Moddergat/Wierum. In der Coronapandemie haben viele Menschen Urlaub vor Ort gemacht. Für das sensible Wattenmeer ist das nicht unproblematisch.

Die Schafe rennen, als ob es um ihr Leben gehen würde. Auf dem Deich gibt ein Kartfahrer Gas, er scheucht die Tiere. Er ist sicher nicht aus Langeweile dort unterwegs oder weil er Vierbeiner nicht leiden kann. Nein, der Schäfer will nur, dass seine Herde zusammenbleibt.

So ähnlich ist es auch mit den Touristen. Die sollen hier nämlich nicht einfach so rumlaufen, wie es ihnen gefällt. Moddergat heißt der Ort im Nordosten der niederländischen Provinz Friesland (Fryslan). Etwa 200 Einwohnerinnen und Einwohner leben in dem einstigen Fischerdorf, direkt am Deich. Der ist inzwischen zwölf Meter hoch, seit 1985. Ein Jahrhundert zuvor hatte der Wall, damals lediglich drei Meter hoch, keine Chance gegen die gewaltige Natur.

Casper Meinders (Foto) und Andries Dijkstra bieten Führungen am Wattenmeer in Fryslan an. Weitere Infos hier
Casper Meinders (Foto) und Andries Dijkstra bieten Führungen am Wattenmeer in Fryslan an. Weitere Infos hier © Merel Tuk | Merel Tuk

Zwei große Sturmfluten

Im Jahr 1888 hatte eine verheerende Sturmflut die Küste erfasst und dutzende Menschen fanden den Tod. Vier Jahre später wurde das Nachbardorf vom Hochwasser überspült. „Seitdem leben keine Fischer mehr hier“, berichtet Andries Dijkstra.

Seine Kollegen wie Casper Meinders und er bieten geführte Touren am und auf dem Wattenmeer an. Spätestens seit der Coronapandemie, in der die Menschen das Reisen in die nähere Umgebung entdeckten, ist das Weltnaturerbe im Norden ein gefragtes Ausflugsziel. „Wir haben nichts gegen Touristen, aber die Menschen, die hierherkommen und sich für das Wattenmeer interessieren, sollten diese geschützte Landschaft respektieren“, betont Andries Dijkstra. Kleinere Gruppen sind gerne gesehen, Reisebusladungen voller Urlauber, die sich nur für ein schnelles Foto für ihre nächste Instagram-Story interessieren, dürfen sich von ihm aus gerne andere Spots aussuchen.

Ein Blick auf die geschützte Naturlandschaft lohnt sich.
Ein Blick auf die geschützte Naturlandschaft lohnt sich. © Merel Tuk | Merel Tuk

Ein Ärgernis für die Freiwilligen, die hier die empfindliche Natur bewahren wollen, sind auch Drohnen. Die ferngesteuerten und oft mit Kameras ausgestatteten Flugobjekte schrecken die Vögel auf. Tausende Gänse kommen jedes Jahr im Herbst vom Polarkreis nach Friesland, um sich in den fruchtbaren Salzwiesen vor dem Wattenmeer satt zu essen und ihren Nachwuchs auszubrüten. „Das Büfett ist eröffnet“, zeigt Andries Dijkstra lachend auf das satte Grün und das brackige Wasser. „Die Vögel finden hier den ganzen Winter über sehr viel Nahrung, ehe sie dann nach Finnland, Norwegen oder Schweden zurückfliegen“, erklärt der Friese. Und: „Man merkt den Klimawandel, denn im Frühjahr geht es immer eher zurück in den Norden. Auch dort wird es im März und April schon wärmer.“

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Für die Vögel – Gänse, Enten, Löffler und hunderte weitere Arten – ist das Wattenmeer ein Paradies. Doch auch für Urlauber und Ausflügler hat die karge Landschaft am Wattenmeer ihre besonderen Reize. Vom Deich in Moddergat kann man zu Fuß bis nach Ameland laufen, auf halber Strecke liegt eine unbewohnte Insel namens Engelsmanplaat. Immer wieder wagen sich Unbedarfte bei Ebbe auf den Schlick – manche kommen nicht wieder, weil sie vom schnell steigenden Wasser überrascht werden. „Wann Ebbe und Flut ist, kann man im Internet nachsehen“, hebt Andries Dijkstra an, aber: „Ich warne davor, das Abenteuer einzugehen und sich selbst auf den Weg zu machen.“

Zwischen den tausenden Muscheln, die hier schon immer zu finden sind, haben sich exotische Gäste von weit weg gemischt.
Zwischen den tausenden Muscheln, die hier schon immer zu finden sind, haben sich exotische Gäste von weit weg gemischt. © Merel Tuk | Merel Tuk

Muscheln von den Philippinen

Langsamer Tourismus statt Massenabfertigung, das ist das Konzept für diese Region. Doch auch wenn immer mehr Menschen in dieser für die Niederlande recht entlegene Region kommen, scheint sich nicht nur Federvieh aus fernen Ländern hier sehr wohl und ungestört zu fühlen. Tausende, eher Millionen Muscheln liegen im Watt, so wie seit Jahrhunderten. In den letzten Jahren sind neue, weit gereiste Exemplare hinzugekommen. „Diese Muscheln stammen von den Philippinen“, verrät Andries Dijkstra. „Sie sind über Spanien und Frankreich hierhingelangt, Austernfischer haben sie gebracht.“

Die Schafe, darunter viele schwarze, stehen nun wieder im Grüppchen zusammen. Der Deich vor dem unberechenbaren Wasser wird in den nächsten Jahren erneut erhöht, von zwölf auf dann 15 Meter. Er soll selbst der stärksten Sturmflut standhalten – der Klimawandel hat schließlich auch die niederländische Küste erreicht.

Das kleine Museum

’t Fiskershúske heißt ein kleines Museum im friesischen Örtchen Moddergat. Es erzählt die Geschichte vom einstigen Fischerdorf und vom Wattenmeer. Freiwillige wie Andries Dijkstra bieten Führungen auf dem Weltnaturerbe an. Radtouren von hier aus oder in der näheren Umgebung.