Düsseldorf. Mohammad A. soll sich im Juni 2023 dem IS angeschlossen haben. Warum der Prozess in Dinslaken böse Erinerungen weckt

Mohammad A. sitzt im Glaskasten des Sitzungsraums A01 im Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Hände gefesselt. Dichtes, kurzes, schwarzes Haar, das Gesicht glattrasiert. Er ist 21 Jahre alt, wirkt jungenhaft, unscheinbar. Dieser junge Mann soll ein Mitglied der Terrororganisation „Islamischer Staat“ sein und einen Autobombenanschlag in Europa geplant, sich sogar als Selbstmordattentäter zur Verfügung gestellt haben. Davon ist die Generalstaatsanwaltschaft überzeugt. A. muss sich seit Mittwoch vor Gericht wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat und der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verantworten.

Viel ist über A. nicht bekannt. Er wurde in der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren, kam 2021 nach Deutschland und soll zuletzt als Autopfleger gearbeitet haben. Sein letzter Wohnsitz war Dinslaken. Ausgerechnet Dinslaken. Jene Kleinstadt, in der sich vor zwölf, dreizehn Jahren etliche junge Männer derart radikalisierten, dass ein gutes Dutzend von ihnen ab 2013 in den Irak und nach Syrien ausreiste, um sich dort dem IS anschließen, dessen Terrorkalifat ab 2014 die Welt in Atem hielt. Sie machten als „Lohberger Brigade“ Schlagzeilen. Erst vor drei Jahren wurde vor dem Oberlandesgericht einer der wenigen Überlebenden der Truppe zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Nils D. hatte in Syrien mindestens einen Menschen zu Tode gefoltert.

In Telegram nach Kontakten zum IS gesucht

Anders als die jungen Männer der „Lohberger Brigade“, benannt nach der Zechensiedlung, in der sie damals lebten, scheint A. nicht in Strukturen eingebunden gewesen zu sein. Er soll nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft ab Mai 2023 im Nachrichtendienst Telegram Kontakt zu Mitgliedern des IS gesucht und gefunden haben. Trotz der Zerschlagung des Terrorkalifats im Jahr 2019 ist die Terrororganisation auch heute noch in ihrer Stammregion aktiv. Bereits im Juni 2023 soll A. dem IS die Treue geschworen haben.

Was ihn dazu bewogen hat, blieb beim Prozessauftakt am Mittwoch unklar, er schweigt seit seiner Festnahme im April dieses Jahres. Die Generalstaatsanwaltschaft spricht von einer „radikalislamischen Glaubensauffassung“. Die Anklage ist zudem davon überzeugt, dass A. bei seinen Kontaktpersonen um Unterstützung bei der Herstellung von Sprengstoff gebeten hat, zunächst für den Bau einer Autobombe. Im Oktober 2023 soll er sich dazu bereit erklärt haben, als Selbstmordattentäter aktiv zu werden und gefragt haben, wie man einen Sprengstoffgürtel herstellt. Seine Chatpartner, mit denen ihn sein Erstkontakt auf dem verschlüsselten Nachrichtendienst Threema vernetzte, sollen ihm entsprechende Tipps gegeben haben.

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Dass es A. ernst war, geht aus den Chatprotokollen hervor, aus denen die Anklage zitierte. Er warte „wie auf heißen Kohlen“ auf einen Einsatz, soll der junge Mann Ende Oktober 2023 geschrieben haben. Zunächst aber sollen ihn seine Kontaktpersonen, deren Namen auf einen arabischen Hintergrund schließen lassen, Mitte November um finanzielle Unterstützung für einen Anschlag in Syrien gebeten haben. A. soll 100 Dollar in Aussicht gestellt haben.

Wie weit seine Terrorpläne gediehen waren und wie sie vereitelt wurden, wurde beim Prozessauftakt nicht klar. Möglicherweise haben die deutschen Fahnder einmal mehr Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten erhalten. Der junge Mann, der kaum Deutsch spricht, weswegen zwei Dolmetscher für ihn übersetzen mussten, verfolgte die Anklageverlesung ohne sichtbare Regung. Sein Anwalt kündigte für den nächsten Prozesstermin am 5. November eine Einlassung zu den Vorwürfen an.

Seit April in Untersuchungshaft

Mohammad A. sitzt seit seiner Festnahme im April in Untersuchungshaft. In Dinslaken hat er nach NRZ-Informationen nicht lange gelebt, möglicherweise nur einen Monat. Trotzdem werden dort natürlich Erinnerungen an die Zeit der „Lohberger Brigade“ wach. Seit damals hat die Stadtverwaltung nach eigenen Angaben viele Projekte angestoßen, um die erneute Radikalisierung junger Menschen zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen. Man sei in Dinslaken „sehr sensibilisiert“ für das Thema, heißt es.

Die Stadt ist beispielsweise Mitglied in der Fachkommission „Wegweiser – gemeinsam gegen Islamismus“, einem Präventionsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen, bei dem örtliche Träger mit lokalen Netzwerkpartnern zusammenarbeiten. Ziel ist es, den Einstieg junger Menschen in den Islamismus zu verhindern. Schulleitungen sollen sich bei Auffälligkeiten bei Ansprechpersonen der Extremismusprävention der regionalen Schulberatung zu melden. Speziell in Lohberg sind Bildungs- und Jugendprojekte angestoßen worden.

„Einsame Wölfe“ wie Mohammad A. oder der Attentäter von Solingen, die sich unter dem Radar der Wahrnehmung radikalisieren, können durch solche Programme aber kaum aufgehalten werden.

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Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor war zur Zeit der „Lohberger Brigade“ Lehrerin in Dinslaken. Fünf ihrer damaligen Schüler reisten nach Syrien und in den Irak aus. Sie glaubt, dass junge Geflüchtete besonders anfällig sind für islamistische Verführer. „Geflüchtete bringen viele Traumatisierungen und Gewalterfahrungen mit. Sie erleben nach ihrer Ankunft häufig soziale Isolierung und damit einhergehende Vereinsamung.“

Salafismus und Dschihadismus, so Kaddor seien zudem „noch immer eine Jugendsubkultur, auch wenn heute nicht mehr in Moscheen oder auf der Straße, sondern im Internet radikalisiert wird“. Sie wirbt dafür, die Prävention weiter auszubauen. „Unser Job ist es, den Islamismus an den Rand zu drücken.“ Sie warnt aber: „Ich sehe allerdings die große Gefahr, dass der Nahostkonflikt bislang ungeahntes terroristisches Potenzial produziert.“