Dernau. Nach der großen Ahrtal-Flut musste Ludwig Kreuzberg von vorne anfangen. Mittlerweile lebt er wieder in Dernau. Wie der Winzer in die Zukunft schaut.
- Vor über drei Jahren zerstörte die Jahrhundertflut große Teile des Ahrtals
- Auch der Winzer Ludwig Kreuzberg musste von vorne anfangen
- Seit einem Jahr lebt der 58-Jährige nun wieder in Dernau, noch immer hat die Flut ihre Spuren hinterlassen
Es hämmert und kracht, als Ludwig Kreuzberg zum Erzählen ansetzt. Immer wieder hallt der Lärm eines Presslufthammers von der anderen Straßenseite in die kleine Vinothek im Erdgeschoss des Hauses. „Das sind wir schon gewohnt“, sagt der weißhaarige 58-Jährige im schwarzen Pullover und lacht vorsichtig. Der Himmel über Dernau ist an diesem Mittag wolkenverhangen, zwischen herbstlichen Weinbergen und grauen Bauzäunen bahnt sich die beschauliche Ahr gerade ihren Weg durch das Tal. Gegenüber dem Weingut H.J. Kreuzberg wird derzeit das Schienennetz der Ahrtalbahn samt Brücken erneuert. Dort, wo die Flut vor über drei Jahren 12 Bewohner des kleinen Dörfchens aus dem Leben riss.
135 Menschen starben, als die Flut in der Nacht des 14. Juli 2021 in der Region wütete. „Ich war im Urlaub in Österreich mit meiner Frau, meine Tochter war mit ihrem Freund und zwei Saisonkräften zu Hause. Wir standen im ständigen Kontakt, ich hab mir nicht so viel dabei gedacht, bis um 20 nach eins plötzlich der Empfang weg war.“ 15, 16 Stunden folgten, in denen die Kreuzbergs nicht wussten, was passiert war. „Daraufhin haben wir natürlich direkt den Urlaub abgebrochen und uns auf den Weg gemacht. Die Autobahnen waren voll, weil schon die ersten Hilfen auf dem Weg ins Ahrtal waren“, erinnert sich der Weinbauer zurück. Dann endlich die Erleichterung: Seine Tochter hatte sich aufs Dach gerettet. „Wir waren froh, als wir die ganze Familie lebend angetroffen haben.“
Ludwig Kreuzberg erinnert sich an die Flut: „Keine Zeit zum Verzweifeln.“
Seitdem gibt es für den Winzer nur eine Zeitrechnung: vor und nach der Flut. „Und danach hatten wir gar keine Zeit zum Verzweifeln. Wir mussten uns auf die nächste Weinlese vorbereiten und arbeiten.“ Dabei waren nicht nur die Häuser, auch alle Fässer, Geräte und Werkzeuge zerstört. „Es war nicht nur das Wasser, es war auch das Öl, das durch die geplatzten Ölleitungen mit der Flut kam und die Häuser unbewohnbar gemacht hat.“
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Das Zuhause der Familie und die Straußwirtschaft – so nennen Winzer den saisonal geöffneten Gastbetrieb mit Ausschank – wurden zerstört. Ein drittes Gebäude, in dem vor der Flut der Wein verkauft wurde, nennt Kreuzberg nur liebevoll eine „Ruine“. Spuren, die das Wasser hinterlassen hat, sind auch jetzt noch an den Wänden zu sehen. „Leben konnten wir hier nicht mehr, also zogen wir erst einmal in ein Hotel in Bonn.“ Drei Wochen vergingen, dann bezogen sie eine Mietwohnung in der ehemaligen Bundeshauptstadt.
Tourismus im Ahrtal: Bettenkapazitäten fehlen, Bahn fährt nicht
Übernachteten im Jahr 2022 noch 434.000 Menschen im Ahrtal, konnte die Region für das Jahr 2023 schon rund 624.000 Übernachtungen verbuchen – eine Steigerung um knapp 40 Prozent, wie der Verein Ahrtal-Tourismus in einer Mitteilung aus März dieses Jahres erklärte. Demnach zählte der Verein im Jahr 2019 – also vor Corona und vor der Flut – noch 1,4 Millionen Übernachtungen. Das liege laut Meike Carll vom Ahrtal-Tourismus vor allem an den Bettkapazitäten. „Hier liegt das Ahrtal aktuell erst bei 5.600 von zuvor knapp 8.400 Betten, also bei rund 65 Prozent“, erklärte sie in der Mitteilung. Das führe dazu, dass für Gäste in der Hochsaison im Herbst häufig gar keine Übernachtungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung stehen.
