Berlin. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen triumphiert die Parteigründerin mit einem unschlagbaren Mix – ein Experte klärt auf.

Das gab es so noch nie in der bundesdeutschen Parteiengeschichte: Nur neun Monate nach seiner Gründung hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen einen triumphalen Erfolg erzielt und kommt aus dem Stand auf zweistellige Ergebnisse. Die Partei hat jetzt sogar gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Aus dem Nichts in die Regierung: Was steckt hinter dem phänomenalen Aufstieg? Der Erfolg hat fünf Gründe.

1. Wagenknecht-Partei: Der Name ist Programm

Aufstiegsgeheimnis Nummer eins: Wagenknecht gibt dem BSW nicht nur den Namen, sie ist auch das einzige prominente Gesicht der Partei. Die frühere Linken-Ikone hält die Zügel fest in der Hand. „Sie ist eine begnadete Populistin mit charismatischer Ausstrahlung“, sagt der Parteienforscher Frank Decker unserer Redaktion. „Sie füllt diese Rolle aus wie im Lehrbuch.“

Acht von zehn BSW-Wählern erklärten nach der Europawahl in einer Befragung, ohne Wagenknecht hätten sie die Partei nicht gewählt – dabei hatte die 55-Jährige mit dem Doktortitel in Wirtschaftswissenschaft selbst gar nicht kandidiert, auch jetzt in Ostdeutschland nicht. Dort stehen die Spitzenkandidaten nur in der zweiten Reihe. Wohl eine kühle Arbeitsteilung: Vor allem Katja Wolf in Thüringen und Robert Crumbach in Brandenburg gelten als koalitionsfähige, pragmatische Realpolitiker.

Sahra Wagenknecht Campaigns In Eisenach In Thuringia Election
Sahra Wagenknecht mit der Thüringer BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf in Eisenach: Der Aufstieg der neuen Partei ist absolut ungewöhnlich. © Getty Images | Jens Schlueter

Aber an möglichen Koalitionsverhandlungen will Wagenknecht persönlich teilnehmen, das hat sie schon klargestellt. Der früheren ultralinken Politikerin werfen Kritiker im Wahlkampf vor, mit polemischen Parolen Unsicherheit und Empörung zu schüren und bei ihren Auftritten Themen wie den Ukraine-Krieg in den Vordergrund zu stellen, die mit Landespolitik gar nichts zu tun hätten. Wagenknecht selbst sagt: „Ich schüre keine Stimmung, die Stimmung ist schon lange da.“ Drei Viertel der BSW-Wähler sind laut Umfragen nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie Demokratie in Deutschland funktioniert.

2. Linkskonservativer Mix des BSW funktioniert im Osten

Aufstiegsgrund Nummer zwei: Wagenknecht füllt eine Lücke im Parteiensystem, sie selbst beschreibt die Position als „linkskonservativ“: „Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Kombination von drei programmatischen Positionen: Migrationsskepsis, eine eher linke Sozialpolitik, die sich vom Bürgergeld-Bashing fernhält, und die Forderung nach einem Kurswechsel gegenüber Russland und im Ukraine-Krieg, die im Osten besonders gut verfängt“, sagt Parteienforscher Decker.

Das BSW habe mit dieser Themenkombination ihre Chance gut genutzt. „Die Partei ist eine Art Staubsauger, die von allen Parteien mit Ausnahme der Grünen Wähler abzieht, wie schon die Europawahl gezeigt hat – gar nicht so sehr bei der AfD, sondern eher bei der Union, SPD und Linken“, erläutert Decker.

Decker
Der Parteienforscher Frank Decker ist Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. © HA | Volker Lannert

Wenn sie in Regierungsverantwortung kommen sollte, könne sie aber ihren populistischen Kurs nicht mehr so einfach fortsetzen, erwartet der Parteienforscher. „Bislang verspricht die Partei das Blaue vom Himmel und kritisiert die anderen Parteien heftig, ohne beweisen zu müssen, dass sie es besser könnte.“ Politiker anderer Parteien werfen der Wagenknecht-Truppe vor, ihr Programm sei in weiten Teilen vage und habe viele Leerstellen.

