Den Haag. Undokumentiert in den Niederlanden: Asylsuchende, deren Antrag bisher abgelehnt wurde, müssen schnellere Ausweisungen befürchten.
Seit Mitte Mai haben die Niederlande eine neue Regierung. Eine, die so weit rechts steht, wie keine andere vor ihr in der Geschichte des Landes. Die kürzlich erschienene Koalitionsvereinbarung bezieht klar Stellung, wenn es um Migration und Asyl geht.
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So will die Koalition rund um Geert Wilders rechtsextreme Freiheitspartei PVV ein Asylkrisengesetz durchbringen. Dazu gehört auch, Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung abzuschieben. Asylantrag abgelehnt. Für Menschen wie Shi könnte das eine absolute Katastrophe bedeuten.
Die junge Frau kam vor knapp zehn Jahren mit ihren Eltern in die Niederlande, in der Hoffnung auf Schutz vor der Verfolgung in ihrem Heimatland China. Dort gehörten sie und ihrer Familie der christlichen Minderheit an. Der chinesische Staat geht hart gegen religiöse Gruppen vor, so zum Beispiel auch gegen die muslimischen Uigurinnen und Uiguren. Shi und ihre Familie hielten ihre Gottesdienste heimlich ab, trafen sich nur unter größter Vorsicht. Doch irgendwann flogen sie auf und mussten flüchten.
Doch inden Niederlanden wurde ihr Asylgesuch abgelehnt. Der Grund: nicht genügend Beweise. Das Argument, dass die fehlende Dokumentation vor allem der eigenen Sicherheit im Überwachungsstaat gedient habe, ändert an der Entscheidung nichts. Shi und ihre Familie müssen das Land verlassen. Aber das tun sie nicht. Stattdessen schaffen sie es, ein Leben im Verborgenen aufzubauen.
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Nun gehören sie seit gut einem Jahrzehnt zu der großen Gruppe von Menschen, die illegal in den Niederlanden lebt. Wie viele es wirklich sind, weiß niemand so genau. Schätzungen von Hilfsorganisationen und der Regierung aus dem Jahr 2018 gehen von 23.000 bis 58.000 Menschen aus. Genauere und aktuellere Zahlen gibt es nicht.
Leben außerhalb der Gesellschaft
Bei dieser großen Gruppe von Menschen handelt es sich um Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die als illegale Arbeiterinnen und Arbeiter von außerhalb der EU eingeschmuggelt wurden, oder um jene, die mit einem Heiratsvisum ins Land kamen, sich aber irgendwann scheiden ließen. Dass das Fehlen eines Aufenthaltstitels ein Leben isoliert von der Gesellschaft bedeutet, weiß Carry van Wersch vom niederländischen Roten Kreuz.
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Es droht Obdachlosigkeit, der Zugang zum Gesundheitssystem wird erheblich erschwert, und Arbeiten ist auch nur illegal möglich, was wiederum die Risiken von Unterbezahlung, Ausbeutung und Menschenhandel mit sich bringt. Auch Shi weiß das. Diese Hürden begegnen ihr täglich in Geschäften, im Bus oder auf der Post. „Wenn ich ein Paket abholen und einen Ausweis vorlegen muss, geht das nicht“, sagt sie.
Ebenso problematisch ist, dass der öffentliche Personenverkehr in den Niederlanden, ebenso wie viele Geschäfte, keine Barzahlung mehr akzeptiert. Aber Shi hat keine Bankkarte und kein Konto. Studieren kann sie nicht, Geldverdienen geht nur mit Schwarzarbeit als Putzhilfe oder Babysitterin. Ausbeutung oder das Einbehalten von Löhnen hat sie dabei zum Glück noch nie erlebt.
Carry van Wersch vom Roten Kreuz weiß: „Ich versuche den Menschen immer zu erklären, dass undokumentierte Personen die wahrscheinlich bravsten Leute in der Gesellschaft sind. Sie trauen sich nicht, an der Ampel über Rot zu gehen oder ohne Licht Fahrrad zu fahren. Denn wenn sie erwischt werden, könnte das fatale Folgen haben.“
Nach dem Rechtsruck
Nun haben die Niederlande eine neue Regierung, bestehend aus der rechtsextremen und islamfeindlichen PVV von Geert Wilders, der ehemaligen Rutte-Regierungspartei VVD, der Bauer-Bürger-Bewegung BBB und den Christdemokraten vom neuen Sozialvertrag NSC. Die Hauptpunkte der neuen Koalition, die sich gerade im Prozess der Kabinett-Bildung befindet, liegen vor allem auf Migration, oder vielmehr die Verhinderung davon. Das meint unter anderem einen sofortigen Stopp der Bearbeitung von Asylanträgen sowie die konsequente Ausweisung von Menschen ohne Aufenthaltstitel.
Carry van Wersch weiß von Mitarbeitenden anderer Hilfsorganisationen, dass dies illegalen Migrantinnen und Migranten Angst macht, aber sie will die Auswirkungen der Pläne der neuen Regierung erst einmal abwarten. „Jede Koalition muss sich an niederländisches und europäisches Recht halten, und ich habe Vertrauen in die Regierung, dass sie das auch tut, aber wir müssen abwarten,was in Zukunft passiert. Darüber können wir nicht spekulieren.“
Dass die Regierung nun die Jagd auf undokumentierte Personen eröffnen wird, hält sie für unwahrscheinlich. Für Shi bedeutet das neue politische Klima aber trotzdem, dass sie sich wohl noch tiefer in ihr Versteck zurückziehen wird. Denn sie glaubt nicht mehr daran, jemals Asyl in den Niederlanden zu bekommen. In ihr Heimatland zurück kann sie ebenfalls nicht. Sie ist von einem Leben im Verborgenen in ein anderes gerutscht.