Mönchengladbach. Während der Mahd verenden Rehkitze oft qualvoll. Jäger helfen Landwirten am Niederrhein ehrenamtlich und kostenlos. Die Lösung liegt in der Luft.
Walter Coenen ist es gewohnt, tote Tiere zu sehen. Doch diese Bilder sind dem Jäger lange Zeit nicht aus dem Kopf gegangen. Rehkitze ohne Läufe, nur mit Stumpen im Gras liegend, schreiend, fiepend. Er hatte keine Wahl, er musste sie von ihrer Qual erlösen. Drei solcher misshandelter Rehe hat er gefunden. Dieses Jahr soll es besser werden – hofft er. Denn ab sofort spürt er Rehkitze mit der Wärmebildkamera an einer Drohne auf, um sie besser sehen und vor dem Mähdrescher retten zu können.
Da, da ist was! Ein weißer Fleck?! „Ein Hase“, sagt Walter Coenen. Den erkennt er… woran? „An den einfachen Bewegungsmustern“, erklärt der Fachmann und zoomt das Bild von der Drohne oben auf dem Bildschirm unten heran. Wäre dieser weiße Punkt ein Rehkitz, es würde ganz ruhig im hohen Gras liegen bleiben.
„Die Kitze liegen so dicht auf dem Boden, dass man fast darauf tritt“, sagt Coenen. Wittert es Gefahr, läuft es nicht weg, sondern duckt sich nur. Wenn es Glück hat, ist ein Retter in der Nähe, packt es vorsichtig und setzt es in ein anderes Feld, bevor der Mähdrescher auf einer Breite von zwölf Metern und einer Geschwindigkeit von bis zu 40 km/h durchs Feld pflügt. Ist das Rehkitz nicht fort, wird es jämmerlich verenden.
Das gerettete Kitz kommt in die Gemüsebox
Die Mahd, also die Zeit, in der das Gras auf den Feldern geschnitten wird, hat begonnen. Aufgrund des widrigen Wetters und der kühlen Temperaturen ist die Saison etwas später gestartet. Die ersten Rehkitze sind auf der Welt, die nächsten folgen.
In ihren ersten Tagen riechen sie noch nicht, geben keine Witterung ab. Das macht es auch so schwer für Hunde, sie im hohen Gras aufzufinden. Denn die Hunde kommen mit den Fußtrupps eigentlich zum Einsatz. Doch in diesem Jahr bekommen sie Konkurrenz durch die Drohnen. Gute Konkurrenz, wie Coenen findet.
Er öffnet seinen Koffer, steckt einen Akku in das Flugobjekt, klappt die Flügel auf, baut den Bildschirm auf. Und hebt ab. 10 Meter, 20, 30. Bei 50 hat sie ihre Flughöhe erreicht. Fünf Meter Feld schafft sie pro Sekunde abzufliegen und ist damit weitaus effektiver und genauer in der Erfassung als ein Fußtruppe mit Hunden, meint Drohnenpilot Walter Coenen.
Landwirte sind laut Gesetz verpflichtet, den Mähtod zu vermeiden
Außer ihm haben vier weitere Kollegen den Drohnenführerschein gemacht. Fünf Piloten, zwei Drohnen stehen für die Rehkitzrettung der Kreisjägerschaft in Mönchengladbach zur Verfügung. Und dazu kommen Läufer, also Menschen, die das Rehkitz retten, wenn es von der Wärmebildkamera entdeckt worden ist.
Sie reiben zuvor ihre behandschuhten Finger mit Gras ein, um nicht so viel Geruch an das Kitz abzugeben. Sonst will es die Ricke nicht zurück. Dann wird das kleine Reh in eine mit Gras ausgelegte Gemüsebox gelegt und in einem anderen nahen Feld ausgesetzt, in dem es die Ricke wiederfindet. Oder das Kitz wird später auf das frisch gemähte Feld zurückgesetzt.
Landwirte sind laut Tierschutzgesetz verpflichtet, den Mähtod zu vermeiden. Und die Jäger? Klar, die wollen Wild, sind aber auch der Hege verpflichtet. Und so bieten die Jäger ihre Hilfe an – ehrenamtlich in der Morgendämmerung, kurz vor Mähen des Feldes.
Es kostet also nichts, es braucht nur ein wenig Absprache, ein paar Tage Vorlauf und die Berechtigung für den Drohnenpiloten, das Flugobjekt übers Feld zu jagen. Und doch seien die Landwirte noch ein wenig zurückhaltend, schildert Coenen seinen Eindruck. So mancher traut vielleicht der Technik nicht, vermutet er und lenkt seine Drohne wieder in seine Richtung, wo er sie sanft zu Boden gleiten lässt.
Der Hase, dieser kleine Fleck mit den einfachen Bewegungsmustern, wird übrigens auch gerettet, wenn er nicht schon längst über alle Felder ist...