Berlin. Das neue Wehrmodell setzt auf Freiwilligkeit – doch es enthält auch verpflichtende Elemente. Alle wichtigen Fragen beantwortet.
Boris Pistorius hat eine klare Mission an diesem Mittwoch. „Wir wollen die Besten und die Motiviertesten“, sagt der Verteidigungsminister. Pistorius will die Bundeswehr schlagkräftiger machen – und Deutschland sicherer. Der Verteidigungsminister plant dafür eine Wehrreform, die aber deutlich hinter der allgemeinen Wehrpflicht früherer Jahre zurückbleibt. In einem ersten Schritt geht es dem Sozialdemokraten um den Aufbau einer Wehrerfassung. Wer wird künftig für die Bundeswehr rekrutiert? Wie soll die Truppe größer werden? Und welche Kritik gibt es?
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Wie sieht der Plan von Pistorius aus?
Das neue Wehrmodell setzt auf Freiwilligkeit – doch es enthält auch verpflichtende Elemente. Die zentrale Reform beinhaltet, dass alle 18-jährigen Männer und Frauen künftig einen Fragebogen erhalten. Während die etwa 400.000 Männer eines Jahrgangs diesen zwingend ausfüllen müssen, bleibt dies für Frauen freiwillig. Füllen Männer den Fragebogen nicht aus, kann ein Bußgeld drohen. Auf Basis dieser Fragebögen entscheidet die Bundeswehr, wer zur Musterung eingeladen wird, und wählt die Geeignetsten und Motiviertesten aus. Pistorius spricht von einem „Auswahlwehrdienst“. Rund 40.000 Interessierte sollen eingeladen werden, das Erscheinen zur Musterung ist ebenfalls Pflicht.
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Pistorius hofft, dass der online verschickte Fragebogen das Interesse junger Menschen an der Bundeswehr weckt. Zusätzlich zu den bisher rund 10.000 freiwilligen Wehrdienstleistenden will Pistorius ab 2025 bis zu 5.000 weitere Wehrdienstleistende ausbilden. Mehr sei auf Grundlage der aktuellen Kapazitäten nicht möglich, sagte der Minister. Die Kosten am Anfang für Erfassung, Musterung und Ausbildung der 5000 neuen Werhdienstleistenden schätzt der Minister auf rund 1,4 Milliarden Euro.
Die Kapazitäten der Bundeswehr sollen aber ausgebaut werden und die Zahl der Wehrdienstleistenden damit in den Folgejahren ansteigen. Pistorius geht davon aus, dass sich genügend Freiwillige finden, um den Bedarf der Truppe zu decken. Sollte dies nicht gelingen, müsse es im Bedarfsfall auch verpflichtende Elemente geben, kündigte der Minister an. Darüber gingen die Meinungen aber auseinander, räumte Pistorius ein. Das gilt auch für seine Partei, die SPD. Der Vorsitzende des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, begrüßte die Pläne grundsätzlich. Um mehr Nachwuchs für die aktive Truppe zu finden und die Reserve zu stärken, „wird es jedoch auf lange Sicht nicht ohne Wehrpflicht gehen“, sagte Sensburg dieser Redaktion..
Wie lange soll der Wehrdienst dauern?
Angeboten wird eine Grundausbildung von sechs Monaten, mit der Option auf Verlängerung auf bis zu 23 Monate. Die Vergütung soll ähnlich wie beim bestehenden freiwilligen Wehrdienst sein. Die Wehrdienstleistenden sollen nach dem aktiven Dienst in die Reserve grundbeordert werden. Dazu gehört ein jährliches Training zusammen mit der aktiven Truppe und anderen Reservisten. Im Spannungs- und Verteidigungsfall könnten sie dann nach den Vorstellungen von Pistorius für die Landes- und Bündnisverteidigung herangezogen werden.
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Warum braucht es mehr Soldaten?
Trotz einer Personaloffensive ist die Bundeswehr im vergangenen Jahr auf 181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft. Pistorius ließ deshalb und unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Modelle einer Dienstpflicht prüfen. Er nennt als langfristiges Personalziel für die Bundeswehr 460.000. Davon 203.000 im aktiven Heer, der Rest in der Reserve. Diese Zahlen sind in Zeiten des Fachkräftemangels auch in der Wirtschaft schwer zu erreichen. „Wir müssen diesen Aufwuchs hinbekommen“, sagt Pistorius.
