De Koog. Tausende Deutsche urlauben in den Niederlanden. Priester Maximilian Strozyk steht ihnen bei - und wird mit Schicksalen konfrontiert.

Vom Strand zur Kirche sind es gemütliche zehn Fußminuten. Ein Backsteinbau mit flachem Dach gegenüber einem Lebensmittelmarkt an einem kühlen Sonntagvormittag, das schmucklose Gebäude ist rappelvoll. Zum Feriengottesdienst auf der Nordseeinsel Texel sind gekommen: Ein Mann im VfL-Bochum-Trikot. Eine fröhliche und jung gebliebene Radfahrerin Anfang 60 aus Ostwestfalen. Ein betagter Herr mit großer Brille und beiger Übergangsjacke. Eine blonde Frau in den 30ern mit Leopardenmuster-Bluse, goldfarbenen Ohrringen und auf die Stirn geschobener Sonnenbrille, die während der Predigt scheinbar gelangweilt ihre Fingernägel inspiziert. Und gut 150 weitere deutsche Urlauber, unter ihnen viele Familien mit Kindern.

Sie lachen, klatschen und singen, nur manche sind ganz ernst. Als es in der Kanzelrede um Trauerbewältigung geht, schimmern Tränen in den Augen der Leopardenfrau. Große Gefühle fernab der Heimat.

Im Sommer Ferienpfarrer in Holland

Texel-Seelsorger Maximilian Strozyk hält die Predigt in weißem Talar und rosafarbenen Badeschlappen. Er weiß, dass in der Fremde Emotionen hochkommen können. Seit neun Jahren verbringt der 37-Jährige Sommerwochen auf der Insel und hat viel erlebt. „Einmal kam ein Mann auf uns zu, der erzählte, dass seine Frau vor zwei Wochen eine Krebsdiagnose erhalten hatte. Vor einer Woche war sie gestorben. Nun hatte er gerade ihre Asche im Meer verstreut und war dankbar, darüber reden zu können.“

Hereinspaziert: Urlaubsseelsorger Maximilian Strozyk (37) aus dem Bistum Essen vor der Kirche von De Koog auf Texel.
Hereinspaziert: Urlaubsseelsorger Maximilian Strozyk (37) aus dem Bistum Essen vor der Kirche von De Koog auf Texel. © Funke Foto Services | Jonas Erlenkämper

Dramatische Schicksale. Trotzdem verbreitet Strozyk gute Laune. Sein Arbeitsplatz ist der vielleicht schönste, den die Kirche im Sommer zu bieten hat: Ein Wohnwagen in den Dünen, der Anlaufstelle ist für alle, die in Not geraten sind oder jemanden zum Zuhören suchen.

Im Sommer fahren Tausende Urlauber an die niederländischen Strände. Deutsche Diözesen haben deshalb in den letzten Wochen Geistliche in die beliebtesten Ferienorte entsandt. Das Bistum Münster kümmert sich auf Ameland vor allem um Jugendliche in den vielen Zeltlagern. Die evangelische Kirche bietet Messen etwa in Renesse und Cadzand an. Texel-Urlauber finden bei Mitarbeitern des Essener Bistums ein offenes Ohr - und das seit 56 Jahren. Generationen von Sommerreisenden haben den Theologen im Außendienst ihr Herz ausgeschüttet.

„Wir wirken nicht krass fromm.““

Maximilian Strozyk
Ferienpfarrer und Jugendseelsorger

Maximilian Strozyk zeigt den von Strandgras umwachsenen weißen Wohnwagen, der den Auslandsdeutschen als Gemeindezimmerchen dient und in dem er drei Wochen lang ziemlich beengt wohnt, bis ein anderer Priester ihn dort ablöst. Der Anhänger befindet sich auf dem Zeltplatz „Kogerstrand“ im Küstenörtchen De Koog, günstig gelegen zwischen Waschhaus und Parkplatz. Ein im Seewind heftig wippender Aufsteller macht auf die „Urlaubsseelsorge Texel“ aufmerksam. Draußen stehen Holztische und Sitzbänke, in einem Vorzelt sind ein kleiner Kühlschrank sowie die Bibliothek untergebracht, aus der Besucher allerlei ausleihen können: Krimis, Jugendliteratur, Gesellschaftsspiele, die Bibel, ein Sachbuch über „queere Kinder“.

