Ameland. Eine Erfolgsstory von der Urlaubsinsel Ameland: „De Verwachting“ ist ein Mühlenmuseum, aber auch ein florierendes Unternehmen.

Samstags ist Showtime in der Getreide- und Senfmühle mit dem verheißungsvollen Namen „Die Erwartung“ auf der Nordseeinsel Ameland. So wie jeden Samstag – und dienstags und donnerstags.

Schon die alte Getreidemühle drehte an dieser Stelle von 1840 bis 1949 die Flügel in den Wind. Ihr Abriss ging den Anwohnern so zu Herzen, dass sie 1988 ein gleich altes Exemplar auf die Insel schafften und auf denselben Namen tauften: „De Verwachting“. Normalerweise prägt dörfliche Idylle die ziegelsteingepflasterten Gassen von Hollum ganz im Inselwesten. Schön herausgeputzte Kapitäns- und Lotsenhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert, als Handelsschifffahrt und Walfang boomten, schmücken den Ort, der ein wenig aus der Zeit gefallen scheint. Doch wenn die Mühle mahlt, wird es am Rand des 1300-Seelen-Dorfs geschäftig.

Ohne Ehrenamt kein Senf

Schon vor den Besuchern trudeln die Ehrenamtler ein, denn die Mühle wird ausschließlich von „vrijwilligers“ betrieben. Yme und Herman, Jacques und Sytze begrüßen sich herzlich. Man merkt gleich: Sie kommen gerne hierher. Die Müller und Senfmacher finanzieren den achteckigen Galerieholländer mit dem Herstellen und Verkauf von Mehl und Senf. Am Eingang begrüßt Yme meine Kollegin Britta und mich – in fließendem Deutsch. Er ist einer der Freiwilligen, ohne die viele niederländische Einrichtungen nicht überleben könnten. Auch De Verwachting würde es ohne die 30 Ehrenamtler wohl nicht geben. Doch im Gegensatz zum Festland haben die Insulaner keine Probleme mit rückläufigen Ehrenamtszahlen.

In den Holzregalen des Mühlenshops stapeln sich die Mehlsorten, darunter ein praktischer Pfannkuchenmix, und Senf: 13 verschiedene Sorten, von Seetang über Cranberry bis zu Bockshornklee. Yme schmeckt der normale am besten. „Der kommt auch in unsere Ameländer Senfsuppe. Echt lecker!“ Begeistert von den Mühlenprodukten ist auch Andreas aus dem bergischen Odenthal. Senf nimmt er immer mit nach Hause, aber auch Vollkornmehl. „Die Mahlqualität ist super“, schwärmt er. „Und den Geschmack von Nordsee und gutem Boden gibt’s gratis dazu.“

Senf aus der Mühle De Verwachting von der Insel Ameland.
Senf aus der Mühle De Verwachting von der Insel Ameland. © Susanne Völler | Susanne Völler

+++ Sie wollen keine Nachrichten mehr aus dem Nachbarland verpassen? Dann abonnieren Sie jetzt unseren kostenlosen Niederlande-Newsletter!+++

Yme ist Ruheständler und – wie sechs seiner Kollegen auch – inzwischen gelernter Müller. „Mein neuer Traumberuf“, lacht er und erzählt von einem Kollegen, der nicht gebürtig aus Ameland kam: „Dass die Mühle nach seiner Frau und der Insel seine dritte große Liebe werden würde, hätte der sich auch nicht träumen lassen!“ Seit 2017 sind Müllerhandwerk und der Betrieb einer Mühle immaterielles Kulturerbe in den Niederlanden – der Stolz der Müller ist förmlich mit den Händen zu greifen.

Wie Ymes Kollege kam auch die Ersatzmühle vom Festland, aus der Provinz Overijssel. „Ohne Mühle war das Dorfbild einfach unvollständig“, meint Ymes Kollege Herman. Mit der Hilfe von Gemeinde, Bevölkerung, Provinz und dem Waddenfonds konnte der Wiederaufbau finanziert werden. Erst nur als Kornmühle genutzt, produzieren die Müller seit 2004 nach traditionellen Rezepten auch Senf. Woraus der besteht? Aus Senfkörnern, Wasser, Essig und Salz. „Gewürze kommen erst später dazu.“

  1. Lesen Sie auch: Spektakel um das Ameländer Seenotrettungsschiff.

Genug geredet, „the show must go on“ bzw. erst einmal beginnen. Die Helfer hantieren jetzt an der Senfmühle und zeigen uns, wie die Senfkörner auf traditionelle Weise gemahlen werden. „Die Mahlsteine“, erzählt Herman, „kommen übrigens aus der Eifel. Richtig guter Lavabasalt!“

Auf jeden Fall äußerst wirkungsvoll. Und außerdem langlebig und so gut wie unzerbrechlich. „Die halten locker 40 Jahre, und dann können sie auch noch nachgeschliffen werden“, weiß Yme. „Sie sind von Natur aus perfekt!“

Natur beziehungsweise natürliche oder naturnahe Produktion spielt bei den Müllern eine wichtige Rolle. Alle Zutaten, die in den Senf kommen, sind biologisch und werden, bis auf den Essig, auf der Insel angebaut bzw. gewonnen. Die Müller schwärmen von den Senfpflanzen, die die Felder zur Blütezeit gelb färben. „Das macht richtig glücklich, auf so ein leuchtend gelbes Feld zu schauen!“ Das Wasser für die Senfherstellung kommt aus den Dünen, sauberer geht’s kaum.

