Kiew. In der Ukraine ist er eine Sportler-Legende, nun kämpft Wladislaw Waschtschuk gegen Russland – auch wegen eigener schlimmer Erlebnisse.

Wladislaw Waschtschuk ist bei Dynamo Kiew eine Fußball-Legende und einer der bekanntesten Sportler der Ukraine. Ende Juli postet der 48-jährige ein Bild von sich – mit Sturmgewehr an der Front in Kupjansk. Die Gegend wurde im vergangenen September von der ukrainischen Armee im Rahmen ihrer ersten Gegenoffensive befreit. Nun versuchen die Russen, in diese Richtung vorzustoßen. Die Ukrainer im Süden greifen indes die Flanken von Bachmut an. „Meine erste Kampfaufgabe“, schreibt Waschtschuk.

Für den ukrainischen Fußball hat der gebürtige Kiewer eine ähnliche Bedeutung wie Per Mertesacker oder Mats Hummels für den deutschen. Als Dynamo Kiew Ende der 1990er Jahre unter der Leitung des Kulttrainers Walerij Lobanowskyj seine größten Erfolge feierte und in der Saison 1998/1999 sogar erst im Halbfinale der Champions League gegen den FC Bayern antrat, galt das aus Waschtschuk und Oleksandr Holowko bestehende Innenverteidiger-Duo bei Dynamo als eines der besten in Europa – wenn nicht gar das beste.

Lesen Sie auch: Putins Ziele – Warum hat Russland die Ukraine angegriffen?

Auch im ukrainischen Nationalteam war Waschtschuk eine feste Größe. Zwar war seine Karriere schon bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland fortgeschritten, dennoch spielte der damals 31-Jährige bei dem ebenfalls historischen Viertelfinal-Einzug der Ukraine eine wichtige Rolle. Neun ukrainische Meistertitel stehen in der langen Erfolgsliste von Wladislaw Waschtschuk – und ein Eintrag, der mit dem Wissen von heute eine völlig neue Bedeutung bekommt: Der Sieg im russischen Pokal von 2003 gegen Spartak Moskau, dem Hauptrivalen Kiews aus der Sowjetzeit.

Ukrainischer Fußball-Star war tagelang gefangen in Butscha

Das Duell wurde ähnlich emotional ausgefochten, wie Spiele zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 – kein Wunder also, dass Dynamo-Fans Waschtschuk seinen einjährigen Abstecher in die russische Hauptstadt im Jahr 2003 lange nicht verzeihen konnten, damals noch gar nicht aus politischen Gründen. 2011 beendete Waschtschuk seine Profikarriere. Nun verteidigt einer der besten Innenverteidiger, den die Ukraine bis dato hervorbrachte, sein Heimatland gegen Russland. Wie kam es dazu?

Bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland spielte Waschtschuk eine wichtige Rolle für den Viertelfinal-Einzug der Ukraine.
Bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland spielte Waschtschuk eine wichtige Rolle für den Viertelfinal-Einzug der Ukraine. © imago images/Mary Evans | Mary EvansxAllstarxSportsphoto Ltd via www.imago-images.de

Waschtschuk ist erst im Mai 2023 einer Sturmbrigade der Nationalgarde beigetreten, doch die Geschichte beginnt bereits am 24. Februar 2022, dem ersten Tag der russischen Invasion. Der Ex-Fußballer lebte damals in Hostomel, einer durch ihren Flugplatz bekannt gewordenen Kleinstadt im Kreis Butscha nördlich von Kiew. Der Flugplatz hatte für die Russen zu Kriegsbeginn strategische Priorität: Erfolgreiche Landungsversuche dort sollten zur Einfahrt in die Hauptstadt und schließlich zur Einnahme des Regierungsviertels führen.

Auch interessant: 9000 Euro in bar – Wie Ukrainer den Kriegsdienst umgehen

Zwar konnte die russische Armee ihre Pläne nicht umsetzen, dennoch geriet Hostomel bis Ende März 2022 unter russische Besatzung. „Ich habe noch am ersten Tag die Kinder abgeholt, um die Stadt zu verlassen, doch wir hatten keine Chance, weil die russischen Hubschrauber schon da waren“, erzählte Waschtschuk später ukrainischen Medien. „Der Flugplatz ist bei mir ganz in der Nähe. Ich hoffte, wir müssten nur etwas abwarten und könnten dann rausfahren.“ Doch es kam anders.

