Berlin. Eine Studie offenbart die Sorge vieler Menschen vor bekifften Autofahrern, die Polizei warnt vor Überforderung. Und Versicherer mahnen.

Im Bundesgesetzblatt soll der neue Grenzwert für Cannabis am Steuer noch in diesem Sommer veröffentlicht werden. Dann ist amtlich, was der Bundesrat schon in der vergangenen Woche gebilligt hatte: Künftig sollen bis zu 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blut im Straßenverkehr erlaubt sein. Vorher galt ein Grenzwert von maximal einem Nanogramm THC/ml Blutserum.

Dass nun deutlich mehr Autofahrer unter Cannabis-Einfluss unterwegs sind als zuvor, macht vielen Deutschen allerdings Angst. Das zeigt eine neue repräsentative Umfrage des Vergleichsportals Verivox, die dieser Redaktion exklusiv vorliegt. Demnach gehen 81 Prozent der Befragten davon aus, dass die Legalisierung zu mehr Fahrten unter Drogeneinfluss führen wird. Drei von vier Befragten befürchten mehr Verkehrsunfälle.

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Gleichzeitig gaben fast zwei Drittel der Umfrageteilnehmer an, die Wirkung von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit nicht richtig einschätzen zu können. Auch unter den Befragten, die angeben, regelmäßig oder gelegentlich Cannabis zu konsumieren, erwartet eine Mehrheit von 55 Prozent eine Zunahme von Verkehrsunfällen. Dass die Teillegalisierung zu mehr Fahrten unter Drogeneinfluss führen wird, glauben 70 Prozent der Cannabiskonsumenten.

Cannabis und Autofahren: Auch Versicherungsexperten warnen

Versicherungsexperten warnen davor, unter dem Einfluss der Droge ein Fahrzeug zu führen. „Wer unter dem Einfluss von Cannabis einen Unfall verursacht, riskiert seinen Versicherungsschutz“, sagte Wolfgang Schütz, Geschäftsführer der Verivox Versicherungsvergleich GmbH, dieser Redaktion. „Der Versicherer übernimmt zwar wie beim Alkoholkonsum zunächst den Schaden, kann das Geld aber vom Versicherten wieder zurückfordern.“

Bekifft ans Steuer? Bundestag beschließt Grenzwert

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    Der Bundestag hatte nach langem politischen Ringen im Februar das Cannabisgesetz beschlossen und damit Besitz und Konsum zumindest teilweise entkriminalisiert. Erst etwas später einigte man sich auf Grundlage der Empfehlung einer Expertenkommission auf einen neuen, höheren THC-Grenzwert im Straßenverkehr. Eine Daumenregel – analog zum Glas Wein oder Bier beim Alkohol – steht noch nicht fest. Polizeigewerkschaften, Automobilclubs und auch einige Innenminister der Länder hatten vor einem Heraufsetzen des Wertes gewarnt.

    Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dieser Redaktion, die Legalisierung von Cannabis mache die Droge gesellschaftsfähig. „Doch wie jede Droge hat auch Cannabis Nebenwirkungen, die sich vor allem auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken“. Im Fahrzeugverkehr könne aber mangelnde Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit schlichtweg tödlich sein. „Ich bleibe daher dabei. Die Cannabis-Legalisierung wird aller Voraussicht nach zu steigenden Unfallzahlen führen“, so Reul weiter.

    ADAC rechnet mit schlimmen Folgen für die Verkehrssicherheit

    Auch der ADAC ist der Ansicht, dass Personen, die unter der Wirkung von Cannabis stehen, kein Kraftfahrzeug führen sollten. „Der Konsum von Cannabis ist unter anderem mit Einschränkungen der Konzentration und Aufmerksamkeit sowie einer Verlängerung der Reaktions- und Entscheidungszeit verbunden“, sagte ADAC-Sprecherin Katharina Lucà dieser Redaktion. „Dies kann im Straßenverkehr zu fatalen Folgen führen.“

    Der GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens hält nichts von Cannabis im Straßenverkehr.
    Der GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens hält nichts von Cannabis im Straßenverkehr. © picture alliance / Roland Weihrauch/dpa | Roland Weihrauch

    Der Automobilclub warnt, dass die Folgen des Kiffens viel schwerer einzuschätzen seien als etwa beim Alkohol. „Eine klare Konzentrations-Wirkungsbeziehung nach dem Konsum von Cannabis ist nicht gegeben, daher ist es für Konsumenten schwer bis unmöglich, die beeinträchtigende Wirkung realistisch abzuschätzen“, sagte Lucà. Der ADAC forderte eine intensive Aufklärung zu den erhöhten Unfallrisiken und spricht sich für eine einfache Verhaltensregel aus: Wer kifft, fährt nicht und wer fährt, kifft nicht.

    Ähnlich äußerte sich auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gegenüber unserer Redaktion. „Unser Credo als GdP ist die Vision Zero. Wir wollen die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle auf null führen“, erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens. Die neue Umfrage decke sich mit den eigenen Prognosen, die die Gewerkschaft angestellt hat. „Die Legalisierung führt zu einem erhöhten Konsum. Der wirkt sich zwangsläufig auch auf Fälle von Fahruntüchtigkeit aus. Wir sehen das als ein Experiment auf Kosten eines sicheren Straßenverkehrs“, so Mertens weiter.

    USA und Kanada melden mehr Fahrten unter Cannabiseinfluss

    Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) verweist auch auf Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten und aus Kanada. Wissenschaftlich dokumentiert sei, dass die Legalisierung von Cannabis mit einem signifikanten Anstieg der Fahrten unter dem Einfluss des Rauschmittels einhergehe und in einem direkten Zusammenhang mit dadurch steigenden Verkehrsunfallzahlen stehe.

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    Im Bundesstaat Washington sei etwa die Beteiligung von unter THC-Einfluss gestandenen Fahrern an tödlichen Unfällen von 9,3 auf 19,1 Prozent gestiegen, so die Polizeigewerkschaft. „Die Anhebung des THC-Grenzwertes im Straßenverkehr stellt einen Schritt in die falsche Richtung dar und ist mit der von der Bundesregierung adaptierten Vision Zero nicht in Einklang zu bringen“, sagte Marco Schäler, Geschäftsführer der DPolG-Kommission Verkehr, dieser Redaktion.

    Mehrheit der Deutschen für verpflichtende Drogentests

    In jedem Fall bedeutet der höhere Cannabis-Grenzwert Mehraufwand für die Polizistinnen und Polizisten bei Verkehrskontrollen. Die DPolG spricht von einem „nicht unerheblichen Anpassungsbedarf in der polizeilichen Verkehrsüberwachung“. GdP-Chef Mertens ergänzt: „Alle 16 Landespolizeien sowie die Bundespolizei müssen jetzt selbstständig Vortestverfahren bestellen, die den neuen THC-Grenzwert abbilden können. Bis es so weit ist, kann nur getestet werden, ob der Fahrer Cannabis konsumiert hat. Gegebenenfalls ist dann eine Blutprobe erforderlich.“

    Die Polizei kann bei einem Verdacht oder nach einem Unfall einen Alkohol- oder Drogentest anordnen. Bei bestimmten Schäden – zum Beispiel einem Parkrempler – ist allerdings kein Eingreifen der Polizei vorgeschrieben. In der Verivox-Umfrage sprechen sich 77 Prozent der Deutschen für verpflichtende Drogentests nach jedem Verkehrsunfall aus. 14 Prozent sind unentschlossen.