Berlin. Trump hält Selenskyj für einen Verkäufer. Einen Deal wird er eher mit Putins Russland machen. Selenskyj lotet in den USA seine Chancen aus.

Die US-Wahl elektrisiert. Richtig viel auf dem Spiel steht für die Ukraine: ihre Existenz womöglich. Noch einmal ist ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj in den USA und trifft seinen Schutzengel, US-Präsident Joe Biden, noch einmal winkt ein Waffenpaket – und danach?

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Wer Reden und Interviews davor und schließlich seinen Auftritt vor der UNO in New York verfolgt hat, dem fällt unschwer ein zeitlicher Bezug auf: Selenskyjs „Siegesplan“ sieht schnelle und konkrete Schritte „in der Zeit vom heutigen Tage bis Ende Dezember“ vor.

Neustart der Ukraine-Politik

Das entspricht Bidens „Restlaufzeit“. Wer eigentlich erlebt hier den Herbst seiner Karriere, nur Biden? Selenskyj redet natürlich auch mit beiden Spitzenkandidaten, mit Kamala Harris von den Demokraten und Donald Trump von den Republikanern. Wer auch immer das Rennen macht, unerbittlich kommt es zum Neustart der Ukraine-Politik.

Trump sagt über Selenskyj: „Ich glaube, er ist der größte Verkäufer der Welt.“ Aus dem Mund eines Mannes, der Politik wie ein Geschäft betreibt – von Deal zu Deal –, klingt es respektvoll. Jedes Mal, wenn der Mann aus Kiew in die USA komme, „nimmt er 100 Milliarden Dollar mit“, sagt Trump vor seinen Anhänger in einer Wahlkampf-Veranstaltung in Georgia. Sie verstehen: Mit ihm endet die Großzügigkeit. Raus, nichts wie raus aus dem Konflikt.

Abschreckendes Beispiel: Afghanistan

Das ist ernstzunehmen. Schon beim Afghanistan-Krieg war es Trump, der auf einen Abzug drängte. Auch wenn sich der politische und militärische Debakel mit dem Namen Biden verbindet, so war es die Trump-Regierung gewesen, die schon im Februar 2020 mit ihrem Doha-Abkommen die Grundlage legte: Eine Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban, ohne Beteiligung der damaligen afghanischen Regierung.

Auf seine Unterstützung konnte er sich verlassen: Selenskyj mit US-Präsident Biden.
Auf seine Unterstützung konnte er sich verlassen: Selenskyj mit US-Präsident Biden. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Adam Schultz/White House

Selenskyj kennt die Haltung, vor allem kennt er die Position von Vize-Kandidat J.D. Vance. In einem Interview sagte Vance, Trump werde sich mit Russen, Ukrainern und Europäern zusammensetzen und sagen: „Ihr müsst herausfinden, wie eine friedliche Lösung aussehen kann.“

Ein Trump-Deal auf Kosten der Ukraine?

Die Russen würden das Land behalten, das sie erobert haben, und entlang der aktuellen Frontlinien würde eine entmilitarisierte Zone eingerichtet. Die Ukraine werde „weder der NATO noch irgendwelchen anderen alliierten Institutionen beitreten“, so Vance. „Ich denke, so sieht es letztlich aus.“

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Das kommt in den Grundzügen den Vorstellungen von Kremlchef Wladimir Putin nahe: Konflikt einfrieren, Fakten schaffen, die Ukraine teilen und isolieren. So sehr Selenskyj auf einen Lösungsansatz in diesem Herbst drängt, so sehr ist Putin daran interessiert, die US-Wahl am 5. November und die Amtseinführung der oder des künftigen Präsidenten Anfang 2025 im Januar abzuwarten. Folgerichtig spricht Selenskyj von einem „Siegesplan“. Er weiß, dass er bis Januar wohl kaum den Frieden auf Verhandlungswegen erreichen kann, nicht zu einem akzeptablen Preis. Selensky vor der UNO: „Russland kann nur zum Frieden gezwungen werden, und genau das ist nötig.“

Ukraines Präsident Selenskyj und Kamala Harris bei der Münchner Sicherheitskonerenz.
Ukraines Präsident Selenskyj und Kamala Harris bei der Münchner Sicherheitskonerenz. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tobias Schwarz

Harris steht eher für Kontinuität

Ein demokratischer Präsident bietet die größte Aussicht auf Kontinuität, also Harris. Im Sommer war sie Selenskyjs Einladung zum Friedensgipfel in der Schweiz gefolgt. Selenskyj kann sie an ihren Worten messen:

  • Kamala Harris kündigte ein Hilfspaket von mehr als 1,5 Milliarden Dollar an;
  • und rief dazu auf, „Diktatoren die Stirn zu bieten“, selbstredend war Putin gemeint.
  • Zu Selenskyj sagte sie, „die USA teilen Ihre Vision“. Das Ende des Krieges dürfe nicht ohne die Ukraine bestimmt werden. 

Harris begründet Feuerschutz für die Ukraine

Bemerkenswert war ihre Begründung: „Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist.“ Die Bedingungen von Kremlchef Wladimir Putin für Friedensverhandlungen wies sie als abwegig zurück. „Er ruft nicht zu Verhandlungen auf, er ruft zur Kapitulation auf.“

Putin stellt eine direkte Bedrohung für amerikanische Interessen in Europa dar. Für viele Außenpolitiker und Militärs in Washington ist es deswegen ein Wert an sich, dass Putin den Ukraine-Krieg nicht gewinnt. Auf den Einfluss solcher Sicherheitskreise hofft Selenskyj. Er weiß: „Nicht alles hängt von uns ab.“

Trump bei der Eitelkeit packen?

Bereits unmittelbar ach dem Rückzug von Biden hatte der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, Kontakt zum Harris-Berater Philip Gordon aufgenommen. Der Amerikaner gilt als möglicher neuer Sicherheitsberater, falls Harris die US-Wahl gewinnen sollte. Selenskyj zieht alle Strippen, die er nur ziehen kann.

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Selenskyj kann sehr einnehmend sein. Er hat Trump gleich nach der Nominierung gratuliert und mit ihm Treffen verabredet, um die Schritte zu „einem gerechten und wirklich dauerhaften Frieden“ zu klären. Wenn es gelingt, Trumps Ansehen als Führungsfigur an einen Friedensvertrag zu knüpfen, hätte er den Republikaner an seiner Eitelkeit gepackt, eine plausible Strategie. Wenn Trump die Wahl gewinnt, werden die Gespräche mit ihm eine harte Probe werden –  auf Selenskyjs Verkäufer-Qualitäten.