3. Gutes Timing begünstigte Aufstieg der Wagenknecht-Partei

Wagenknecht hat drittens die BSW-Gründung lange vorbereitet und einen günstigen Zeitpunkt ausgewählt. Der Start im Januar 2024 machte die Europawahl im Juni zur allerersten Testwahl – mit erwartbarem Erfolg: Weil es bei der Europawahl keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, wäre das BSW auch bei einem schlechteren Ergebnis als den 6,2 Prozent ins Parlament eingezogen, betont Decker. „Und jetzt bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland funktioniert ihre Programmformel besonders gut.“

4. Das BSW nimmt nicht jeden auf und hat erst 839 Mitglieder

Grund Nummer vier: Wagenknecht setzt auf strenge Kontrolle des Parteiaufbaus – deshalb soll das BSW nur langsam wachsen. Ungewöhnlich, aber erlaubt: Mitgliedsanträge werden zentral vom Bundesvorstand entschieden, damit Querulanten und Extremisten außen vor bleiben. So habe das BSW aktuell erst 839 Mitglieder, sagt Parteisprecherin Caroline Heptner.

Auch interessant

Landesverbände gibt es bisher nur in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, im Saarland, Nordrhein-Westfalen und Berlin. „Das BSW hat beim Organisationsaufbau Fehler vermieden, Wagenknecht hat aus ihrem Scheitern mit dem Aufstehen-Bündnis gelernt“, meint Decker.

5. Wagenknechts Partei wird gut alimentiert – auch durch Spenden

Fünftens steht die Finanzierung: Das BSW hat rechtzeitig auf Spenden zurückgreifen können, nach Parteiangaben acht Millionen Euro insgesamt. Allein fünf Millionen kamen zum Start von einem Unternehmerehepaar aus Mecklenburg-Vorpommern, es war die seit Jahren größte Einzelspende für eine Partei. Die Konkurrenz ist argwöhnisch, SPD-General Kevin Kühnert fordert nun gar neue Regeln für die Parteienfinanzierung: „Man kann in Deutschland eine Partei praktisch ohne Mitgliedsbeiträge, aber dafür mit Millionenspenden hochzüchten.“

Die Wahlerfolge bescheren dem BSW auch stabile Zuflüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung – allein 2,7 Millionen Euro erwartet die Partei für ihren Durchbruch bei der Europawahl. So imposant der Aufstieg ist, schnelle Erfolge von Parteigründungen gab es aber auch schon früher, wenn auch nicht so deutlich wie beim BSW, betont Decker. So habe die AfD wenige Monate nach ihrer Gründung 2013 die Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl und in Hessen nur knapp verfehlt und im Jahr darauf in Ostdeutschland ihren Durchbruch geschafft.

„Und die Schill-Partei hat in Hamburg bei den Bürgerschaftswahlen 2001 ein halbes Jahr nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur fast 20 Prozent der Stimmen bekommen, sie war dann auch sofort an einer Regierung mit CDU und FDP beteiligt.“ Zwei Jahre später war sie schon wieder am Ende. Ein solches Schicksal erwartet Decker für das BSW nicht. „Das BSW wird sich dauerhaft als zweite populistische Partei etablieren und dabei die Linkspartei aus dem Parlament verdrängen, die ohne Alleinstellungsmerkmal im Parteiensystem keine Zukunft mehr hat.“

NameSahra Wagenknecht
Geburtsdatum16. Juli 1969
Parteiehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)
Parteimitglied seit1989 (SED) bis 2023 (Die Linke), seit 2024 BSW
Familienstandverheiratet, keine Kinder
EhemannOskar Lafontaine
WohnortMerzig (Saarland)