Essen/Mülheim. Die Zahl der Angriffe mit Stichwaffen in Essen und Mülheim ist um 35 Prozent gestiegen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert Konsequenzen.
Ein gerahmtes Porträtfoto von Rouven L. , daneben zwei Grablichter - wer das Symbol für tiefe Trauer und Anteilnahme nach dem Mord an dem Mannheimer Polizisten auf den Treppenstufen zum Haupteingang des Rüttenscheider Polizeipräsidiums platziert hat, ist nicht bekannt. Es ist jedoch ein Zeichen dafür, wie schockiert auch die Essener Polizei nach der tödlichen Messerattacke auf den jungen Beamten ist, der nur 29 Jahre alt geworden ist, sagt Jörg Brackmann, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für Essen und Mülheim: „Dieser schreckliche Angriff hat unsere Kolleginnen und Kollegen tief getroffen. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Freunden von Rouven L..“
Doch mit Betroffenheit allein ist es nicht getan, damit einher geht für Brackmann die Forderung nach schärferen Waffengesetzen, die das Mitführen von Messern und Stichwerkzeugen in der Öffentlichkeit generell untersagen. Womöglich berechtigte Ausnahmen von einer solchen grundsätzlichen Vorschrift sollten auf ein Minimum beschränkt werden, fordert der GdP-Vorsitzende: In den Reihen der Essener Polizei werde intensiv über die zunehmende „Messerkriminalität“ diskutiert und auch über die Frage, was man dieser alarmierenden Entwicklung zudem präventiv entgegen stellen könne.
35 Prozent mehr Messerangriffe
Allein in Essen und Mülheim ist die Zahl der Messerangriffe von 2022 auf 2023 um 35 Prozent gestiegen, landesweit sogar um 50 Prozent. „Es stellt sich die dringende Frage, warum es in Deutschland erlaubt sein muss, ein Messer mitzuführen“, gibt der GdP-Vorsitzende zu bedenken. Ein Messer habe doch beim Shoppen nichts zu suchen, gehöre nicht in die Schule, nicht auf eine Party oder sonst irgendwohin „außerhalb der Küche“. Brackmann fordert von der Politik, das Waffengesetz so zu überarbeiten, dass das Mitführen von klingenbewehrten vergleichbaren Gegenständen grundsätzlich verboten wird.
In Essen und Mülheim gab es bei über 300 Straftaten mit Messerbeteiligung nur 40 Fälle, bei denen das eingesetzte Messer gegen das aktuelle Waffengesetz verstieß, sprich illegal war wie Einhand- oder Butterflymesser zum Beispiel. „Jeder kann sich vorstellen, dass die anderen 260 Messer keineswegs ungefährlich waren und offensichtlich artfremd genutzt wurden“, erklärt Brackmann: „Wer ein Messer mitführt, hat es bestimmt nicht eingepackt, um einen Apfel zu schälen.“
Auch wenn die Gefährlichkeit solcher Stichwaffen weitestgehend bekannt sein müssten, sind sich gerade Jugendliche weniger der Tatsache bewusst, dass selbst ein Stich ins Bein schnell tödliche Folgen haben kann, wenn große Blutgefäße getroffen werden. „Ein Messer, auch ein kleines, kann bei entsprechender Handhabung so gefährlich wie eine Schusswaffe sein“, warnt der Gewerkschafter.
Ein Ausweg aus einem juristischen Dilemma
Nach einem tödlichen Messerangriff mutmaßlich eines Kindes (13) auf einen Obdachlosen im Dortmunder Hafen hatte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen vor knapp zwei Monaten gefordert, Waffenkontrollen an Schulen und Verbotszonen für Jugendtreffs zu prüfen, um den Kids auf der Straße die Messer zu nehmen. Von der Polizei erfuhr das Vorpreschen allerdings einen Dämpfer.
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Dass Kinder und Jugendliche ein Messer bei sich tragen und es offenbar zunehmend auch einsetzen, sei in der Stadt zwar ein flächendeckendes Problem. Es gebe jedoch keine „Hotspots“, keine Kriminalitätsbrennpunkte nach der Definition des Polizeigesetzes, wo es gehäuft und wiederholt zu Straftaten, Bedrohungen, gefährlichen Körperverletzungen mit dem „Tatmittel Messer“ komme, um ein Verbot und damit die Möglichkeit anlassloser Kontrollen juristisch sauber an ausgewählten Orten zu rechtfertigen, hieß es dazu aus dem Präsidium.
Trageverbote für polizeibekannte Straftäter
Ein Ausweg aus diesem juristischen Dilemma könnte aber unter Umständen ein Projekt sein, mit dem die Dortmunder Polizei das Problem in den Griff zu bekommen hofft: Rund 400 Zeitgenossen hat die dortige Behörde identifiziert, die für ein sogenanntes Waffentrageverbot infrage kommen, durch die Bank polizeibekannte Straftäter, von denen eine konkrete Gefahr ausgehen könnte. Ein Trageverbot gelte zunächst für drei Jahre. Bei einem ersten Verstoß dagegen werden 250 Euro Strafe fällig, beim zweiten 500, danach droht unter Umständen Freiheitsentzug.
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„Wir haben das Dortmunder Modell auf dem Schirm“, sagt Essens Polizeisprecher Hendrik Heyer. Man werde die dort gemachten Erfahrungen mit einem solchen Messertrageverbot, dessen Vorbereitung als auch Überprüfung allerdings sehr arbeitsintensiv ist, auswerten, um zu „schauen, ob das eine Option für Essen sein kann“.
Die Kreisgruppe Essen/Mülheim der Gewerkschaft der Polizei hat zu Spenden für die Familie des im Einsatz getöteten Mannheimer Polizisten aufgerufen. Unterstützung ist möglich über die Polizeistiftung Baden Württemberg, Baden-Württembergische Bank, IBAN: DE48 6005 0101 7871 5214 50, BIC: SOLADEST600, Verwendungszweck: „Rouven“
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