Chicago. Der Vize-Kandidat von Kamala Harris rüttelt die Demokraten nach einem langen Parteitag wach – und seift die Republikaner verbal ein.
Nach Bill Clinton, Stevie Wonder, Oprah Winfrey, John Legend und Dutzenden weiteren prominenten Rednerinnen und Rednern die sichtlich ermatteten Delegierten von den Stühlen zu reißen, ist nicht jedermanns Sache. Es sei denn, man heißt Tim Walz. „Coach” Walz. Mit einer schlichten „Kabinen-Ansprache” ans amerikanische Volk hat der „Running Mate“ an der Seite von Kamala Harris in der Nacht den dritten Teil des Demokraten-Parteitags in Chicago beschlossen.
Und der Gouverneur von Minnesota erhielt lautstarken Beifall. Der langjährige Erdkunde-Lehrer, Football-Trainer, National-Gardist und zweifache Familienvater versteht die Lebenswelt im kleinstädtischen Mittleren Westen als solide Startrampe für die „größte Ehre meines Lebens”, wie er es nannte: die Chance, gemeinsam mit Kamala Harris im Januar 2025 ins Weiße Haus einzuziehen. Eine Aufgabe, für die er sich in seiner Rede mehrfach Anleihen aus dem American Football bediente.
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Die politische Situation gut 75 Tage vor der Wahl beschrieb er so: „Es ist das vierte Quarter. Wir liegen ein Field-Goal hinten. Aber wir sind in der Offensive und haben den Ball”, erklärte er. Nun müsse es darum gehen, mit geschickten Tacklings den Gegner Zentimeter für Zentimeter zurückzudrängen – und schließlich zu gewinnen.
Tim Walz bezeichnet Donald Trump und J.D. Vance erneut als „weird“
Der erst vor drei Wochen auf die nationale Bühne katapultierte Walz nutzte die wenigen Minuten im Scheinwerferlicht, um sich erneut als bodenständiger Normalo zu präsentieren, der sich gemeinsam mit Harris auf die Fahnen geschrieben hat, die „Fröhlichkeit” zurück in den politischen „Kampf” bringen zu wollen. Erneut nannte er die politische Agenda der republikanischen Herausforderer „weird” (seltsam) und unerbeten.
Stolz zeigte er auf seine Pädagogen-Laufbahn: „Unterschätzt niemals Lehrer einer öffentlichen Schule.” Erneut bemühte er im Kontrast zur Interventionswut der Republikaner sein gesellschaftspolitisches Mantra: „Kümmert euch um euren eigenen Kram” („mind your own damn business“). Der Mann hat etwas vom rheinischen Leben-und-leben-lassen – aber mit Kümmerer-Note.
„Die Familie am Ende der Straße denkt vielleicht nicht so wie Sie, sie betet vielleicht nicht so wie Sie, sie liebt vielleicht nicht so wie Sie. Aber diese Menschen sind unsere Nachbarn. Also muss man sich um sie kümmern und sie sich um einen.” Walz, dessen Vorfahren aus dem badischen Kuppenheim stammen, verkörpert einen Politiker-Typus, der es in den vergangenen 50 Jahren nie aufs oberste US-Parkett geschafft hat: Walz hat nichts Ost- oder Westküstenallürenhaftes an sich.
Tim Walz linksradikal? Harris‘ Vize reagiert schlagfertig
Er spricht die einfache, klare Sprache von „fly over”-Amerika, jene riesigen Landstriche, die überwinden muss, wer von New York nach Los Angeles will. Jene Regionen, wo sich eine Underdog-Mentalität festgesetzt hat. Gepaart mit dem Gefühl von denen da in Washington belächelt zu werden. Jenem Washington, wo Walz über zehn Jahre Jahre als Kongress-Abgeordneter tätig war und sich den Ruf des uneitlen Kompromisse-Schmieds erworben hat.
In landwirtschaftlich und industriell geprägten Bundesstaaten kann Walz, der ein leidenschaftlicher Jäger und Angler ist, mit seiner unprätentiösen Art Wählerschichten erreichen, die mit der aus San Francisco stammenden Juristin Harris vielleicht nicht auf Anhieb warm werden. Das war ein Kalkül bei seiner Auswahl. Und Walz lieferte bereits prächtig.
Als er unlängst im TV damit konfrontiert wurde, dass seine Schul-Politik als Gouverneur (unter anderem kostenloses Essen) als linksradikal empfunden werde, konterte der schlagfertige Redner mit einem Schmunzeln: „Was für ein Monster! Kinder haben einen vollen Magen und können was lernen.” Um zu beglaubigen, dass Walz authentisch ist und nicht am Reißbrett geklont wurde, kamen per Video ehemalige Schüler zu Wort, die an seinen nimmermüden, selbstlosen Einsatz erinnerten.
Ex-Präsident Donald Trump versucht, Tim Walz zu zerstören
Unterdessen versucht Team Trump, Walz‘ nach Kräften zu zerstören. Man zweifelt an seiner Militär-Karriere, gräbt einen uralten Fall von Trunkenheit am Steuer aus und versucht mit Haarspaltereien zu punkten, wenn es darum geht, mit genau welcher Methode (In-vitro-Fertilisation oder nicht) Walz und seine Frau Gwen es dereinst geschafft haben, Tochter Hope und Sohn Gus auf die Welt zu bringen. Dazu wird die Bilanz als Gouverneurs ins Visier genommen.
Unter Walz‘ Führung verankerte Minnesota das Recht auf Abtreibung in der Bundesstaats-Verfassung, legalisierte den Konsum von Marihuana zu privaten Zwecken, verpflichtete Arbeitgeber zur Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und erweiterte Hintergrund-Kontrollen vor dem Kauf von Schusswaffen. Alles Themen, die von Trump und seinem Vize-Kandidaten J.D. Vance als links-progressiv bis marxistisch abgekanzelt werden.
Bislang ohne größeren Erfolg. Mit jeder Umfrage steigt Walz‘ Beliebtheitskurve. Während Trumps zweiter Mann, der sich mit Bemerkungen über kinderlose Frauen („Katzenladys”) in die Nesseln gesetzt hat, in der Gunst der Amerikaner sinkt.
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Am 1. Oktober, das ist Walz‘ fester Vorsatz, will er Vance bei der einzigen TV-Debatte der Vize-Kandidaten formvollendet argumentativ von den Beinen holen und mit seinem All-American Papa-Charme punkten. Dem „Touchdown” im Fernsehen wird niemand mehr entgegenfiebern als Gattin Gwen. Auch sie eine Lehrerin und Football-Anhängerin. Als Tim Walz das Team seiner Highschool als „Coach” übernahm, trainierte sie die „Cheerleader”-Mädchen der Mankato West Highschool.
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