Berlin. Präsident Joe Biden wankt, der Wahlkampf ist dramatisch wie selten zuvor. Experte Julius van de Laar über eine turbulente Woche.
Herr van de Laar, am vergangenen Samstag fielen die Schüsse auf Donald Trump, dann fand der Nominierungsparteitag der Republikaner statt. Jetzt scheint ein Rückzug Joe Bidens wahrscheinlich, der Präsident ist auch noch an Corona erkrankt. War das die alles entscheidende Woche im US-Wahlkampf – oder kommt da noch was?
Diese Woche hat alles in den Schatten gestellt, was ich in den vergangenen 20 Jahren in US-Wahlkämpfen erlebt habe. Noch ist aber nichts entschieden. Ich halte es auch für möglich, dass die Dramatik noch einmal zunimmt. Wie die Wahl im November ausgeht, kann niemand seriös vorhersagen.
Was wird von dieser Woche bleiben?
Das Attentat auf Trump sticht in jedem Fall heraus. Politisch relevant ist aber auch die Inszenierung, die darauf folgte. Das begann in dem Moment, als Trump die Faust in den Himmel streckte und setzte sich fort mit einem perfekt durchorchestrierten Parteitag in Milwaukee. Bei Joe Biden hingegen wird von Tag zu Tag deutlicher, dass die Kraft bei ihm schwindet, den immer lauter werdenden Stimmen aus der eigenen Partei etwas entgegenzustellen. Die mächtigsten Figuren der Demokratischen Partei stellen sich inzwischen gegen ihn — und auch die beliebteste: Ex-Präsident Barack Obama.
Zum Abschluss des Republikaner-Parteitags hat Donald Trump in der Nacht zu Freitag gesprochen. Wie haben Sie seine Rede erlebt?
Ich fand bemerkenswert, dass er am Ende doch nicht die Disziplin hatte, der Linie der Wahlkampf-Strategen zu folgen und sich als „Neuer Trump“ zu inszenieren. Erst gab er den Versöhner, aber dann spielte er doch wieder seine Greatest Hits ab und feuerte Breitseiten gegen den politischen Gegner indem er Joe Biden für jedes Problem Amerikas verantwortlich machte.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Hat Trump seinen Auftritt verbockt?
Er hat durch die mangelnde Disziplin nicht alles rausgeholt — dennoch war die Inszenierung des Parteitags ein voller Erfolg. Über mehrere Tage hinweg wurde eine konkrete Botschaft verbreitet: Die der Stärke Trumps – im Kontrast zur Schwäche Bidens. Die unsichere Welt da draußen – und die Notwendigkeit, sich ihr mutig und geschlossen entgegenzustellen. Das ist zu 100 Prozent rübergekommen. Nur Trump wich davon ab. Aber das dürfte ihm kaum schaden. Denn nur wenige Wähler werden seine Rede in voller Länge zur Kenntnis nehmen. Die meisten sehen sorgsam kuratierte Film-Schnipsel in den Sozialen Medien sehen, die die gewünschten Botschaften transportieren.
Was ist los bei Joe Bidens Demokraten?
Auf der Seite der Demokraten herrscht Revolution. Das ging schon in den vergangenen Wochen los nach Bidens desaströsem Auftritt im TV-Duell gegen Trump. Das Attentat auf Trump hat Biden noch mal Luft verschafft, so merkwürdig das klingen mag. Denn angesichts dieser Situation sind die Debatten über den gesundheitlichen Zustand des Präsidenten erst einmal etwas stiller geworden. Das hat sich mit dem fulminanten Parteitag der Republikaner wieder verändert. Viele demokratische Kongress-Abgeordnete befürchten jetzt, dass sie im Herbst ihre Mandate verlieren könnten. Für sie ist Biden inzwischen ein gigantischer Klotz am Bein. Inzwischen melden sich immer mehr prominente Demokraten zu Wort. Nancy Pelosi etwa, die langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses. Auch Ex-Präsident Obama soll intern Zweifel an Biden geäußert haben.
Was passiert, wenn Biden tatsächlich aufgibt?
Mehrere Szenarien sind vorstellbar. Entweder einigt sich die Partei sofort auf Kamala Harris als Kandidatin oder es kommt zu einem Wettstreit zwischen verschiedenen Bewerberinnen um die Kandidatur. Das würde entweder die Partei beflügeln und das Interesse des Publikums an den Demokraten neu entfachen. Oder die Auseinandersetzung führt ins Chaos, die Partei bricht vor der Wahl in sich gespalten zusammen.
Wäre es auch denkbar, dass Biden jetzt als Präsident zurücktritt, den Staffelstab an Vizepräsidentin Kamala Harris übergibt und diese dann mit einem Amtsbonus in den Wahlkampf gehen kann?
Auch das ist denkbar, erscheint mir aber als unwahrscheinlich. Ich denke nicht, dass Biden so schnell und so abrupt aus der Politik aussteigen möchte. Und was Harris betrifft: Umfragen zeigen zwar, dass sie Trump schlagen könnte. Gleichwohl hat auch sie Defizite. Ihre Schwachstelle ist die Einwanderungspolitik, für die sich in der Biden-Regierung zuständig war. Also im Grunde die Frage der Grenzsicherung zu Mexiko. Das würden Trump und seine Leute im Wahlkampf zu nutzen wissen.
Biden hat es bislang immer strikt abgelehnt, sich aus dem Rennen zu verabschieden. Wie könnten er und die Demokratische Partei jetzt einen Rückzieher begründen?
Biden kann auf sein Alter verweisen und sagen, dass die vergangenen Wochen zu anstrengend für ihn gewesen seien. Jetzt ist ja auch noch Covid dazugekommen. Er könnte sagen: Die Welt braucht meine volle Aufmerksamkeit, die Lage ist zu volatil, da will ich jetzt keinen Wahlkampf machen.
Und was könnten die Demokraten sagen?
Sie stehen im Grunde vor der Aufgabe, Biden eine goldene Brücke zu bauen. Er muss das Gefühl haben, aufrechten Ganges aus der Situation herauszukommen und nicht vom Hof gejagt zu werden. Kommunikativ bedeutet das: Die Demokraten müssten jetzt auf allen Kanälen verbreiten, was Joe Biden als Präsident und in seinem langen Politikerleben davor für das Land geleistet hat. Seine Bilanz als Präsident ist außergewöhnlich: Er hat nach der Coronakrise Wirtschaft und Arbeitsmarkt wieder auf Touren gebracht, er hat den Klimaschutz vorangetrieben, die Ukraine unterstützt, die Nato wiederbelebt, Russland und China die Stirn geboten. All das sollten die Demokraten jetzt betonen. Aber wenn Biden tatsächlich zurückzieht, müssen sie auch in der Lage sein, schnell den Schalter umzulegen.
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