Erfurt. Mit dem AfD-Erfolg im Osten wächst die Angst bei Muslimen, Geflüchteten und Queeren. Viele überlegen auszuwandern – doch nicht alle.
Vielleicht sollte man diese Geschichte ganz am Ende beginnen. Beim Abschied. Suleman Malik steht auf dem Weg vor der Moschee, schüttelt die Hand und zeigt dann Richtung Straße. „Übrigens, da demonstrieren sie wieder.“ So wie jeden Montagabend, sagt er.
Es ist nur eine Handvoll Menschen, begleitet durch einen Wagen der Polizei. Sie haben eine Kerze und Christuskreuze auf dem Fußweg vor der Moschee platziert. Die Demonstranten erzählen, sie würden einen „öffentlichen Gottesdienst“ feiern. Ihr Signal, hier im Gewerbegebiet am Rand von Thüringens Landeshauptstadt Erfurt, ist eindeutig: Malik und seine Moschee sind nicht willkommen.
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Man könnte diese Geschichte aber auch am Anfang beginnen. 2001. Da kam Malik nach Deutschland, geflohen aus Pakistan, wo er als Angehöriger der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde verfolgt wurde. Der Staat grenze sie aus, die Polizei schände sogar Grabstätten der „Ahmadi“. Seinem Vater hätten sie das Reisebüro zerstört. In Pakistan, eine selbst ernannte „islamische Republik“, zählen Ahmadis nicht als Muslime.
Geflüchtet aus Pakistan: Suleman Malik lebt seit 23 Jahren in Deutschland
23 Jahre lebt Suleman Malik mittlerweile in Thüringen. „Ich bin hier länger als Björn Höcke“, sagt er. Und so führen Anfang und Ende dieser Geschichte – die Demonstration auf dem Fußweg und Björn Höcke – beide zu dem Grund, warum Suleman Malik an diesem Montag mit Wut und Sorge im Bauch im breiten, hellen Eingangsbereich der Moschee sitzt und Sätze sagt wie: „Auch der Nationalsozialismus hat mit Worten angefangen und mündete in Gewalt und Asche.“
Es ist gut eine Woche her, da stimmte in Thüringen jeder Dritte für die AfD. Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine als rechtsextrem eingestufte Landespartei stärkste Kraft im Parlament. Hier, mitten im Thüringer Rechtsruck, mitten in dieser Zeit, wollen Malik und seine Gemeindemitglieder bald ihre Moschee eröffnen, die erste in Ostdeutschland mit Minarett, wie er sagt, Berlin ausgenommen. Ausgerechnet im Höcke-Land. Suleman Malik sagt: „Erfurt ist meine Heimat. Die lasse ich mir nicht von Extremisten kaputt machen.“
In Thüringen, aber auch in Sachsen, haben sehr viele Menschen, vor allem viele junge, die radikale Rechte gewählt. Nicht alle von ihnen sind Nazis, und doch stimmten sie für eine Partei, an deren Spitze mit Höcke einer ihrer härtesten Ideologen steht. Seitdem diskutiert die Republik über Ost-Mentalitäten, über Bündnisse von Konservativen und Wagenknechtlern, über Sperrminoritäten. Aber wenig wird gesprochen über die Menschen, die nun besonders in Sorge sind.
BKA zählt die meisten politischen Straftaten 2023 zum Rechtsextremismus
Muslime, Geflüchtete, queere Menschen – all jene, die schon jetzt immer wieder menschenfeindlichen Anfeindungen ausgesetzt sind. All jene, gegen die sich eine Masse von Äußerungen durch AfD-Politiker richtet. Bei Muslimen und Migranten, so berichten es Hilfsorganisationen und Beratungsstellen nach den Wahlen, wachse die Angst. Vor Ausgrenzung im Alltag, vor weiteren Beleidigungen und Beschimpfungen auf der Straße oder in der Bahn, aber auch vor einem „Flächenbrand rechter Gewalt“.
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Die Funken sind schon entfacht, das zeigen Meldungen der vergangenen Monate: Im Ort Eisenberg schlägt ein junger Mann laut Polizeibericht im Juli auf eine 75 Jahre alte Ukrainerin ein, beleidigt sie, zeigt den Hitler-Gruß. In Dresden ermitteln die Behörden nach einem Sprengstoff-Anschlag auf eine Unterkunft für minderjährige Geflüchtete. In Cottbus attackiert eine junge Frau im Wahlkampf eine schwarze Kandidatin der CDU, als diese Plakate aufhängt.
Das Bundeskriminalamt rechnet die meisten politischen Straftaten 2023 dem Rechtsextremismus zu. Die Fallzahlen steigen deutlich an. Beamte registrierten 1270 Gewaltdelikte. 2488 Straftaten richteten sich gegen Asylsuchende, ein Anstieg um 75 Prozent, darunter 321 Übergriffe.
Suleman Malik sagt: „Islamisten und die AfD sind ‚Brüder im Geiste‘“
Suleman Malik zieht die Schuhe aus, öffnet die Glastür, läuft über den weiß-grünen Teppich. Ein paar Lampen fehlen noch hier im Gebetsraum, aber die Wand-Dekoration hängt schon, Kalligrafien mit Sprüchen über Gott als „den Barmherzigen“ oder „den immer wieder Verzeihenden“. Jahrelang verzögerte sich der Bau der Moschee, immer wieder gab es Protest, auch von der AfD. Bald aber können hier mehr als 100 Muslime beten, Frauen und Männer getrennt.
