Essen. Was tun gegen Hasskommentare? Anti-Rassismus-Trainer Said Rezek erklärt, wie man mit Hate Speech umgeht - und wann es gefährlich wird.

„Du politischer Analphabet, mach dich endlich vom Acker, ihr habt Deutschland zerstört!“, schreibt Chris aus Köln auf Instagram, gerichtet an Wirtschaftsminister Robert Habeck. Klimaaktivistin Luisa Neubauer muss täglich hundertfach Sätze wie „Ganz Deutschland lacht dich aus“, „Sperrt die endgültig weg!“ und noch viel Schlimmeres ertragen. „Hate Speech“ (Hassrede) flutet jeden Tag aufs Neue die Kommentarspalten von Facebook, Instagram und Tiktok – beleidigend, polemisch, oft rassistisch und immer extrem aggressiv.

Auch die jungen Erwachsenen, die an diesem Vormittag am Essener Nikolaus-Groß-Weiterbildungskolleg in einem Klassenraum sitzen, haben schon oft Hass und Anfeindungen im Internet mitbekommen. „Hate Speech ist mehr als eine Beleidigung, es betrifft gezielt Minderheiten“, erklärt Anti-Rassismus-Trainer Said Rezek. „Kritik ist okay, aber sie mündet oft in Hetze.“ Das Ziel sind Menschen mit Behinderung, Schwule, Migrantinnen, Dicke, Juden… Und Andersdenkende.

Dass Rassismus in vielen Köpfen steckt, zeigt ein Experiment gleich zu Beginn. In einer Straßenumfrage, die per Video auf der elektronischen Tafel läuft, plaudern Menschen fröhlich darüber, was ihnen alles zu den Stichwörtern „Weihnachten“, „Serien“ und „Bundesliga“ einfällt. Nur beim Begriff „Islam“ verstummen viele. Manche sagen „Radikalismus“, „Islamischer Staat“, „Paris“… Ungläubiges Kopfschütteln im Raum. Hier denken die Schülerinnen und Schüler beim Stichwort „Islam“ an ganz andere Dinge: Koran, Moschee, Glauben, Religion, Familie, Zusammenhalt… „Die Menschen in der Umfrage sind wahrscheinlich zurückhaltender, weil sie nichts Falsches sagen wollen“, vermuten manche Schüler.

Said Rezek ist Politikwissenschaftler, Anti-Rassismus-Trainer und Blogger. Er gibt bundesweit Workshops gegen Rassismus und Hate Speech.
Said Rezek ist Politikwissenschaftler, Anti-Rassismus-Trainer und Blogger. Er gibt bundesweit Workshops gegen Rassismus und Hate Speech. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Aber woher kommen die ganzen Vorurteile? Vanessa meint: „Wenn man einer anderen Religion angehört, weiß man zu wenig über den Islam.“ Mariama glaubt, dass viele Vorurteile von den Eltern weitergegeben werden. Und Maria sagt: „Viele Menschen sind unzufrieden mit sich selbst und lassen das an anderen aus.“

Hate Speech: Manche Betroffene nehmen sich das Leben

Laut einer Forsa-Studie aus dem Jahr 2023 sind 25 Prozent der Menschen in Deutschland regelmäßig selbst das Ziel von Hasskommentaren im Internet. Besonders die Altersgruppe der unter 25-Jährigen ist mit 39 Prozent überdurchschnittlich stark betroffen. Die Reaktionen darauf fallen sehr unterschiedlich aus. Wer sehr selbstbewusst ist, schafft es, die belastenden Sätze zu ignorieren. Andere werden so beeinflusst, dass sie sich aus den sozialen Medien oder gar aus ihrem Amt zurückziehen. Und manchmal nimmt sich ein Mensch sogar das Leben, weil er die Anfeindungen einfach nicht mehr erträgt.

„Wenn die mentale Gesundheit darunter leidet, sollte man überlegen, ob man seine Aktivitäten in den sozialen Medien begrenzt oder einstellt“, sagt Said Rezek. Er selbst ist schon oft rassistisch angegangen worden, weil er, 1986 in Deutschland geboren, oftmals als Ausländer gesehen wird. Der Politikwissenschaftler und Blogger kritisierte vor einigen Jahren den AfD-Politiker Alexander Gauland in einem Offenen Brief dafür, dass dieser einen Schlussstrich im Umgang mit dem Nationalsozialismus gefordert hatte. Dafür erntete Said Rezek viele aggressive Kommentare.