Mit dem neuen Wehrdienst will der Minister ausdrücklich nicht die aktuelle Personallücke stopfen, sondern für den Ernstfall die Reserve vergrößern. Pistorius will die Bundeswehr „kriegstüchtig“ machen. Der Verteidigungsminister warnt, dass Russlands Staatschef Wladimir Putin bis 2029 so stark aufgerüstet haben könnte, dass er die Nato angreift. Für diesen Fall will der Minister die Voraussetzung schaffen, auf eine größere Reserve zurückgreifen zu können: „Wir müssen glaubhaft abschreckungsfähig sein.“
Warum sind nur Männer verpflichtet, auf das künftige Schreiben für die Bundeswehr zu antworten?
Die Ursache hierfür liegt im Grundgesetz. Für eine Dienstpflicht junger Frauen müsste die Verfassung geändert werden. Für eine Grundgesetzänderung fehlen derzeit die politischen Mehrheiten. Pistorius verweist zudem darauf, dass er schnell die Grundlagen für den neuen Wehrdienst schaffen will. Eine Grundgesetzänderung kostet viel Zeit.
Die FDP sieht die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen kritisch. FDP-Politiker Marcus Faber, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, sagte dieser Redaktion: „Sollte der Dienst künftig über die Freiwilligkeit hinausgehen, kann man keine Diskriminierung beim Geschlecht und Alter ohne Grund durchführen. Wenn es um verpflichtende Maßnahmen geht, braucht es möglicherweise auch eine Grundgesetzänderung. Damit Männer und Frauen gleichermaßen verpflichtet werden können.“
Wie könnte der gesetzliche Rahmen der Pläne aussehen?
2011 wurde der Grundwehrdienst ausgesetzt, nicht die Wehrpflicht. Pistorius will ihn nun in neuer Form wieder einführen, was Änderungen im Wehrpflicht- und Soldatengesetz erfordert. Noch in dieser Legislaturperiode sollen der „Neue Wehrdienst“ gesetzlich verankert und die Bundeswehr dafür vorbereitet werden. Der Minister spricht allerdings von einem „Einstieg“, weitere Schritte sollten und müssten folgen.
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Wie reagiert die Ampelkoalition auf die Pläne von Pistorius?
Gegen die Wiedereinführung eines verpflichtenden Wehrdienstes gab es zuletzt vor allem in Teilen der SPD deutlichen Widerspruch. Das nun vorgeschlagene Modell ist aber weniger weitreichend. Die SPD-Fraktion unterstützt den Minister. „Im Verteidigungsfall brauchen wir eine stärkere Reserve“, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Dirk Vöpel. „Es ist jetzt entscheidend, Strukturen wiederzubeleben, die mit der Aussetzung der Wehrpflicht komplett zerschlagen worden sind.“
Grünen-Chef Omid Nouripour zeigte sich offen für eine Diskussion über die Vorschläge. „Die Sicherheitslage in Europa hat sich fundamental verändert“, sagte er. „Entsprechend müssen wir dafür sorgen, dass unsere Bundeswehr gut aufgestellt ist.“ Die FDP signalisierte Unterstützung: Verteidigungsexperte Faber sagte, das Vorhaben sei richtig. Aber man werde auch darüber reden müssen, wenn die aktuellen Pläne nicht ausreichten: „Dann muss auch über Maßnahmen zur Stärkung der Bundeswehr geredet werden, die eine mögliche gesetzliche Verpflichtung von jungen Menschen mit einschließen.“
Was kritisiert die Opposition?
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), kritisierte ein „mageres Ergebnis“, das auf mangelnden Rückhalt des Ministers in der eigenen Koalition zurückzuführen sei. „Anstatt die so dringend notwendigen Entscheidungen bewusst auf- und in die nächste Wahlperiode zu schieben, wäre es richtig gewesen, jetzt alle Voraussetzungen für den personellen Aufwuchs der Streitkräfte und die Einführung einer Wehrpflicht zu schaffen“, sagte Hahn unserer Redaktion. Das vorgestellte Wehrdienstmodell sei aber „das Zeitenende der Zeitenwende“.