Bad Neuenahr-Ahrweiler. Zwei Monate nach dem Hochwasser kehrt eine Reporterin an den Ort ihrer Kindheit Bad Neuenahr-Ahrweiler zurück und trifft Freunde von damals.
An den Weinbergen entlang lässt sich noch nicht viel von der Katastrophe erkennen. Weiter in den Orten, fahre ich vorbei an zerstörten Häusern und von Baggern aufgeschütteten Halden voller Unrat und Schutt. In Bad Neuenahr-Ahrweiler angekommen, ist der Boden bedeckt von Staub und Dreck. Löcher in der Straße. Zwei Monate ist es jetzt her, dass die Ahr in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni auf einen Höchststand von bis zu neun Metern anstieg und sich dieses beschauliche Flüsschen zu einem reißenden Fluss entwickelte und ganze Dörfer und Landstriche zerstörte. Autofriedhöfe am Straßenrand lassen nur erahnen, mit welcher Kraft die Flutwelle durch das Tal schoss.
Ich komme in die Region zurück, in der ich die ersten zehn Jahre meines Lebens verbracht habe und aufgewachsen bin. Nichts mehr ist so, wie ich es in Erinnerung habe.
In der Altstadt hinter dem Niedertor, wo einst kleine Cafés und Geschäfte in dem historischen Stadtteil waren, arbeiten Helfer daran, die Stadt wieder aufzubauen. Es wirkt wie in einer Geisterstadt. Wo ich damals Eis essen war, sehe ich heute nur zugenagelte Fenster und Türen, da die Flut die Glasscheiben mit voller Wucht rausgedrückt hat. Dort treffe ich mich mit einer alten Freundin, Alina.
Hilfe der Freiwilligen berührt: „Die Leute schöpfen Hoffnung“
Ihre Mutter ist auch dabei und erzählt von den Erlebnissen in der Nacht und den Tagen der Flut. Sie erzählt von Menschen, die nicht nur ihr Haus, ihre Existenz, sondern auch ihr Leben in der Flut ließen. Immer noch werden Leute vermisst. Sie hat in den letzten Wochen viel geholfen, ist gelernte Krankenschwester. Besonders berühre sie die Hilfe der Freiwilligen. „Die Leute schöpfen Hoffnung durch Anteilnahme und Hilfe der Freiwilligen.“
Gemeinsam fahren wir durch Ahrweiler, mir kommen Erinnerungen von damals ins Gedächtnis. Der Weg mit dem Schulbus, das Treffen mit Freunden auf dem großen Parkplatz beim Supermarkt. Wir fahren zu meiner alten Schule, dem Peter-Joerres-Gymnasium. 2008 wurde ich hier in die fünfte Klasse eingeschult. Schon von Weitem sehen wir Bagger und große Geräte. Sie versuchen, das Gebäude für die Schüler begehbar zu machen.
Kleidung, Decken: An den Ufern liegen Überreste der Flut
Der Weg zum Schuleingang existiert nicht mehr. Am Straßenrand liegen ausgerissene Straßenlaternen und entwurzelte Bäume. Scheiben sind zerbrochen und das ganze Gelände ist immer noch mit getrocknetem Schlamm bedeckt. Früher konnte ich vom Pausenhof auf die Ahr und eine Brücke schauen. Heute ist die Brücke weg, die Löcher, die geblieben sind, werden gesichert durch Bauabsperrungen.
Der Blick auf die Ahr ist geblieben. Baumstämme treiben mit. An den Ufern liegen Überreste der Flut, Kleidung und Decken, die von der Ahr mitgerissen wurden. Dort, wo ich damals als Kind auf dem Schulhof spielte, sehe ich heute nur Überreste von Dreck und Schrott, den die Flut hinterlassen hat.
Gegenüber der Schule ist der Dahliengarten. Wo wir früher langgelaufen sind, um zum örtlichen Schwimmbad zu kommen, ist heute nichts außer Bergen voll Schutt. Nur ein zerbeultes und nicht mehr vollständiges „Landesgartenschau 2023“-Schild lässt darauf schließen, dass hier vormals ein bunt bepflanzter Park war, mit dem die Stadt Großes geplant hatte.
An der Schule treffe ich einen alten Schulfreund, Julian. Er lebt in Hönningen, mitten im Ahrtal. Er hatte Glück, das Haus seiner Familie liegt am Hang. Die Bewohner unten im Dorf hingegen haben teils alles verloren, erzählt er. Die ersten Wochen nach der Katastrophe habe er mitgeholfen und die Keller der Anwohner geräumt. „Viele im Ort haben einfach nichts mehr, viele Häuser müssen abgerissen werden, oder wurden von der Flut mitgerissen.“ Eine Bekannte von ihm habe ihr Leben in der Flut verloren. Er wünscht sich, dass jetzt alles wieder aufgebaut wird. Seine größte Sorge sei, wie die Menschen, die bis heute keine funktionierende Heizung zu Hause haben, über den Winter kommen sollen, sagt er.
Wir ahnen, wie es innen in der Kirche aussieht
Gemeinsam laufen wir an der Promenade der Ahr entlang, die nun alles andere als idyllisch wirkt. „Schwer zu begreifen, dass die Orte, in denen wir früher so viel Zeit verbracht haben, fast komplett zerstört wurden“, sagt er zu mir. Bis heute fiele es ihm schwer zu verstehen, was in der Nacht der Flut eigentlich passierte. Auf dem Rückweg befahren wir eine der letzten noch intakten Brücken, die St. Pius-Brücke. Auf der anderen Seite führt uns der Weg zur Kirche, in der wir damals Schulgottesdienste feierten. Schutt- und Müllberge versperren den Weg. Wir ahnen, wie es innen in der Kirche aussieht.
Auch jetzt, auf dem Weg zurück und aus Ahrweiler heraus, ist es schwer zu verstehen, mit was für einer Kraft das Wasser den Ort und Teile der ganzen Region zerstört hat. Ich fahre wieder auf die Autobahn, die Weinberge vor meinen Augen, kurz wirkt alles so wie früher, es scheint wie ein Traum. Doch beim Blick zurück auf den Ort realisiere ich, dass es nie wieder so sein wird, wie ich es in meiner Kindheit erlebt habe.
Aber vielleicht wird es, wenn ich das nächste Mal hier bin, wieder ein Stückchen besser aussehen, dank der vielen Helferinnen und Helfer, die den Menschen vor Ort mit ihrer Unterstützung Kraft und Hoffnung geben für ein Leben nach der Flut.