Russische Soldaten stahlen Fußball-Trophäen und Medaillen

„Im Endeffekt mussten wir 15 Tage ausharren, bis wir Hostomel durch einen humanitären Korridor verlassen konnten“, so der Familienvater. Lebensmittelvorräte habe es nur für drei Tage gegeben – „abgesehen von Kartoffeln“. Die erste Tage, als es noch Strom gab, seien „vergleichweise nicht so schlimm“ gewesen, erinnerte sich Waschtschuk. Doch als nach zwölf Tagen auch Gasversorgung ausfiel und Kartoffeln am Lagerfeuer gekocht werden mussten, wurde das Improvisieren immer schwieriger.

Wladislaw Waschtschuk bei seinem ersten Fronteinsatz.
Wladislaw Waschtschuk bei seinem ersten Fronteinsatz. © Instagram/@vlad__vashchuk | Instagram/@vlad__vashchuk

„Ich kann mich an Momente erinnern, in denen wir im Keller saßen und da oben 15 Stunden lang pausenlos geschossen wurde“, erzählte er. „Das ist alleine schon die Hölle. Und ich musste ja auch noch die Kinder beruhigen.“ Als Waschtschuk nach der Befreiung des Bezirks Kiew in sein Haus zurückkehrte, war es bereits von den Russen ausgeraubt worden – offenbar hatten die Soldaten auch dort gewohnt. Alle Meisterschaftsmedaillen, Fußball-Trophäen, die gesamten Erinnerungen an eine lange und erfolgreiche Fußball-Karriere waren verschwunden.

Mehr zum Thema: Ukraine-Krieg – Warum russsiche Soldaten so gewalttätig sind

„Ich habe die russische Welt in Hostomel erlebt und hatte danach viel Zeit zum Nachdenken“, erklärte Waschtschuk seinen freiwilligen Fronteinsatz. „Und ich will nicht, dass meine Kinder die Grausamkeit sehen, die diese Terroristen mit sich bringen.“ Der endgültige Entschluss für den Kriegsdienst fiel aber eher zufällig während eines Benefizspiels mit Kriegsveteranen, bei dem Waschtschuk vom Kommandeur einer Brigade der Nationalgarde gefragt wurde, ob er sich ihnen anschließen wolle. „Das war für mich eine einfache Entscheidung“, betonte Waschtschuk, obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt über keinerlei Militärerfahrung verfügte.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Waschtschuk: „Will nicht, dass meine Kinder die Grausamkeit sehen“

Inzwischen hat er sich zum Militärmediziner ausbilden lassen – und gibt an, nicht lange zögern zu wollen, sollte er irgendwann persönlich einem russischen Soldaten gegenüberstehen. „Im Krieg geht alles so schnell, dass ich mir diese Fragen gar nicht erst stellen werde“, so Waschtschuk. „Entweder tötest du oder du wirst getötet. Für mich liegt die Wahl auf der Hand.“ Konkrete Details zu seiner Mission lieferte Waschtschuk bislang nicht. Doch gefährlichere Frontabschnitte als den, von dem er zuletzt Bilder postete, gibt es kaum. Und zahlreiche ukrainische Sportler haben ihren Fronteinsatz bereits mit dem Leben bezahlt.

Im Jahr 2011 beendete Wladislaw Waschtschuk seine aktive Karriere als Profi-Fußballer.
Im Jahr 2011 beendete Wladislaw Waschtschuk seine aktive Karriere als Profi-Fußballer. © imago/Ukrainian News | Chumachenko Alexey

Im Juli sorgte der Tod des bekannten ukrainischen Ex-Fechters Denys Borejko, der unter anderem eine Silbermedaille bei der Junioren-WM gewann, auch im Ausland für Schlagzeilen. Erst Ende vergangener Woche wurde zudem bekannt, dass im Juli auch der Kiewer Eishockey-Spieler Wladyslaw Lichowscha bei schweren Kämpfen um Bachmut ums Leben kann. Er ist bereits der vierte Eishockey-Spieler, der im Krieg getötet wurde. Insgesamt starben bis Mai 287 Sportler und Trainer im Krieg – ob an der Front oder durch den russischen Beschuss des Hinterlandes. Rund 40.000 haben laut zuständigem Ministerium wegen des Krieges das Land verlassen.

Der Schaden für die ukrainische Sportwelt ist enorm, auch materiell. Zum einen wurden Stand August 343 Sportobjekte in 45 Städten beschädigt. Dabei geht es um meist um Stadien, Sporthallen und Jugendsportschulen. 95 davon wurden teilweise oder vollständig zerstört. Für deren Reparatur und Wiederaufbau werden nach Angaben des Sportministeriums in Kiew mehr als umgerechnet 200 Millionen Euro gebraucht.