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Der gebürtige Bochumer hat seinen Talar abgelegt, außerhalb des Gottesdienstes trägt er T-Shirt. „Wir leben mit den Urlaubern mitten auf dem Zeltplatz“, deshalb erreichten er und die drei ihn unterstützenden Ehrenamtler Menschen, die zuhause nie einen Fuß in die Kirche setzen. „Wir wirken nicht krass fromm“, glaubt Strozyk, der normalerweise als Jugendseelsorger in Duisburg und Essen arbeitet und mit zwei anderen in einer Mülheimer Priester-WG lebt.

Holland-Urlauber suchen jemanden zum Reden

Wie die Kontaktaufnahme mit Wildfremden abläuft, beschreibt die Essenerin Eva Kruk so: „Am Anfang lädt man die Leute auf einen Kaffee ein. Am Ende redet man über deepe Themen.“ Die 28-jährige Theologiestudentin hilft freiwillig, zum dritten Mal ist sie auf der Insel. Wenn das Gespräch auf die Kirche komme, werde sie zuhause allzu oft auf öffentlich diskutierte Krisenthemen angesprochen. Es gehe dann um Missbrauch oder darum, ob der Katholizismus noch zeitgemäß ist. Im Urlaub, wenn die Menschen den Kopf frei hätten, kämen ihnen andere Themen in den Sinn, so Kruk. „Sie vertrauen einem schnell persönliche Dinge an. Ich bin davon so erfüllt. Die Arbeit auf Texel hat mich in meinem Wunsch bestärkt, Seelsorgerin zu werden.“

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Sie spendet ihre Freizeit, um Wanderungen, Basteltreffen und das wöchentliche Open-Air-Singen in den Dünen zu organisieren. Nur montags hat sie frei. Dann fährt sie gerne auf einen ein paar Kilometer entfernten Bauernhof - zum „Lämmer knuddeln“.

Als das Ruhrbistum in den 1960er-Jahren erstmals Teams nach Texel schickte, war die Insel gerade mittendrin in ihrer Entwicklung zum Sehnsuchtsort deutscher Touristen. So verrät das Angebot etwas über die vielen Menschen an Rhein und Ruhr, die vom Meer träumen und die schönsten Wochen des Jahres auf einem holländischen Zeltplatz verbringen. Mittlerweile gehören die Urlaubsseelsorger aus Duitsland zu Texel wie Schafe und Deiche. Als sie Ende Juni ihr Quartier aufschlugen, vermeldete sogar die Inselzeitung „Texelse Courant“ die Rückkehr der Ferienpfarrer: „Vakantiepastoraat actief op Kogerstrand“.

Ein Plakat an der Kirche von De Koog macht auf die Urlaubsseelsorge auf Texel aufmerksam.
Ein Plakat an der Kirche von De Koog macht auf die Urlaubsseelsorge auf Texel aufmerksam. © Funke Foto Services | Jonas Erlenkämper

Zurück zum Gottesdienst, zurück zur Backsteinkirche neben dem Lidl. Maximilian Strozyk beschwört mit warmer Stimme und in der Sprache des Reviers ein Gemeinschaftsgefühl unter den Besuchern. In seiner Predigt geht es um „Kollege Bratwurst“, der „auf den Putz haut“, um „Vatta und Mutta“ und darum, dass der Urlaub eine Chance sei, „die Seele baumeln zu lassen und eigene Schwächen zu akzeptieren“. Die meisten Zuhörer werden sich nach Texel nie wiedersehen. Aber während ihres Urlaubs bilden sie eine Gemeinschaft. Hunderte Kilometer von zuhause entfernt.