An Rhein und Ruhr. Der Advent soll eine besinnliche Zeit sein. Dienstleister haben aber gerade jetzt den meisten Stress. Hier berichten vier von ihren Jobs.

Die Innenstädte sind voll von Menschen, die letzte Besorgungen machen. Im Supermarkt bilden sich lange Schlangen an den Kassen. Es gibt einige Branchen, für die der Advent die stressigste Zeit des Jahres ist. Besonders stressig ist die Weihnachtszeit fast traditionell für Paketbotinnen und Paketboten. Und der Stress hat schon vor Wochen mit dem Black Friday begonnen. Am 3. Dezember hat DHL zum ersten Mal in 24 Stunden über 12 Millionen Pakete sortiert. 10.000 Aushilfen unterstützen in diesem Jahr die Zusteller und Zustellerinnen. Doch es gibt noch mehr Branchen im Ausnahmezustand. Vier Protokolle zeigen, wie Menschen am Niederrhein den Weihnachtsstress im Job erleben.

Weihnachten im Buchhandel: „Davon leben wir ein paar Monate“

Wenn Eva Korn morgens um 10 Uhr ihre Buchhandlung öffnet, ist sie schon seit zwei Stunden dort. Dann hat sie Zeit, die Wareneingänge zu bearbeiten und vorbestellte Bücher zu verpacken: „Die zwei Stunden sind für mich ganz wichtig, da schaffe ich ganz viel. Denn wenn der Laden geöffnet ist, kann ich mich nur noch um die Kunden kümmern.“

„„Dann tut es mir eben oft dann einfach auch leid, dass ich dann in dem Moment vielleicht nicht die Beratung bieten kann.“ “

Eva Korn, Buchhändlerin

Eva Korn verkauft seit 34 Jahren Bücher. In der gleichnamigen Buchhandlung in Wesel duftet es nach Tee und trotz der zahlreichen Bücher wirkt der Laden aufgeräumt und ordentlich. Doch im Dezember ist der Laden voll mit Menschen: „Es ist die stressigste Zeit im Jahr, aber es ist positiver Stress. Wenn ich zu dieser Jahreszeit sagen würde, ich hätte keinen Stress, hätte ich ganz großen negativen Stress“ sagt die Buchhändlerin. Das Weihnachtsgeschäft ist ihr Hauptgeschäft im Jahr: „Davon leben wir ein paar Monate. Damit kann man vielleicht auch ein paar Lücken stopfen, die im Jahr aufgetaucht sind.“

Am schönsten beim Beraten in der Weihnachtszeit: „Dass ganz viele schon von vornherein sagen, ich verlasse mich darauf, was Sie uns empfehlen. Das ist so ein Vertrauensverhältnis, was über ganz viele Jahre wächst.“ Dieses Vertrauen musste sie sich erarbeiten. Doch oft ist es im Dezember so voll, dass sie mit den Beratungen nicht hinterherkommt. „Die Kunden müssen eben auch ein bisschen Geduld haben und nachsichtig mit uns sein.“

Eva Korn, Buchhandlung Korn Wesel
Eva Korn ist in die Fußstapfen ihrer Mutter Brigitte Korn getreten, die ebenfalls schon Buchhändlerin war. Zusammen führen sie zwei Läden in Dinslaken und Wesel. © Hendrik Grzibatzki | Hendrik Grzibatzki

Sie beschreibt die ausführliche und individuelle Beratung der Kunden als großen Teil ihrer Geschäftsphilosophie. Um dem auch in der Weihnachtszeit gerecht zu werden, verabredet sie sich mit Kunden nach Ladenschluss: „Dann ist es für alle entspannter. Es ist mir dann wirklich am liebsten, man macht einen Termin außerhalb, sonst kommt das zu kurz.“ Diese Zeit opfert sie gerne: „Ich habe all diese Bücher, die hier auf den Kunden warten, gelesen. Das möchte ich natürlich auch gerne vermitteln. Dann tut es mir eben oft dann einfach auch leid, dass ich dann in dem Moment vielleicht nicht die Beratung bieten kann.“

Sie zeigt auf einen Stapel Pakete: „Das sind schon die Neuerscheinungen fürs nächste Jahr, die wir lesen müssen.“ Die Verlage senden jetzt die Frühlingsliteratur. Die muss gelesen werden, damit Eva Korn ihr Sortiment fürs Frühjahr bestimmen kann - alles neben dem Betrieb des Weihnachtsgeschäfts. Bücher, die sie jetzt im Weihnachtsgeschäft anbietet, hat sie bereits im Sommer gelesen.

