Berlin. Der Militärexperte Carlo Masala erläutert, was beim Duell Trump gegen Harris für die Ukraine und die Nato auf dem Spiel steht.
Professor Masala, im US-Wahlkampf werden die Karten neu gemischt. Wen würde Russlands Machthaber Wladimir Putin wählen, wenn er denn könnte? Und für wen würde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stimmen?
Carlo Masala: Putin würde Donald Trump wählen. Und Selenskyj Kamala Harris, die wahrscheinlich für die Demokraten antreten wird.
Warum?
Trump ist zwar unberechenbar. Aber Putin kann sich berechtigte Hoffnung machen, dass er als US-Präsident die Hilfen für die Ukraine einstellt. Wenn die Europäer nicht in die Bresche springen, könnte der Widerstand der Ukrainer schnell in sich zusammenfallen.
Und Harris?
Über deren außenpolitische Orientierung wissen wir wenig, das Thema steht bislang nicht im Zentrum ihrer Arbeit. Aber Harris ist mehrfach auf der Münchner Sicherheitskonferenz aufgetreten und hat dort die Entschlossenheit der USA betont, die Ukraine weiter zu unterstützen. Das ging graduell sogar noch über Einlassungen des scheidenden Präsidenten Joe Biden hinaus.
Wird Russland versuchen, mit Desinformation in den US-Wahlkampf einzugreifen?
Ja, Putin wird wieder seine Troll-Armeen losschicken. Das geschieht auch schon. Das wäre aber auch der Fall, wenn Biden im Rennen geblieben wäre.
Trump will amerikanische Sicherheitsgarantien für Europa davon abhängig machen, ob die hiesigen Nato-Staaten genügend Geld für Verteidigung ausgeben. Was hätte die Nato von einer Präsidentin Harris zu erwarten?
Grundsätzlich dürfte Harris so wie Biden fest zum Bündnis stehen. Das ist die Linie der US-Demokraten. Aber auch sie dürfte verlangen, dass die Europäer mehr Verantwortung übernehmen. Da sollte man sich nicht täuschen: In beiden Parteien in den Vereinigten Staaten herrscht die Auffassung vor, dass die europäischen Nato-Staaten zu wenig tun und deutlich mehr Geld für ihre eigene Sicherheit in die Hand nehmen müssen.
Das bedeutet: Aus der Nummer kommt Europa nicht mehr heraus?
So ist es. So wie Biden dürfte Harris entsprechende Forderungen freundlich-diplomatisch vortragen, in der Sache aber bestimmt. Trump hingegen würde rhetorisch ganz anders auf die Pauke hauen. Wir haben das in seiner ersten Amtszeit gesehen.
Die CDU/CSU wirft der Bundesregierung vor, sich nicht oder nur unzureichend auf eine mögliche zweite Amtszeit Trumps vorzubereiten. Was halten Sie von diesem Vorwurf?
Ich finde, dass sich die Bundesregierung zu wenig auf die eben skizzierten ganz grundlegenden Veränderungen im europäisch-amerikanischen Verhältnis vorbereitet. Was eine mögliche zweite Amtszeit Trumps betrifft, so ist die Sache heikel: Natürlich kann man versuchen, jetzt schon Kontakte zu seinem Umfeld zu knüpfen – damit man nicht Gefahr läuft, nach den Wahlen im November bei null anfangen zu müssen. Das geschieht ja auch. Beim Parteitag der US-Republikaner vergangene Woche in Milwaukee waren der deutsche Botschafter, der Nordamerika-Koordinator und diverse deutsche Abgeordnete unterwegs. Zugleich muss die Bundesregierung aufpassen, dass bei den regierenden US-Demokraten jetzt nicht der Eindruck entsteht, Berlin glaube nicht an ihren Wahlsieg.
Gibt es eine Vorbereitung, die über das bloße Kontakteknüpfen hinausgeht?
Ich hoffe, dass sich die deutsche Regierung schon jetzt ganz grundsätzliche Fragen stellt. Etwa wie sie reagieren würde, wenn Trump amerikanische Truppen aus Europa zurückzöge. Oder was zu tun wäre, wenn er in der Nato nicht mehr nur Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent, sondern von drei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung einfordern würde. Oder ob Europa in der Lage wäre, einen möglichen Stopp der amerikanischen Militärhilfe für die Ukraine zu kompensieren. Solche Fragen diskutiert man als Regierung allerdings am besten hinter verschlossenen Türen und nicht in der Öffentlichkeit.
Die USA wollen ab 2026 wieder Mittelstrecken-Raketen in Deutschland stationieren. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnt vor einem Eskalationsrisiko. Hat er recht?
Mützenich warnt davor, dass Spannungen mit Russland wegen kurzer Vorwarnzeiten der Systeme unbeabsichtigt eskalieren könnten. Theoretisch hat er recht. Wir wissen allerdings gar nicht, ob und wie Putin auf die Stationierung der US-Raketen reagieren wird – etwa durch die Verlegung eigener Systeme. Da gibt es keinen Automatismus. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Russland in Kaliningrad längst Atomwaffen stationiert hat, die sehr viele Punkte in Westeuropa konkret bedrohen. Jetzt zieht der Westen nach, aber nur konventionell und nicht nuklear. Insofern verkennt Mützenich, wer der eigentliche Verursacher der verschlechterten Sicherheitslage ist und wer versucht, das Niveau der Abschreckung zu erhöhen.
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