Gemahlen wird – im Gegensatz zu industriell gefertigtem Senf – auf kaltem Wege und als sogenannte Nassvermahlung zwischen den beiden schweren Lavasteinen. So können sich die in den Senfkörnern enthaltenen ätherischen Öle entfalten und erhalten! Dreimal werde gemahlen, erklärt uns Herman. „Dabei entsteht so eine Art grobes Püree.“

Yme beim Senfkörnermahlen.
Yme beim Senfkörnermahlen. © Susanne Völler | Susanne Völler

Das Mahlen dauert gut zwei Stunden. Yme zeigt uns, wie er die Senfsaat anschließend in Essig und Salz einlegt. Nun muss die Maische ruhen, je nach Senfsaat braucht sie zwei Tage bis zu zwölf Wochen. Das Ergebnis? Ein ökologisch nachhaltiges, reines Produkt ohne Zusatzstoffe.

Das Spektakel mit dem Pferderettungsboot ist auf Ameland sehr beliebt.
Das Spektakel mit dem Pferderettungsboot ist auf Ameland sehr beliebt. © Susanne Völler | Susanne Völler

Nach dem Wind suchen

Heute macht der Senfverkauf in der Mühle den größten Batzen der Einkünfte aus. Im letzten Jahr haben die Ehrenamtler knapp 10.000 Senfgläser mit einem Gewicht von 40 bis 150 g und etwa 2500 Eimer mit einem beziehungsweise drei kg abgefüllt. Doch auch mit dem Kornmahlen fahren die Müller immer mehr Verdienste ein. An Tagen mit ausreichend Wind produzieren sie bis zu 300 kg Mehl, das im Mühlenshop verkauft oder an lokale Supermärkte und Bäcker geliefert wird – etwa an Bakker De Jong in Nes. „Das Brot von De Jong aus unserem Roggenmehl ist berühmt“, berichtet Yme mit einem Augenzwinkern.

Draußen auf der Mühlengalerie ist die Aussicht gewaltig, doch dafür hat der Müller jetzt keine Augen, er will die Flügel ausrichten, „dazu muss man jeden Tag neu nach dem Wind suchen“. Heute ist ein guter Tag, mit viel Wind

Tipps und weitere Infos über Ameland

De Verwachting: Ostern–Ende Okt., Mo– Sa 10–17 Uhr, 4 Euro. Führungen, Film zur Senfherstellung, Ausstellung, Museumsladen. Noch ein Tipp von den Müllern: Der Senf muss nicht in den Kühlschrank, auch wenn er angebrochen ist, denn dann verliert er an Geschmack.

Die von Yme gelobte Senfsuppe gibt es in fast jedem Restaurant und Strandpavillon auf der Insel. Etwas Besonderes mit dem Ameländer Senf zaubert Danny Wijnberg von der Wad’n Keuken: Zu seinen Rindfleischkroketten, die es in allen Supermärkten auf der Insel gibt, braucht man keinen Senf: „Der ist schon drin!“

Stolz auf die Auszeichnung „Amelands Product“ ist nicht nur De Verwachting – von Brot und Käse über Muscheln, Wels und Lammfleisch bis zu Schokolade und Eis tragen Inselprodukte das Qualitätslabel.

Weitere Infos hier.

Rezept der Amelander Mosterdsoep

Zutaten (für vier Personen): - Hollumer Senf (ca. 3 EL pro Liter) - ein Schuss Weißwein, - 500 ml Gemüsebrühe, - 500 ml (Koch-)Sahne, - 25 g Butter, - eine kleine Lauchstange, in Ringe geschnitten, - Salz und Pfeffer; Für die Füllung: - ausgebackene Speckwürfel, - Räucherlachsstreifen, - Krabben oder braune Champignons, in feine Scheiben geschnitten. Zubereitung: Den Senf in einen Topf geben und während des Erhitzens mit einem Holzlöffel umrühren, sodass er entsäuert. Mit Weißwein ablöschen, Brühe und Sahne unter Rühren hinzufügen. Fünf Minuten köcheln lassen. Währenddessen Butter in eine Pfanne geben und darin die Lauchringe (bis auf 2 EL für die Garnitur) und ggf. Lachs, Krabben oder Champignons andünsten. Füllung in die Suppe geben und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Mit den restlichen Lauchringen garnieren. Eet smakelijk!