Düsseldorf. 2023 stieg die Zahl der Straftaten mit Messern drastisch. Lesen sie hier, was die Landesregierung dagegen tut und wer die Täter sind.

Angesichts eines deutlichen Anstiegs der Messergewalt in NRW und unter dem Eindruck der Bluttat von Solingen will NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) den Kontrolldruck insbesondere auf junge Männer massiv erhöhen.

Am Mittwoch stellte er einen zehnteiligen „Werkzeugkasten“ gegen die zunehmende Zahl von Straftaten mit Messern in der Öffentlichkeit vor. Dazu zählen der Entzug des Führerscheins, mehr Waffenverbotszonen und Waffentrageverbote, mehr mobile Videoüberwachung und mehr Abschreckung durch polizeiliche Präsenz.

Reul: „Bürgerinnen und Bürger müssen das Vertrauen haben, dass sich die Politik kümmert“

„Alle Bürgerinnen und Bürger müssen das Vertrauen haben, dass sich die Politik um solche Probleme kümmert, und zwar mit einfachen, klaren, einzelnen Maßnahmen“, sagte Reul. Das Problem Messergewalt ist laut einer Sonderauswertung des Landeskriminalamtes zuletzt viel größer geworden. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei 3536 Fälle, in denen in NRW Menschen mit einem Messer außerhalb der eigenen Wohnung verletzt oder bedroht wurden – ein Anstieg um 42,6 Prozent im Vergleich zu 2022. 15 Menschen starben im Jahr 2023 in NRW nach Messergewalt.

„Wer sind die, die meinen, sie müssten bewaffnet durch NRW ziehen?“, fragte Reul und lieferte gleich die Antwort: „In 94 Prozent der Fälle sind es Männer. Die Hälfte der Tatverdächtigen ist jünger als 21 Jahre. Täter ohne deutschen Pass sind fast dreimal so stark vertreten wie ihr Anteil an der Bevölkerung.“

Ist einer, der Menschen mit dem Messer bedroht, charakterlich geeignet, Auto zu fahren?

Zu dem „Zehn-Punkte-Plan“ gegen Messergewalt, den die Polizei auf die örtlichen Erfordernisse zuschneiden soll, zählt die Meldung von straffälligen Messerträgern an die Straßenverkehrsbehörden, wie Reul sagte. Sollten bei einer Prüfung Zweifel an der „charakterlichen Eignung, ein Auto zu fahren“ aufkommen, könne künftig der Führerschein entzogen werden.

Weil unter jenen, die mit Messern auffällig werden, auch viele Menschen seien, die in Flüchtlingsunterkünften wohnten, sollen Polizisten in Uniform den Menschen dort erklären, „dass es keinen vernünftigen Grund gibt, im öffentlichen Raum ein Messer mitzuführen“.

Herbert Reul betonte, dass das Konzept gegen Messergewalt keine Reaktion auf den Terroranschlag von Solingen sei, sondern eine Reaktion auf die allgemein steigende Zahl von Straftaten mit Messern: „Terroristen ist es egal, ob sie ein Messer haben oder eine andere Waffe. Es geht hier um die anderen, die auf Straßen und Plätzen unterwegs sind und das Messer in der Tasche haben.“

Opposition wirft dem Land „Versagen“ vor und fordert weiter gehende Maßnahmen

Die Innenexpertin der SPD-Landtagsfraktion, Christina Kampmann, schlug vor, neben Trageverboten und Waffenverbotszonen „auch ein generelles Verbot von Messern im öffentlichen Raum“ zu prüfen, mit Ausnahmen für bestimmte berufliche Verwendungen von Messern.

Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, warf der Landesregierung vor, die Entwicklung bei der Messergewalt „verschlafen“ zu haben. Reuls Zehn-Punkte-Plan sei ein „Eingeständnis des Versagens“.Jung, männlich, messeraffin

„Nicht das Messer macht den Menschen zum Mörder, sondern der Mensch, der es benutzt, macht daraus eine Waffe“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung der Fallzahlen und eines neuen „Konzeptes zur Bekämpfung der Messergewalt im öffentlichen Raum“.

Wie ist die Lage?

Einem neuen Lagebild zufolge ist die Messergewalt im vergangenen Jahr im öffentlichen Raum in NRW um fast 43 Prozent auf 3.540 Fälle gestiegen. Dabei starben 15 Menschen. In rund 35 Prozent dieser Fälle wurde niemand verletzt, sondern „nur“ mit einem Messer bedroht. „Aber auch das macht was mit einem Menschen“, sagte Reul. Schon die Drohung könne Todesängste auslösen.

Im Jahr 2019, als in NRW die Erfassung dieser Delikte begann, war die Zahl der Messer-Straftaten übrigens mit 3420 schon einmal fast so hoch wie im vergangenen Jahr. In der Pandemiezeit gingen die Zahlen deutlich zurück.

Wer sind die Täter?

Fast die Hälfte der ermittelten Tatverdächtigen (48 Prozent) war laut dem Lagebild jünger als 21 Jahre. 8,4 Prozent waren Kinder bis 13 Jahren, jeder Vierte (25,6 Prozent) war im jugendlichen Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Die Zahl der tatverdächtigen Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden stieg zwischen 2022 und 2023 um etwa 50 Prozent.

