An Rhein und Ruhr. Innenminister Reul rechtfertigte den Polizeieinsatz mit einer Zuspitzung von Straftaten. Eine Auflistung dieser Straftaten wirft Fragen auf.

Die Grünen im Landtag werfen Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) vor, die Gefahrenlage im Hambacher Forst vor der umstrittenen Räumung im Herbst 2018 übertrieben dramatisch dargestellt zu haben, um den Polizeieinsatz im Nachhinein zu rechtfertigen. Sie reagieren damit auf eine Antwort auf eine Große Anfrage ihrer Landtagsfraktion.

Die Räumung von Dutzenden Baumhäusern, die Besetzer in den Monaten und Jahren vor dem Herbst 2018 errichtet hatten, hatte zu einem der größten Polizeieinsätzeder nordrhein-westfälischen Geschichte und einem parlamentarischen Nachspiel geführt.

Vorwurf: Landesregierung als Erfüllungsgehilfe von RWE

Die Landesregierung musste sich des Vorwurfs erwehren, sich zum Erfüllungsgehilfen des Energiekonzerns RWE gemacht zu haben, der das Waldstück roden wollte, um auf dem Gelände Kohle abzubaggern. Das Oberverwaltungsgericht Münster stoppte die Rodung kurz nach Beginn der Räumungsaktion.

Zunächst hatte die Landesregierung die Räumung mit fehlendem Brandschutz in den Baumhäusern begründet. Später räumte sie ein, dass dies ein Vorwand gewesen sei, um mögliche Auseinandersetzungen zwischen Besetzern und Polizei bei der Rodung zu verhindern.

Konstruktion des Brandschutz-Vorwands war mühsam

Aus den Antworten auf die Grünen-Anfrage geht noch einmal deutlich hervor, wie mühsam es für das Innenministerium war, diesen Vorwand zu konstruieren. Noch im Juli 2018 hatte das Bauministerium mitgeteilt, dass aus seiner Sicht die Bauordnung und damit das Argument des fehlenden Brandschutzes nicht greife.

Reul schrieb daraufhin einen Brandbrief, in dem er seine Kabinettskollegen vor einer „Bewährungsprobe“ für das Land warnte, die das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat gefährden könne. Die Beauftragung eines externen Münsteraner Gutachters Ende August 2018 erbrachte schließlich die gewünschte Argumentationsbasis.

Reul sprach von „knallharten Straftätern“ im Hambacher Forst

Im Juli 2019 verteidigte der Landesinnenminister die Räumung im Landtag damit, „dass sich im Frühjahr und im Sommer des Jahres 2018 die schweren Rechtsverstöße und die Straftaten in diesem Forst zugespitzt haben“. Im September 2019 sprach Reul im Innenausschuss von „knallharten Straftätern“ im Forst. Man habe verhindern wollen, dass „im Wald das Chaos ausbricht“.

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Tatsächlich werden in der Antwort auf die Grünen-Anfrage zwischen Januar und August 2018 insgesamt 90 Straftaten aufgelistet, rund doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Überwiegend sind das Sachbeschädigungen wie Graffiti-Sprühereien, sowie Störungsaktionen oder Widerstandshandlungen gegen Beamte. Auch Fahrrad-Diebstähle werden erwähnt.

In den ersten acht Monaten des Jahres 2018 wurden demnach im Hambacher Forst zwölf Fälle besonders schweren Landfriedensbruchs und eine gefährliche Körperverletzung gezählt.

Grüne: Reul hat Horrorszenarien erfunden

„Selbstverständlich ist jede Straftat eine zu viel, und Protest muss immer gewaltfrei sei“, so die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Verena Schäffer. Die vorgelegten Zahlen belegten jedoch eindeutig, „dass der Innenminister den Eindruck erwecken wollte, als hätten sich bereits Monate vor der Räumung Horrorszenarien im Wald abgespielt“.

Schäffer wirft dem Innenminister vor, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben, „um Stimmung gegen die Baumhausbewohner zu schüren und den Polizeieinsatz mit Hilfe einer falschen Erzählung zu legitimieren“.

Scharfe Kritik an der Rolle des Ministerpräsidenten

Ebenfalls scharfe Kritik übt die Grünen-Abgeordnete an der Rolle des Ministerpräsidenten. Auf die Frage, ob Armin Laschet Anweisungen im Komplex „Hambacher Forst“ gegeben habe, antwortet das Bauministerium mit einem eindeutigen: „Nein“.

Daraus werde ersichtlich, dass Laschet offenbar kein Interesse gehabt habe, einzugreifen, um zu vermitteln. „Er ist damit seiner Führungsrolle nicht gerecht geworden“, so Schäffer.

Aktuell halten sich nach Angaben des Bauministeriums „60 Störer“ im Umfeld des Hambacher Forstes auf. Sie hätten neue Baumhäuser errichtet, es komme immer wieder zu Angriffen gegen RWE-Mitarbeiter, Polizisten und Jäger.