Berlin. Die CDU erreicht ihr Wahlziel. Und nun? Der Parteichef muss abwägen zwischen Regieren mit neuen Partnern – und dem Verlust der Macht.

Friedrich Merz ist ein gläubiger Mensch. Gut möglich, dass er jetzt die drei Ampel-Parteien in sein Abendgebet einschließt: Lieber Gott, lass‘ Sozis, Grüne und Liberale wieder so stark werden, dass sie als sichere Koalitionspartner taugen. Denn alle anderen Optionen, die nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen auf dem Tisch liegen, sind für den CDU-Chef Horrorvarianten.

Eine Koalition mit der Wagenknecht-Partei, die mit Wladimir Putin Frieden schließen will? Oder eine entfesselte Debatte über die Brandmauer zu AfD und Linkspartei? Es ist kein fiktives Szenario: Merz weiß, in dem Moment, da er in einem Bundesland die Tür aufmacht zu einer Koalition mit dem BSW oder einer Tolerierung durch die Linkspartei, werden gerade an der ostdeutschen Basis viele fragen: Und warum keine Öffnung zur AfD?  

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Für Merz war es am Wahlabend allenfalls ein kurzes Aufatmen. In Thüringen liegt die CDU auf Platz zwei. In Sachsen lag die CDU von Regierungschef Michael Kretschmer nach ersten Hochrechnungen knapp vor der AfD. Erleichterung, aber auch maximale Anspannung: Um 18.05 Uhr trat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schwer atmend vor die Kameras. „Unser Ergebnis ist sehr gut.“ Die CDU sei die letzte echte verbliebene Volkspartei. Eine Koalition mit der AfD schloss Linnemann aus.  

Will die CDU regieren, muss sie alte Glaubenssätze über Bord werfen

In beiden Ländern aber geht der Ärger jetzt erst richtig los. Die CDU steht vor einer brutalen Entscheidung: Will sie regieren, muss sie mindestens in Thüringen alte Glaubenssätze über Bord werfen – und riskiert damit, dass sich viele Anhänger entsetzt abwenden. Die Alternative: Sie lässt die AfD an die Macht. Merz hat also de facto keine Wahl.

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Zerreißen werde es die CDU nicht, betonte Linnemann fast trotzig. Für seinen Parteichef beginnen jetzt allerdings doppelt unruhige Wochen. Die nach dem Wahldebakel von 2021 mühsam errungene Geschlossenheit der Union steht auf dem Spiel. Und: Merz muss sich als kluger Krisenmanager beweisen – um am Ende auch der richtige Kanzlerkandidat der Union zu sein.  

Nach dem 22. September, wenn auch die Brandenburger gewählt haben, wollen Merz und CSU-Chef Markus Söder einen gemeinsamen Vorschlag machen, wer die Union in die Bundestagswahl im Herbst 2025 führt. Merz gilt als Favorit, Söder aber kokettiert nach wie vor gerne mit der Vorstellung, den Job selbst zu übernehmen. In den Umfragen liegt der Bayer immerhin deutlich vor Merz. Einig sind sich Merz und Söder nur darin, dass es diesmal kein öffentliches Hauen und Stechen geben darf. Ob das gegenseitige Versprechen zu halten sein wird, wenn die CDU nach den Ostwahlen in schwere See gerät? Ungewiss.

Landtagswahlen gelten als Beleg, dass Kurs beim Thema Asyl richtig war

Gewiss ist dagegen, dass die Union die Wahlentscheidung in Sachsen und Thüringen als Beleg dafür sehen wird, dass es richtig war, in den Tagen vor der Wahl auf einen scharfen Kurswechsel bei Asyl und Migration zu setzen: Wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale hatte Merz den Druck auf die Bundesregierung noch einmal erhöht: In den letzten Tagen sei zwar „einiges in Bewegung“ geraten, die Ampel-Koalition aber „gehe das eigentliche Problem wieder nicht an“, so Merz.

„Das Wort ‚Grenze‘ kommt in den Vorschlägen nicht vor“, kritisierte er. Die hohe Zahl der Asylsuchenden stelle mittlerweile eine Gefährdung der nationalen Sicherheit und Ordnung da. Nötig sei deswegen die Ausrufung einer Asyl-Notlage: Die EU erlaube den Mitgliedsstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und für den Schutz der inneren Sicherheit, eigene Vorkehrungen zu treffen. „An diesem Punkt sind wir angekommen.“ Söder ging sogar noch weiter und forderte eine Änderung des Asylrechts.