Ihre Belohnung nach der stressigsten Zeit des Jahres: Sie liest. Keine Neuerscheinungen, sondern Klassiker: „Etwas, wo ich weiß, dass ich sonst keine Zeit habe, mich darauf einzulassen.“ Sie hält eine Leinenausgabe eines japanischen Buches in der Hand und blättert: „Das Buch dann in die Hand zu nehmen und dieses schöne Papier zu genießen, das ist für mich mein Geschenk.“ Wenn es ganz trubelig im Laden wird, gibt dieser Plan ihr Halt. „Dann gucke ich zum Buch und denke daran: Damit werde ich dann mit einer Kerze und einem schönen Tee auf dem Sofa sitzen und hoffentlich erschöpft sein.“

„4 Kilogramm Schweinefilet fürs Raclett“ - Der Dezember im Supermarkt

„Auch für uns ist der Dezember der umsatzstärkste Monat im Jahr“, erzählt Ferzan Koca. Er ist Marktleiter des Edeka Lurvink in Wesel. Dort verkaufen sie im Dezember zwei bis dreimal mehr als in anderen Monaten. Deswegen wird auch jede Arbeitskraft gebraucht. Urlaub nehmen ist in diesem Monat nicht drin. „Es wird peu à peu immer mehr. Die erste Dezemberwoche ist fast wie eine normale Woche. Dann geht es langsam los mit den festlichen Sachen“, sagt Ferzan Koca. Besonders alles rund ums Backen ist dann häufiger gefragt.

Einigen Kunden merke man den Weihnachtsstress an: „Man spürt, dass die dunkle Jahreszeit den Kunden zu schaffen macht. In der letzten Woche vor Weihnachten muss es schneller gehen, besonders an der Kasse.“ Doch den meisten Stress bekommen nach seiner Einschätzung die Mitarbeiter in der Gemüseabteilung ab. Dort landen die Kunden zuerst, wenn sie den Laden betreten. „Oft bekommt man hier schon die ersten Fragen, wo was steht, ohne, dass die Kunden richtig im Laden waren.“ Das hält von der Arbeit ab, wie etwa vom Einräumen und Sortieren.

Stress zur Weihnachtszeit
Ferzan Koca arbeitet seit 15 Jahren im Einzelhandel. Als Marktleiter muss er in der Adventszeit viel koordinieren. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Um sich untereinander auf der großen Ladenfläche verständigen zu können, tragen die Mitarbeiter Knöpfe im Ohr. Auch Koca braucht ihn. Eine Kundin unterbricht, weil ihr etwas an der Lebkuchenpackung aufgefallen ist. Daraufhin kann er über das Gerät seinen Mitarbeitern an der Kasse Bescheid geben, damit der Kundin dort geholfen werden kann: „Das Produkt wurde mit einem falschen Preis ausgeschrieben. Die Differenz zahlen wir ihr aus.“

Das sind die kleinen Sachen, die auch in der Weihnachtszeit nicht ausbleiben. An der Fleischtheke können die Kunden ihre Bestellungen für das Fest aufgeben. Die skurrilsten Bestellungen: ein Pfund gemischtes Hack auf Vorbestellung oder gleich vier Kilogramm Schweinefilet für das Raclette: „Da fragt man sich schon, wie groß die Familie ist.“

Glühweinstand: „Wir sind hier nicht auf der Rennbahn“

Es ist 11:30 Uhr, es regnet und der Weihnachtsmarkt in Essen ist fast leer. Trotzdem grüßt Nicole Schmidt mit bester Laune. Sie verkauft Glühwein am Stand der Schaustellerfamilie Ritter. Sie arbeitet Vollzeit am Glühweinstand, macht ihn morgens auf und schließt ihn spätabends wieder ab: „Ich verkaufe gerne! Seit zehn Jahren mache ich diesen Job.“ Sie sorgt dafür, dass die riesigen Menschentrauben, die sich besonders in den Abendstunden am Weihnachtsmarkt tummeln, nicht durstig sind.