Ein privater Account büßt seine Reichweite ein

Wie kann man reagieren? Bei Instagram, Facebook und Tiktok ist es möglich, Hasskommentare zu melden, zu löschen und die betreffenden Internet-Nutzer zu blockieren. Der eigene Account kann auch auf „privat“ gestellt werden, dann aber verliert man seine Reichweite. Daisy findet: „Wenn man die Hasskommentare einfach ignoriert, ist das zwar gut für einen selbst, aber sie bleiben ja im Internet und werden von anderen gesehen.“

Anti-Hate-Speech-Workshops in Schulen

Der Politikwissenschaftler Said Rezek (38) aus Essen bietet deutschlandweit Workshops für Schulen, Online-Seminare und Lesungen mit den Themenschwerpunkten Hate Speech, Rassismus, Medienkompetenz und Demokratieförderung an. Infos: www.said-rezek.de. Instagram: https://www.instagram.com/rezeksaid/

Der Workshop „Bloggen gegen Rassismus und Hate Speech in sozialen Netzwerken und für Medienkompetenz und Demokratieförderung“ wurde über die Partnerschaft für Demokratie Essen im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert. 

Said Rezek hat das Buch „Bloggen gegen Rassismus: Holen wir uns das Netz zurück!“ geschrieben. Es ist bei Tredition erschienen und kostet 18 Euro.

Welche extremen Ausmaße eine Welle von Hate Speech annehmen kann, zeigt ein Beispiel aus Wien, über das die Schülerinnen und Schüler des Workshops besonders schockiert sind. Vor einigen Jahren hatte ein Krankenhaus das Foto eines Neujahrsbabys mit seinen muslimischen Eltern ins Internet gestellt. Einer von tausenden schlimmen Kommentaren lautete: „Nächster Terrorist ist geboren“. „Das geht gar nicht!“, empören sich einige im Klassenraum.

Die Hasswelle, die der muslimischen Familie eines Wiener Neujahrsbabys entgegenschlug, ist Thema des Workshops.
Die Hasswelle, die der muslimischen Familie eines Wiener Neujahrsbabys entgegenschlug, ist Thema des Workshops. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Die Entrüstung nutzt Said Rezek für eine praktische Übung. Seine Überzeugung ist: „Jeder und jede kann der Hetze im Netz Paroli bieten und positive Akzente für eine vielfältige, friedliche und demokratische Gesellschaft setzen.“ Und so greifen die Schülerinnen und Schüler zum Stift und formulieren Antworten auf die fiesen Baby-Kommentare. Die einen herzlich, gefühlvoll, empathisch, andere greifen den Kommentator an, wollen provozieren. „Lieber nicht“, empfiehlt Said Rezek. „Provokation führt in den seltensten Fällen zur Einsicht. Wir sollten Hass nicht mit Hass beantworten.“ Für ihn ist klar: Es sei am wichtigsten, sich im Internet mit den betroffenen Menschen zu solidarisieren und ihnen zu zeigen, dass man auf ihrer Seite steht.

Ein Blumenregen für ein kleines Baby

Das tat im Fall des Wiener Neujahrsbabys auch Klaus Schwertner von der Caritas in Wien. Er startete die Facebook-Initiative #flowerrain (Blumenregen). 32.819 Menschen aus aller Welt schickten dem neugeborenen Mädchen Asel liebe Willkommenswünsche. Ein berührendes, positives Zeichen!

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Das ist auch die Botschaft, die die Schülerinnen und Schüler des Nikolaus-Groß-Weiterbildungskollegs mit nach Hause nehmen: Es lohnt sich, immer mal wieder einen Hasskommentar zu beantworten, um den Betroffenen zu zeigen: „Du bist nicht allein!“ Auch die Deutsche Telekom setzt sich mit dieser Aussage für ein respektvolles und demokratisches Miteinander in der digitalen Welt ein. Denn ob Robert Habeck, Luisa Neubauer oder die Freundin aus der Nachbarschaft: Niemand ist im Netz vor Hate Speech geschützt. Zum Schluss zitiert Said Rezek den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan: „Alles, was das Böse benötigt, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.“