Rees. In einem Putenmastbetrieb in Rees sollen Tiere misshandelt worden sein. Trotzdem trugen die Produkte das Siegel der Initiative Tierwohl.

Es sind depremierende Bilder, die Anfang Juli 2024 von der Tierrechtsorganisation Aninova veröffentlich wurden. Das Videomaterial soll zwischen Dezember 2023 und April 2024 entstanden sein und Aufnahmen von versteckten Kameras aus einem Putenmastbetrieb in Rees zeigen. „Die Aufnahmen gleichen einem Horrorfilm“, kommentierte es Aninova-Vorsitzender Jan Peifer. Zu sehen sind tausende Puten auf engstem Raum, zum Teil mit gebrochenen Flügelknochen und entzündeten, blutigen Wunden. Tiere, die im Weg stehen, werden von Mitarbeitern beiseite getreten und teilweise meterweit geworfen. Was dazu allerdings gar nicht passt: Laut Aninova nehme der Betrieb an der Initiative Tierwohl teil, das Fleisch wird mit einem entsprechenden Siegel und der Haltungsstufe 2 im Supermarkt verkauft. Wie kann das sein? Und wie erhält man dieses Siegel überhaupt?

Das steckt hinter dem Siegel der Initiative Tierwohl

Laut der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH, die hinter der Initiative und der Haltungsform-Kennzeichnung steckt, soll das Siegel Kunden mehr Orientierung beim Einkauf bieten und Produkte kennzeichnen, die aus einem Betrieb stammen, der bestimmte Tierwohlkriterien umsetzt. „So können jährlich Millionen Schweine, Hähnchen und Puten unter besseren Haltungsbedingungen leben als der Gesetzgeber vorschreibt“, erklärt die Initiative auf ihrer Internetseite.

Um bei der Initiative Tierwohl zugelassen zu werden, ist die Teilnahme am sogenannten QS-System Voraussetzung. Das System verpflichtet Betriebe zur Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitskriterien. Auch dieses Symbol – ein sich im Kreis drehender blauer Pfeil auf weißem Untergrund – findet sich im Supermarktregal auf vielen Produkten. Die Initiative Tierwohl knüpft an den QS-Vorgaben an und schreibt den Betrieben weitere Standards vor.

Diese Kriterien müssen Betriebe erfüllen

Dazu gehört unter anderem ein jährlicher Tränkwassercheck, der von „geschulten Fachexperten“ durchgeführt wird, sowie eine regelmäßige Teilnahme des Betreibers an Fortbildungen. „Außerdem müssen die Tiere in den teilnehmenden Betrieben mehr Platz bekommen als gesetzlich vorgeschrieben“, erklärt Unternehmenssprecher Dr. Patrick Klein auf Anfrage der Redaktion. Der Betreiber hält also auf derselben Fläche weniger Tiere, während seine Kosten höher sind, als es allein durch die gesetzlichen Vorgaben nötig wäre.

Fleisch als Lebensmittel Das Logo der Initiative Tierwohl mit der Kennzeichnung 2 für Haltungsform Stall Plus
Das Siegel der Initiative Tierwohl sowie die Haltungsform-Kennzeichnung befinden sich auf zahlreichen Supermarktprodukten. © imago images/Gottfried Czepluch | IMAGO stock

Für die Mehrkosten erhält der Betrieb Geld von der Initiative. „Damit macht man aber in der Regel keinen Gewinn. Es ist vielmehr ein Kostenausgleich, denn den Aufschlag gibt es erst, wenn der Betrieb vorweisen kann, dass alle erforderlichen Kriterien eingehalten werden. Dafür muss man also erstmal aus eigener Tasche zahlen“, erklärt Klein. Ist ein Unternehmen dann Mitglied, werde es mindestens zweimal jährlich überprüft. „Ein Mal davon findet die Kontrolle vollkommen unangekündigt statt.“ Außerdem werde eine Kontrolle fällig, sobald der Initiative Tierwohl Verstöße gemeldet werden.