Besonders abends und am Wochenende ist hier jede Menge los. Trotzdem findet sie die Sommer, in denen sie auf der Kirmes arbeitet, stressiger als die Zeit auf dem Weihnachtsmarkt: „Auch wenn man es nicht glaubt, aber hier ist das Angebot etwas übersichtlicher“, beschreibt sie. Auch die Kunden sind zum Großteil entspannt: „Sie wissen, wir sind hier nicht auf der Rennbahn.“

Nicole Schmidt auf dem Weihnachtsmarkt Essen
Nicole Schmidt arbeitet seit zehn Jahren auf dem Weihnachtsmarkt in Essen. Sie macht ihre Arbeit gern, auch, wenn es abends voll wird. © Helena Wagner | Helena Wagner

Trotzdem will Nicole Schmidt niemanden zu lange warten lassen: „Was mir hier Stress macht, ist, wenn die Kunden lange in der Schlange stehen und dann immer noch nicht wissen, was sie bestellen möchten oder sich nochmal spontan umentscheiden. Das verzögert unsere Arbeit und die Leute werden ungeduldig.“ Dann kann es passieren, dass die Menschen woanders hingehen. Denn die Konkurrenz auf dem Weihnachtsmarkt ist groß.

Für diese Stoßzeiten wünscht sich Nicole mehr Personal: „Wir haben zu wenige Leute. Einige Aushilfen kommen jedes Jahr wieder, aber viele merken an dem Stress, dass der Job nichts für sie ist.“ Das Trinkgeld wird am Ende unter allen gleich aufgeteilt. „Jeder opfert seine Zeit, also bekommt auch jeder das gleiche“, sagt die Essenerin bestimmt. Das ungemütliche Wetter scheint ihr nichts auszumachen. Nicole Schmidt ist voll in Weihnachtsstimmung: „Ich freue mich auf Weihnachten. Meine Wohnung ist schon schön geschmückt“ Beim Abschied wünscht sie eine besinnliche Weihnachtszeit.

Weihnachten und die Frisur sitzt? „Die Kunden sind mutiger“

Schnell noch einen Friseurtermin bekommen, bevor die Feiertage starten? Vielen fällt das erst recht spät ein, weiß Schirin Dawoudi. Sie führt zusammen mit ihrem Mann Sinan Kur den Friseursalon „SK Salon“ in Moers. Auch sie wissen, dass im letzten Monat des Jahres eine anstrengende Zeit auf sie wartet. Unter der Woche ist der Laden von 8:30 Uhr bis 19:00 Uhr geöffnet. Dann schneidet, färbt und stylt sie.

Die Kundinnen und Kunden möchten sich im Dezember oft spontan frisieren lassen. Doch seit der Corona-Pandemie nimmt Schirin einen anderen Trend wahr: „Die Leute sind entspannter geworden. Es ist ihnen nicht mehr so wichtig, an den Feiertagen top gestylt zu sein, sondern gemütlich mit der Familie zu feiern.“ Deshalb hat sie an Heiligabend auch geschlossen. „Früher haben wir von morgens bis 13 Uhr an Heiligabend gearbeitet. Jetzt ist die Nachfrage an diesem Tag nicht mehr da.“

5 Protokolle aus dem Arbeitsalltag von 5 stressigen Jobs in der Weihnachtszeit.
Ihr Sohn Ilay ist Stargast im Friseursalon seiner Eltern. Ihm scheint der Weihnachtsstress wenig auszumachen. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Vom Weihnachtsstress merkt sie bei den meisten Kundinnen nicht viel. Im Gegenteil: Sie kommen geduldig. Nur einmal sei eine Kundin gegangen: „Sie hatte spontan angerufen, ob sie vorbeikommen kann, aber acht Minuten Wartezeit waren ihr zu viel. Sie ist aufgestanden und wieder gegangen.“ Doch davon lässt Schirin sich nicht stressen. Sie ist entspannt.

Doch die Wochenenden sind im Dezember eine Herausforderung. Samstags sind sie bis 16 Uhr für ihre Kunden da. Besonders dann wird es stressig: „Alle wollen einen Termin am Wochenende. Dann ist hier so viel los. Viele möchten den Friseurtermin mit der Weihnachtsfeier verbinden, damit sie für die Feier frisiert sind“, erzählt die Friseurin. Doch die Terminanfragen muss sie oft ablehnen: „Das schaffe ich nicht mehr. Sonst wird das alles zu spät. Ich muss die Kunden dann auf einen anderen Tag schieben.“ In der Adventszeit beobachtet Schirin: „Die Kunden sind mutiger. Ein kürzerer Haarschnitt, eine andere Farbe. Die Menschen trauen sich mehr und haben Lust, für das neue Jahr etwas auszuprobieren.“