An Rhein und Ruhr. Umweltministerin Heinen-Esser (CDU) will die Neunutzung von Brachen forcieren. Umweltverbände halten die Maßnahmen für Augenwischerei.

Neue Gewerbegebiete, Straßen und Siedlungen: Tag für Tag verschwinden in Nordrhein-Westfalen nach Angaben des NRW-Umweltministeriums im Schnitt acht Hektar Fläche unter Asphalt und Beton - zu Lasten von Natur und Landwirtschaft. Im Kampf gegen eben diesen Flächenfraß setzt die Landesregierung aufs Reaktivieren von Brachen. Auch ein Pilotprojekt zum Flächenzertifikatehandel ist angekündigt.

"Wir haben im Kabinett ein Maßnahmenpaket zur intelligenten Flächennutzung verabschiedet", berichtete Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) an diesem Mittwoch (16. September in Solingen, wo derzeit das Gelände der ehemaligen Schneidwarenfabrik Rasspe durch den Verband für Flächenrecycling (AAV) hergerichtet wird).

Mehr Geld fürs Flächenrecycling

Rund 150.000 Kubikmeter umbauter Raum werden dort zurückgebaut und der Boden saniert. "Hier entsteht das größte Industriegebiet der Region", erklärte Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD). Zukunftsweisende Firmen - etwa aus den Bereichen Künstliche Intelligenz und 3D-Druck - sollen sich ansiedeln.

Die Herrichtung solcher Altareale will Heinen-Esser forcieren. Aus dem NRW-Konjunkturprogramm habe man dem AAV sieben Millionen Euro zusätzlich zugeleitet. Beabsichtigt ist, dass weitere Mittel folgen. Der Verband richtet die Brachen für Kommunen her. Weitere fünf Millionen Euro fließen - wie bereits berichtet - in die sogenannte Infrastruktur und sollen helfen, landesweit ein durchgängiges Netz aus Grün- und Freiräumen zu schaffen.

Mit dem Zertifikatehandel "bundesweit Vorreiter"

Eine weitere Maßnahme: Das bestehende Altflächenkataster wird ausgebaut und soll künftig nicht nur Grundstücke von mehr als 2000, schon schon ab 500 Quadratmeter beinhalten. "Da besteht eine starke Nachfrage", sagte Heinen-Esser, die für andere Art der Bebauung in Gewerbegebieten wirbt - nicht eingeschossig und breit, wie oft "auf der grünen Wiese" geschehen, sondern auch in die Höhe.

Offen ist, was das Pilotprojekt zum Zertifikatehandel zu leisten vermag. Eine Arbeitsgruppe verschiedener NRW-Ministerien (Wirtschaft, Umwelt, Bau, Verkehr) soll es auf den Weg bringen, muss aber auch noch rechtliche Fragen klären. Fest steht: In einer noch zu bestimmenden Region soll der Flächenverbrauch durch Zertifikate geregelt werden, die untereinander getauscht werden können - ähnlich wie beim CO2-Zertifikatehandel. "Wir sind damit bundesweit Vorreiter", sagte die Ministerin.

Umweltschützer gehen von 12 Hektar pro Tag aus

Umweltschützer halten das Maßnahmenpaket für einen "zahnlosen Tiger", wie es in einer Stellungnahme von BUND, Naturschutzbund und Landesgemeinschaft (LNU) heißt. In der laufenden ‚Volksinitiative Artenvielfalt NRW" drängen die Verbände darauf, den Flächenverbrauch im Land bis zum Jahr 2035 auf Null absenken, weil Tiere und Pflanzen wichtige Lebensräume verlieren.

Die Umweltschützer gehen auch davon aus, dass täglich nicht acht, sondern sogar 12 Hektar Freifläche verschwinden - das jedenfalls sei der Mittelwert der letzten zehn Jahre. Das NRW-Umweltministerium verteidigt seine Angabe damit, dass es seit 2016 eine neue bundesweit einheitliche Erfassungsmethode gebe. Vergleiche mit früheren Daten seien nur sehr eingeschränkt möglich.

Flächenverluste in der Landwirtschaft sogar noch höher

So oder so: Blickt man nur auf die landwirtschaftliche Fläche, so ist der tägliche Verlust wegen der Ausgleichsmaßnahmen bei Bauprojekten sogar noch höher. "In den vergangenen Jahren wurden der Landwirtschaft in NRW im Schnitt 20 Hektar pro Tag entzogen", sagte Andrea Hornfischer von den Rheinischen Bauern. Sie begrüßte das Paket der Landesregierung, forderte aber auch eine Neuregelung eben jener Ausgleichsmaßnahmen. Die qualitative Aufwertung bestehender Naturschutzgebiete müsse Vorrang haben.