Reeser Putenmastbetrieb bezieht Stellung

So sei es auch bei dem Reeser Betrieb im Juli gewesen. Für das Tierwohl-Siegel wurde er sofort gesperrt, vor Ort wurde eine Sonderuntersuchung durchgeführt. „Dieses Audit hat der Betrieb nicht bestanden und es wurde ein Sanktionsverfahren eingeleitet“, versichert Sprecher Klein. Inzwischen hat auch die Staatsanwaltschaft Kleve „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.“

Diese Ermittlungen unterstütze der Betrieb umfänglich. „Wir bestreiten nicht, dass durch einen Mitarbeiter inakzeptables Fehlverhalten gegenüber einzelnen Tieren gezeigt wurde“, erklärt der Reeser Betreiber gegenüber der NRZ. Allerdings würden die Formulierungen von Aninova aus seiner Sicht suggerieren, „dass grundsützlich mit jedem Tier in unserem Betrieb derart umgegangen wird. Dies war und ist nicht der Fall“, betont der Landwirt und versichert, dass auf die Puten in seinem Betrieb geachtet werde. „Zentral für die Zukunft ist daher für mich, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Achten auf das einzelne Tiere stärker und regelmäßig ins Bewusstsein zu rufen. Derartige Bilder, wie die durch Aninova e. V. veröffentlichten, sehe ich daher als Teil der Vergangenheit für unseren Betrieb an.“

Ende Juli ist in dem Betrieb ein Audit zur Wiederaufnahme ins Tierwohl-System und eine Überprüfung durch das Veterinäramt durchgeführt worden. „Beide Prüfungen hat der Betrieb bestanden, sodass die Sperrung für die Initiative Tierwohl nicht weiter aufrechterhalten wurde“, erklärt Klein. Allerdings stehen immer noch die Ergebnisse des ursprünglichen Sanktionsverfahrens aus. Hier berät der Sanktionsbeirat noch über eine Strafe für die durchgefallene Prüfung von Anfang Juli.

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Diese Strafe könnte auf den Betrieb zukommen

Möglich wäre eine hohe Geldstrafe sowie ein monatelanger Ausschluss aus der Initiative. Damit dürfte der Betrieb seine Produkte auch nicht mehr unter der Haltungsstufe 2 vertreiben, denn die ist wiederum gebunden an die Teilnahme an einem Tierwohlprogramm.

Stallhaltung Plus

Haltungsform 2 steht für „Stallhaltung Plus“ und liegt nur geringfügig über den gesetzlichen Mindeststandards. Vorgeschrieben ist hier unter anderem, wie viel Platz die Tiere im Stall haben müssen. Bei Geflügel wird das über das Gewicht festgelegt: Pro Quadratmeter dürfen maximal 53 Kilogramm Putenhähne und höchstens 48 Kilogramm Putenhennen gehalten werden. Das sind 10 % mehr Platz als in der Haltungsform 1.

Für die Haltungsstufen gibt es zwar auch Kriterien, die würden allerdings nicht nochmal extra untersucht. Dafür muss die Teilnahme an einem Tierwohlprogramm nachgewiesen werden. „Eingeordnet werden nur Programme, die nachweisen können, dass sie die teilnehmenden Landwirte regelmäßig kontrollieren“, so Klein. Sollte der Reeser Betrieb seine Produkte tatsächlich monatelang ohne Siegel vertreiben müssen, könne das existenzbedrohend werden. „Denn viele Supermärkte kaufen nur noch gekennzeichnetes Fleisch, weil die Kunden natürlich auch darauf achten.“

Gegen Aninova hat der Betrieb nach eigenen Angaben Strafanzeige wegen der Hausfriedensbrüche zur Montage und späteren Abholung der versteckten Videokameras und „der mit der Kampagne verbundenen Straftaten“ erstattet.