Essen. Bei Ausgrabungen in Ecuador entdecken Forscher die letzte Ruhestätte einer Frau und erklären, was hinter ihrem rätselhaften Tod steckt.

Bei Ausgrabungen in Ecuador stießen Archäologen auf das Grab einer schwangeren Frau und ihres Fötus, das rund 1200 Jahre alt sein soll. Die Art der Bestattung weckt Interesse und wirft viele Fragen zu den rituellen Praktiken der Manteño-Kultur (650 bis 1532 n. Chr.) auf. Besonders rätselhaft ist die Zerstückelung der Knochen der Frau, was den Fund zu einem faszinierenden Mysterium macht. Was verbirgt sich hinter den Ritualen dieses geheimnisvollen Volkes?

Rätselhafte Funde in Ecuador: Was die Forscher bei ihren Grabungen alles entdeckten

In einer kürzlich in der Zeitschrift „Latin American Antiquity“ veröffentlichten Studie beschreiben Sara Juengst, Bioarchäologin an der University of North Carolina in der US-Stadt Charlotte, und ihre Kollegen den in Ecuador gemachten Fund. Laut der Wissenschaftler weisen die verstümmelten Knochen der Frau als auch ein Kopf einer anderen Person und ein Brandopfer, die im selben Grab gefunden worden sind, darauf hin, dass die junge Frau gezielt geopfert wurde. „Die Tatsache, dass es sich um eine schwangere Frau handelte, könnte darauf hinweisen, dass Frauen wichtige Machtpositionen innehatten und ihre Macht daher ‚gesteuert‘ werden musste“, sagte Juengst gegenüber „Live Science“.

Neben der schwangeren Frau entdeckten die Archäologen in der Stätte Buen Suceso sechs weitere Gräber, doch das der jungen Frau erregte besonderes Interesse. Mit modernsten Analysemethoden und Radiokarbondatierung bestimmten die Forschenden, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 17 und 20 Jahre alt war und sich im siebten bis neunten Monat ihrer Schwangerschaft befand. Die Untersuchungen ergaben, dass sie zwischen den Jahren 771 und 953 lebte. Mehrere Schädelfrakturen deuten zudem darauf hin, dass sie durch einen Schlag auf die Stirn starb. Kurz nach ihrem Tod wurden ihre Hände sowie ihr linkes Bein abgetrennt.

Archäologen erklären: Gefundene Artefakte geben spannende Einblicke in die Bestattungskultur

Menschenopfer waren bei den Küstenvölkern Ecuadors eher ungewöhnlich, betonen die Forschenden in ihrer Studie. Dennoch fanden sie in der Grabstätte zahlreiche wertvolle Beigaben. Muschelschalen bedeckten die Augen der Frau, halbmondförmige Ornamente aus Muscheln und Obsidianklingen lagen um ihren Körper, und eine Krabbenschere wurde auf ihrem Bauch platziert. Laut den Forschern handelt es sich um hochgeschätzte Handelsgüter. Bemerkenswert: Einige der Grabbeigaben waren bis zu 2000 Jahre älter als das Grab selbst.

Wertvolle Handelsgüter, die das Forscherteam neben den zerstückelten Knochen der Schwangeren gefunden hat.
Bei der Ausgrabung wurden wertvolle Artefakte gefunden: Muschelschalen, Ornamente sowie eine Krabbenschere. © UNC Charlotte | Sara Juengst

Die „entmenschlichende und entmachtende“ Art des Begräbnisses der jungen Frau und die neben ihren Überresten gefundene Handelsware hält Juengst für einen spannenden Widerspruch. Die Art, wie die Artefakte rund um den Körper der Schwangeren platziert wurden, „deutet auf Schutz und besondere Behandlung für sie und ihren Fötus hin“, so die Wissenschaftlerin. Außerdem werden die ausgegrabenen Klappmuscheln „mit Fruchtbarkeit und Wasser in Verbindung gebracht und in vielen südamerikanischen Kulturen hoch geschätzt“, fügt sie hinzu.

Die Radiokarbondatierung ergab zudem, dass der im selben Grab entdeckte Schädel einer 25- bis 35-jährigen Person gehörte. Das Brandopfer, das auf der Brust der schwangeren Frau gefunden wurde, wurde möglicherweise erst mehrere Jahrhunderte nach dem Tod der Frau in das Grab gelegt.

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Forscher sprechen Klartext: Diese Szenarien könnten den Tod der Schwangeren erklären

Die Forscher gehen in ihrer Studie auch der Frage nach, was zu dem Tod der Frau geführt hat und wie sich die Art der Beerdigung erklären lässt – dabei halten sie zwei Szenarien für möglich. Da die Schwangere während einer Periode starb, in der El Niño zu erheblichen Ernteeinbußen geführt haben konnte, könnte ihr Tod symbolisch für Fruchtbarkeit und Wohlstand gestanden haben. Auch die ausgegrabenen Artefakte könnten ein weiterer Hinweis auf einen Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen sein, schreiben die Forscher in der Studie.

Eine alternative Erklärung für ihren Tod könnte sein, dass sie einem gezielten Mord zum Opfer fiel: „Wenn ein Rivale dieser Frau die Macht übernehmen wollte“, so Juengst, „musste er sie und ihre ungeborenen Nachkommen beseitigen, ihr aber dennoch Ehre entsprechend ihrem Status zuteilwerden lassen.“ Die Bestattungsrituale innerhalb der Manteño-Gesellschaft zeigen deutlich, dass Frauen über eine hohe politische und soziale Macht verfügten.

Grab einer Schwangeren in Ecuador: Archäologe sieht Bedarf für weitere Untersuchungen

Benjamin Schaefer, Bioarchäologe an der University of Illinois Chicago, zweifelt die beiden Theorien seiner Kollegen allerdings an. Zwar hält er die charakteristische Bestattungsart für bemerkenswert, warnt jedoch zugleich vor voreiligen Schlussfolgerungen. Laut dem Experten seien weitere Untersuchungen erforderlich, um die Opferpraxis der Manteño genauer zu analysieren. Das Forscherteam um Juengst zeigt sich aber weiterhin fasziniert von dem außergewöhnlichen Fund, der die Archäologen „dazu veranlasst, neue Ideen in der ecuadorianischen Archäologie zu erforschen“, heißt es in der Studie.

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