Draußen hat die Gemeinde einen Slogan der Ahmadiyya an die Wand anbringen lassen, in großer dunkler Schrift: „Liebe für alle, Hass für keinen.“ Die Ahmadis gelten als liberal, setzen sich für die Trennung von Staat und Religion ein, lehnen Gewalt ab. Kritisiert wird sie dennoch wie viele islamische Gemeinden für die strikt konservative Haltung, etwa mit Blick auf Geschlechterrollen.
Das Attentat im Namen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Solingen nennt Malik „abscheulich“. Es habe ihn traurig gemacht, nicht nur aufgrund der Getöteten, sondern auch, weil die Tat im Namen des Islam verübt worden ist. „Wir beten für die Opfer“, sagt Malik. Und er sagt auch: Islamisten und die AfD seien „Brüder im Geiste“. Sie wollten „Unfrieden stiften“, Menschen gegeneinander aufstacheln. So sieht Malik es.
in Thüringen wurde Suleman Malik mehrfach angepöbelt und bespuckt
Er zeigt ein Video auf seinem Handy, wie er am Bahnhof steht und für seine Religion wirbt. Ein Politiker der AfD, kommt dazu, es gibt ein Wortgefecht, die Kamera wackelt. Man hört den AfD-Mann sagen: „Sie haben in Thüringen nichts mehr zu melden.“ Es sei nicht der einzige Fall gewesen. Mehrfach sei er angepöbelt oder bespuckt worden, als er in Erfurt für seine Religion geworben hat.
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Die Beleidigungen kennt auch Ayhan Urmiye, 38, geflohen aus dem Iran. Seit 2018 lebt er in Thüringen. Als die Wahlen im Osten noch einige Wochen entfernt waren, zog er los, gemeinsam mit ein paar anderen Geflüchteten und Unterstützern. Von Rostock quer durch Ostdeutschland, bis nach Berlin, dann weiter nach Jena und Weimar. Sie hatten nicht viel dabei, schliefen in Hostels, bei Freunden.
Aber immer trugen sie ein Plakat: „Wir marschieren für die Demokratie“, stand dort in großen schwarzen Buchstaben. „Ich habe bestimmt mit 500 Menschen gesprochen“, sagt Urmiye. In jedem Ort, in jeder Stadt hielten sie an, auf Marktplätzen, in Fußgängerzonen – und wollten ins Gespräch kommen, über Flucht, über Demokratie, über den Aufstieg der AfD. Mal begleitet sie eine junge Frau durch Halle, mal treffen sie eine ältere Dame auf dem Fahrrad, mal einen 17-Jährigen, der „ein Zeichen gegen rechte Hetze“ setzen will.
Wirtschaftsverbände warnen: Aufstieg der AfD schadet dem Standort Ost
Sie hätten auf dem „Demokratiemarsch“ viel Zuspruch bekommen, Lob, Staunen. Manchmal aber seien sie auch beleidigt worden. „Es gab Orte, die waren zu gefährlich, da mussten wir weg“, sagt Urmiye. Wirtschaftsverbände warnen: Der Aufstieg der extremen Rechten schadet dem Standort Ost, lässt Unternehmen abwandern, Fachkräfte auch. Geflüchtete können nicht einfach abwandern. Oftmals gelten für sie Wohnauflagen. Und viele haben niemanden, der ihnen helfen kann. Keine Familie im Westen.
Nach der Wahl der AfD zur stärksten Kraft in Thüringen stellen sich viele wieder diese Frage: Wie sicher ist ein Land für Menschen wie Urmiye noch, in dem jeder Dritte die AfD wählt? „Natürlich ist da Angst. Wir gehen durch die Straße und schauen, wer ist Nazi, wer ist Rassist. Das kann mein Nachbar sein, der Busfahrer“, sagt er. Die Blicke, die Beleidigungen, die Drohungen. „Ich komme mir vor wie ein Außerirdischer in Deutschland.“ So wie er berichten es auch andere Geflüchtete gegenüber unserer Redaktion.
Am Abend der Wahl bekam der Iraner Ayhan Urmiye Anrufe von Freunden aus dem Westen. Sie sagten, hey, wir haben Arbeit für dich, wir besorgen dir eine Wohnung. Sie wollen Urmiye helfen, ihn rausholen aus Thüringen. „Es gibt viele, die nicht hier wohnen bleiben wollen“, erzählt Urmiye. Und er sagt auch: „Ich will bleiben, und kämpfen.“
Und auch Suleman Malik will bleiben, die Moschee fertig bauen. Schon jetzt kommen Anfragen: Schulklassen wollen das Gotteshaus besuchen, Seniorengruppen. Malik will einen „Tag der offenen Moschee“ veranstalten. Er will Religion ohne Zwang, er will mit Menschen reden. Die Moschee soll ein Ort des Zusammenseins werden. Sogar Björn Höcke dürfe kommen, sagt Malik. „Wenn er sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt.“