Kiew. Die Sorge vor Russlands Bomben wächst – und bald verwandelt der Regen die Schlachtfelder in Schlammwüsten. Doch es gibt vage Hoffnung.

Die Erfolgsmeldungen des ukrainischen Generalstabs klingen in diesen Tagen fast trotzig. Man mache Fortschritte im Raum Bachmut und an den Frontabschnitten im Süden, die Gegenoffensive komme voran. Tatsächlich sind die belegbaren Geländegewinne noch immer rein taktischer Natur. Die ukrainischen Streitkräfte haben die erste russische Verteidigungslinie an der Saporischschja-Front zwar überwunden, der große Durchbruch Richtung Süden ist aber noch nicht gelungen.

Soldaten, die im Osten und im Süden eingesetzt sind, sprechen von enorm blutigen und brutalen Kämpfen. Anders als im vergangenen Herbst, als die Ukrainer große Gebiete im Raum Charkiw und die Stadt Cherson befreien konnten, leisten die russischen Streitkräfte noch immer erbitterten und geordneten Widerstand. Im Norden bei Kupjansk üben die Russen beständig großen Druck aus und führen Entlastungsoffensiven durch, um ukrainische Truppen zu binden.

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Noch haben die ukrainischen Streitkräfte bei weitem nicht alle Reserven in die Kämpfe geworfen, noch sind einige Wochen Zeit, bis der Herbstregen einsetzt und die Schlachtfelder in Schlammwüsten verwandelt. Noch kann es geschehen, dass an den Fronten ein Domino-Effekt einsetzt und die russische Verteidigung zusammenbricht.

Ukraine: Sorge vor einem erneuten harten Winter wächst

Darauf hoffen die Menschen in der Ukraine. Jedoch ist der Optimismus der vergangenen Monate vielerorts einem verunsicherten Realismus gewichen. Die große Befürchtung, die in Gesprächen immer wieder geäußert wird, ist, dass beim Ausbleiben nachhaltiger und deutlich sichtbarer militärischer Erfolge die Unterstützung durch die westlichen Partner nachlassen wird. Der Glaube an einen raschen Sieg schwindet.

Jan Jessen berichtet für die FUNKE Zentralredaktion aus der Ukraine.
Jan Jessen berichtet für die FUNKE Zentralredaktion aus der Ukraine. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Zwar haben sich die Ukrainerinnen und Ukrainer im Krieg eingerichtet. Die ständigen russischen Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur lösen keine Panik mehr aus, nur Wut über die Unbarmherzigkeit des Terrors, dem immer wieder Zivilisten zum Opfer fallen. Das Leben in den frontfernen Städten im Westen wirkt auf den ersten Blick normal. Schulen, Geschäfte und Restaurants sind geöffnet.

Viele Menschen, die nach dem Beginn des Überfalls geflohen waren, sind wieder in die Heimat zurückgekehrt. Jedoch wächst die Sorge vor einem erneut harten Winter, in dem die russischen Invasoren möglicherweise wieder versuchen werden, die Städte in Dunkelheit und Kälte zu bomben, um die Moral der Bevölkerung zu brechen. Gleichzeitig herrscht Unverständnis über die anhaltende Zögerlichkeit von manchen Verbündeten, der Ukraine jene Waffen zu liefern, um die die ukrainischen Militärs bitten.

Schnellere Entscheidungen wären eine moralische Unterstützung

Tatsächlich ist das Ritual, das sich um diese Waffenlieferungen entwickelt hat, schwer nachzuvollziehen. Deutschland hat sich monatelang geziert, der Ukraine Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen. Während über diese Lieferung debattiert wurde, hatten die Russen Zeit, ihre Verteidigungsstellungen auszubauen.

Gleiches gilt für die Diskussionen um die Ausstattung der ukrainischen Luftwaffe mit F16-Kampfjets zum Schutz der Infanterie oder den Streit um die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper, mit denen russische Nachschubrouten gekappt werden könnten.

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Am Ende dieser zähen Debatten stand bislang immer die Lieferung des Gewünschten. Bis das Material auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden konnte, waren aber viele ukrainische Soldaten gestorben. Schnellere Entscheidungsprozesse würden eine moralische Unterstützung für die ukrainische Bevölkerung sein.