehn Punkte unter ihrem Wahlergebnis von 2021. Der Kanzler ist in Fraktionssitzungen schon mehrfach dazu gedrängt worden, kommunikativ und politisch stärker in die Offensive zu gehen. Scholz versprach wiederholt Besserung, jedoch ohne nachhaltige Wirkung.

    Boris Pistorius: Immer wieder fällt sein Name

    Immer wieder fällt deswegen der Name Boris Pistorius: Der Verteidigungsminister ist in Umfragen deutlich beliebter als Scholz. Ob er damit auch der bessere Kanzlerkandidat wäre, ist in der SPD umstritten. Auffällig jedoch: Als Politikertyp ähnelt Pistorius dem bürgernahen Woidke. Scholz-Anhänger hingegen schöpfen Mut aus einer aktuellen Umfrage: Würde der Kanzler direkt gewählt, läge Scholz demnach mit dem frisch ausgerufenen Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) Kopf an Kopf bei 30 Prozent – der Sozialdemokrat schneidet damit neun Prozentpunkten besser ab als in der Vorwoche.

    Dass Scholz im Vergleich mit Merz bei den Wählern punktet, ist ein zentrales Kalkül der SPD-Wahlkampfstrategen. Parteichef Klingbeil ist der Meinung, dass sich Wahlsiege organisieren lassen. Bei einer Klausur des Parteivorstandes am 12. Oktober will er erste Pflöcke fürs Wahljahr einschlagen und der SPD-Spitze Ideen präsentieren, wie ein Wahlsieg erneut gelingen soll. Scholz-Kritiker könnten jetzt als Lehre aus der Wahl in Brandenburg sagen: ohne den Kanzler.