Vor allem im Bereich der Infrastruktur gebe es laut dem Ahrtal-Tourismus noch große Einschränkungen für Besucherinnen und Besucher: „Zwischen Walporzheim und Ahrbrück fehlen derzeit noch die Bahnstrecke und der zu einem großen Teil parallel verlaufende Ahr-Radweg. Beides enorm wichtige Verbindungen, um die Mittelahr zu erkunden“, so Carll. Laut Deutscher Bahn soll die Gesamtstrecke elektrifiziert und größtenteils zweigleisig im Dezember 2025 in Betrieb genommen werden. Die Bauwerke der Bahn würden in „hochwasserresilienter Bauweise“ errichtet, beispielsweise verzichte man bei den Eisenbahnbrücken auf den Mittelpfeiler.
Nach der Flut: Seit einem Jahr leben Kreuzbergs wieder in Dernau
Die Frage, ob die Familie je daran gedacht habe, das Ahrtal zu verlassen, beantwortet der Winzer mit einem klaren Kopfschütteln. „Nein, wir haben nie darüber nachgedacht, hier wegzugehen.“ Stattdessen wurde das alte Wohnhaus abgerissen, seit April dieses Jahres läuft der Wiederaufbau. Vor etwa einem Jahr sind er und seine Frau nach Dernau zurückgekehrt. Übergangsweise wohnen sie in der oberen Etage des einzig bewohnbaren Gebäudes, der Vinothek. In dieser kann das Weingut seit März wieder den eigenen Tropfen verkaufen. Bis das Wohnhaus bezugsbereit ist, werde noch viel Zeit vergehen, schätzt Kreuzberg.
Produziert werde jedoch weiterhin in einer Lagerhalle in Meckenheim, etwa 20 Minuten mit dem Auto entfernt. Was damals eine Notlösung war, ist mittlerweile zum Dauerzustand geworden. Auch das möchte Kreuzberg bald ändern und die Weinproduktion zurück nach Dernau holen. „Ich möchte gerne ein Weingut in den Weinbergen“, sagt der 58-Jährige, der das Weingut mittlerweile in dritter Generation führt. Der Antrag sei bereits gestellt worden. „Wir stecken gerade in einer Übergangszeit. Viel passiert, viel wird gemacht und gebaut. Ich habe die Vision, dass es besser werden kann, als es vorher mal war. Aber bis dahin müssen wir hier erst durchhalten.“
Ahrtal-Winzer in Sorge: „Kleinste Ernte seit 30 Jahren“
Doch bei allem Optimismus mache sich der Winzer auch ein wenig Sorgen ums Geschäft. Die Weinlese ist gerade abgeschlossen – die Bilanz: nicht gut. „Es ist die kleinste Ernte bei mir seit 30 Jahren, Fröste im April und die hohe Feuchtigkeit im Sommer haben zu einer geringen Erntemenge hier im Ahrtal geführt.“ Im Tal klaffen viele Baustellen, die Bahnen fahren nicht, es fehlen Hotels – der Tourismus stocke weiterhin, so Kreuzberg. „Wir haben hier den perfekten Platz, direkt an den Bahngleisen, an der Ahr. Trotzdem merkt man, dass weniger Leute da sind als noch vor der Flut.“
Erst vor zwei Wochen etwa lud das kleine Ahrdörfchen Dernau wieder zum Weinfest. „Die Stimmung war sensationell, aber es ist natürlich alles noch viel kleiner als früher.“ Damals habe das Weinfest immer auf dem Veranstaltungsplatz direkt vor dem Weingut stattgefunden. Doch auch der Platz ist mit der Flut zerstört worden. „Jetzt muss man sich jedes Jahr neu erfinden.“
Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Winzerfamilie? Der derzeit stattfindende Weinherbst an der Mittelahr. Jedes Wochenende im Oktober empfangen Ahrwinzer – darunter auch das Weingut H.J. Kreuzberg – Besucher auf einer etwa 15 Kilometer langen Wanderstrecke zwischen Dernau und Altenahr am Rotweinwanderweg in den Weinbergen. „Das macht total Spaß und wird super angenommen, aber das brauchen wir auch.“
Denn bis Normalität einkehrt, wird es laut Kreuzberg noch Jahre dauern. „Es wird wahrscheinlich niemals eine Zeit geben, in der die Flut kein Thema mehr sein wird. Sie wird uns immer begleiten.“ Aber, sagt Kreuzberg und beginnt zu lächeln – „ich glaube fest daran, dass das Ahrtal eine schöne Zukunft haben wird. Aber wir brauchen noch etwas Zeit.“