1440 Messer-Tatverdächtige (45 Prozent) hatten 2023 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, 55 Prozent hatten den deutschen Pass. Im Vergleich zum Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung in NRW, ist der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen „überproportional hoch“, wie Reul sagte.

Unter den Tatverdächtigen Ausländern waren 23,2 Prozent syrische Staatsbürger, es folgten Türken (10,2  Prozent) und Iraker (7,7 Prozent).

Wer sind die Opfer?

Im vergangenen Jahr wurden in NRW 4708 Opfer von Messerangriffen gezählt – ein Anstieg um fast 45 Prozent im Vergleich zu 2022. Die meisten Opfer sind männlich (82,4 Prozent). Etwa 30 Prozent der Opfer sind Jugendliche und Heranwachsende, etwa 40 Prozent zwischen 21 und 40 Jahren alt.

Schwer verletzt wurden nur etwa sechs Prozent der Opfer, meist blieb es bei einer Bedrohung, so die Statistik.

Wo und wann ist das Risiko am größten?

Abends und nachts, vor allem samstags, werden relativ viele Taten mit Messern gezählt. Haupt-Tatorte sind „Straßen und Plätze innerhalb von geschlossenen Ortschaften“. Auch in Bussen und Bahnen gab es recht viele Fälle: Diese Zahl stieg um mehr als 80 Prozent auf 314 an.

Warum gibt es mehr Straftaten mit Messern?

Innenminister Reul nannte am Mittwoch vier „Erklärungsversuche“ :

Erstens: Das Messer diene – aus Unsicherheit oder Angst – zur Selbstverteidigung. „Deutschland ist ein friedliches Land, und Selbstjustiz gibt es hier auch nicht. Wenn etwas passiert, rufen sie bitte die Polizei“, sagte Reul.

Zweitens: Erfahrungen mit Gewalt im Heimatland oder auf der Flucht. „Dass man sich woanders auf der Welt, wo die 110 nicht funktioniert und Rechtsstaatlichkeit ein Fremdwort ist, selbst schützen muss, kann ich mir erschließen. Aber hier ist das nicht notwendig und nicht gewollt“, so Reul.

Drittens: Kriminelle Freunde.

Viertens: der „kulturelle Faktor“, wie Reul sagt. „Unter den Tatverdächtigen ohne deutschen Pass sind Tatverdächtige aus dem arabischen Raum öfter vertreten als Menschen aus anderen Kulturkreisen. Sich zu bewaffnen, hat sicher auch etwas mit Männlichkeitsgehabe zu tun. Nach dem Motto: Seht her, ich bin stark, ich kann kämpfen, ich bin ein richtiger Mann. Diese Art von Männlichkeit passt nicht in unsere Gesellschaft.“

Wie will NRW die Messergewalt bekämpfen?

Mit einem „Zehn-Punkte-Plan“, auf den die Polizeibehörden vor Ort je nach Notwendigkeit zurückgreifen könnten, so die Landesregierung. Es soll mehr „Aktionstage“, geben, an denen Messer verboten sind, zum Beispiel auf Ausgehmeilen. In Köln, Düsseldorf, Bonn, Achen und Bochum habe man damit schon gute Erfahrungen gemacht. Polizisten in Uniform sollen in Flüchtlingseinrichtungen erklären, dass es hier keinen Grund gebe, mit einem Messer herumzulaufen.

Waffentrageverbote für „Intensivtäter“ sind Teil dieses „Werkzeugkastens“. Vorbild ist Dortmund, wo es schon 91 dieser Verbote gibt. Dauer: drei Jahre. Mehr Waffenverbotszonen -- Beispiel ist die Düsseldorfer Altstadt – soll es in NRW geben. Mit der „strategischen Fahndung“ soll die Polizei ihre Möglichkeit nutzen, vorübergehend und in einem bestimmten Gebiet Personen gezielt auch außerhalb von Waffenverbotszonen zu kontrollieren. Das ist rechtlich in NRW schon seit 2018 möglich.

Die mobile Videoüberwachung soll verstärkt genutzt werden. Sie habe eine „stark präventive, abschreckende Wirkung“, meint die Landesregierung. Messer-Tätern könne außerdem der Führerschein entzogen werden, wenn sie nach Einschätzung der Behörden charakterlich nicht geeignet sind, ein Auto zu fahren. Schließlich sollen nach allen Straftaten, bei denen ein Messer benutzt wurde, Beschuldigte persönlich von der Polizei vernommen werden. Bisher müssen diese Personen oft nur einen per Post zugestellten Vernehmungsbogen ausfüllen.

Hat die Polizei das Personal dafür?

„Wir haben nie genug Polizisten, aber wir bekommen nun mehr. Wir sind erstmals seit Jahren wieder im Plus“, sagte Reul. Wenn eine Polizeibehörde einen Schwerpunkt auf die Messerkriminalität legen möchte, könne sie sich auf den Rückhalt des Ministers verlassen. Auch, wenn dann weniger Personal zum Beispiel für den Kampf gegen Einbruchkriminalität zur Verfügung stünde.

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