An Rhein und Ruhr. Mehr als ein Jahr nach Pandemie-Beginn klagen einige Gesundheitsämter weiter über technische Probleme bei der Kontaktnachverfolgung. Eine Bilanz.

Lästige Zettelwirtschaft, noch nicht geschulte Mitarbeiter, Probleme bei der Datenübermittlung: Als die Pandemie im Februar 2020 NRW erreichte, standen die Gesundheitsämter vor vielen Fragen. Monatelang mussten sich die Mitarbeiter bei der Kontaktnachverfolgung mit E-Mails, Fax-Geräten und Druckern behelfen. Digitale Schnittstellen zu Laboren und Nachbarstädten gab es nicht. Daten wurden doppelt abgetippt oder per Telefon weitergegeben. Seitdem sind anderthalb Jahre vergangen, um den technischen Rückstand aufzuholen. Die Realität ist aber teilweise eine andere.

Kontaktlisten und Luca-App

Egal ob Restaurants, Hochzeiten oder Sportvereine: Überall mussten Bürgerinnen und Bürger bei erhöhter Inzidenz ihre persönlichen Daten hinterlegen – erst auf Zetteln, später auch mithilfe von digitalen Lösungen wie die Luca-App. Das Land NRW stellte im Juli 2021 nach langer Entwicklungszeit die Schnittstelle „Iris Gateway“ vor, die die oftmals auf Mails und Telefonanrufe basierende Datenübermittlung zwischen Gesundheitsamt und App-Betreibern digitalisieren sollte. Kostenpunkt: rund 100.000 Euro.

Ende August, nur wenige Wochen nach Einführung der Schnittstelle, änderte NRW seine Corona-Richtlinien. Statt Listen und Apps gilt seitdem die 3G-Regelung. „Aus Sicht der Landesregierung standen der Aufwand und die datenschutzrechtlichen Fragestellungen bei der umfassenden Kontaktdatenerfassung nicht mehr im Verhältnis zu der Nutzung und den Bedarfen durch die Gesundheitsämter“, schreibt das NRW-Gesundheitsministerium (Mags) auf NRZ-Anfrage.

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Mittlerweile ist klar: Die Kontaktlisten und Apps wurden von einem Großteil der Gesundheitsämter kaum genutzt. Lediglich in Ausnahmefällen seien die Zettel zum Einsatz gekommen, heißt es aus dem Kreis Wesel und Duisburg. Die Stadt Mülheim griff nach eigenen Angaben überhaupt nicht auf Kontaktlisten und Apps zurück. Hätte die Politik also in Anbetracht des hohen Aufwands für die Betriebe und des überschaubaren Mehrwerts für die Gesundheitsämter rückblickend besser auf die Zettel und Apps verzichten sollen? „Ja“, schreibt Mülheims Stadtsprecher Volker Wiebels.

Corona-Software Sormas

Infiziert sich ein Bürger bei einer Veranstaltung im Nachbarort, müssen die Gesundheitsämter Daten untereinander austauschen. Da die Ämter aber monatelang nicht digital vernetzt waren, erfolgte der Kontakt überwiegend per Telefon oder Mail. Auch bei der Datenübermittlung zwischen den Laboren, Gesundheitsämtern und dem Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG) fehlten entsprechende Schnittstellen. Das Land NRW hatte deshalb Anfang 2021 die Software Sormas eingeführt. Das damals angekündigte Update „Sormas eXchange“ sollte eine „digitale und datenschutzkonforme Vernetzung zwischen den Gesundheitsämtern“ ermöglichen.

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Und heute? Obwohl es etwa bei der Übermittlung von Corona-Fällen ans LZG zu technischen Verbesserungen gekommen sei, verbleiben laut Wesels Kreissprecherin Schulte auch ein halbes Jahr nach Einführung der Corona-Software „noch immer Schnittstellenprobleme zu einzelnen Fachanwendungen“. Einige Städte wie Mülheim, Duisburg und Düsseldorf hatten wegen der langen Entwicklungsdauer von Sormas frühzeitig auf andere Programme gesetzt. „Sormas ist nun seit Ende Juni im Einsatz“, so Duisburgs Stadtsprecher Jörn Esser. Die Benutzerführung sei jedoch „wenig intuitiv“, das Arbeiten mit dem Programm kaum eine Erleichterung. „Hier müsste erheblich nachgearbeitet werden, um effektiver arbeiten zu können“, kritisiert Esser.

„Der Austausch von Informationen und Dokumenten (z.B. über Kontaktpersonen) zwischen verschiedenen Gesundheitsämtern stellt bisher noch eine Herausforderung dar“, so das Mags. Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfe die Übermittlung nicht per E-Mail erfolgen, weshalb zwischen den Gesundheitsämtern nach wie vor häufig über Fax oder auf dem Postweg kommuniziert werde. „Dies würde sich bei einer flächendeckenden Nutzung von Sormas eXchange durch die Kommunen ändern.“ Noch müsse die entsprechende Funktion aber erst freigeschaltet werden, schreibt das NRW-Gesundheitsministerium. Immerhin: 31 von 53 Gesundheitsämtern könnten Sormas eXchange nach der Freischaltung kurzfristig nutzen, so das Mags.

Erschwerte Quarantäne-Regeln

Die aktuellen Quarantäne-Richtlinien stellen die Gesundheitsämter in NRW vor eine zusätzliche Herausforderung. „Wir haben zu Beginn der Pandemie beispielsweise bei Hochzeiten sofort alle Gäste unter Quarantäne gestellt, sobald uns ein positiver Fall vorlag“, so Schulte. Mittlerweile müssten die Mitarbeiter in „wesentlich filigranerer Arbeitsweise“ genau nachverfolgen, welche Personen nachweislich einen engen Kontakt zum Infizierten hatten. „Das ist viel mehr Arbeit, weil wir unnötige Quarantänefälle verhindern wollen.“

Das zeigt sich auch in Schulen: Zwar gelte die Regel, dass nur für Sitznachbarn eines Infizierten Quarantäne angeordnet werden soll. In der Praxis müssten die Mitarbeiter aber prüfen, ob sich das infizierte Kind beispielsweise nach der Schule noch mit anderen Schülern getroffen hat. Deshalb müssten je nach Einzelfall in einer Klasse fünf, in einer anderen 20 Kinder in Quarantäne.

Das soll sich nun ändern: Das NRW-Gesundheitsministerium hat am Dienstagabend bekanntgegeben, dass künftig in der Regel nur noch der infizierte Schüler selbst in Quarantäne soll. Die notwendigen Erlasse und Verordnungen sollen demnach bis Ende der Woche ausgearbeitet werden.