Essen. Die Klimakrise trifft die junge Generation am stärksten. Die Alten haben die Welt verändert, wo bleibt ihr Schuldeingeständnis? Eine Analyse.

Ein Jahr voller Wetterextreme endet. Eines, das schon bald als heißestes Jahr in die Geschichte eingehen wird. In Dubai hat wieder eine UN-Klimakonferenz begonnen, und wieder startet sie mit schlechten Nachrichten: Die CO2-Emissionen durch fossile Brennstoffe sind weltweit auf einen neuen Höchststand gestiegen, allen Ankündigungen zum Trotz. Was macht das mit denen, die von der Klimakrise am stärksten betroffen sind, doch unschuldig daran sind? Eine Analyse.

Vor zwei Jahren erhielt der britische Tierfilmer und Naturforscher Sir David Attenborough zum Auftakt der UN-Klimakonferenz in Glasgow das Wort. Die nur wenige Minuten langen, emotionalen und aufrüttelnden Reden zum Start der Verhandlungen gehören seit Jahrzehnten zur Choreographie der „COPs“, wie die Mammutgipfel der Vereinten Nationen genannt werden. Attenborough, damals 95 Jahre alt, stieg die Treppe zur Bühne hinauf. Was folgte, ging in die Geschichte der UN-Konferenzen ein. Denn selten sprach ein Vertreter der alten Generation so offen über Schuld.

Klimakrise und Artensteben: Attenborough über Schuld

„Is this how our story is due to end?”, fragte Attenborough die Delegierten aus aller Welt – „Wird unsere Geschichte deswegen so enden?“ Es sei die Geschichte der klügsten Spezies auf diesem Planeten, sagte Attenborough, die zum Scheitern verurteilt sei, weil sie bei der Verfolgung kurzfristiger Ziele nicht das „bigger picture“ sehe. Das große Ganze.

Etwas mehr als sieben Minuten lang sprach Attenborough über Klimakrise und Artensterben. Es klang nach dem Schuldeingeständnis einer (seiner) Generation, die die heutige Konzentration von CO2 in der Atmosphäre mitverschuldet hat, obwohl sie wusste, welche Folgen ihr Tun hat. Seine Hoffnung auf Bewältigung der Krise legte er nun in die Hände der nachfolgenden Generation. Attenborough sagte: „Vielleicht gibt uns die Tatsache, dass die Menschen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, nicht mehr irgendeine imaginäre Generation in der Zukunft, sondern heute lebende junge Menschen sind, den Anstoß, diese Tragödie in einen Triumph zu verwandeln.“

Junge Generationen Hauptleidtragende der Klimafolgen

In Attenboroughs Worten lauerte politischer Sprengstoff. Auf der Bühne einer UN-Klimakonferenz sprach er die Schuldfrage an, das Prinzip der Generationengerechtigkeit: Die junge Generation gilt als Hauptleidtragende der Klimaveränderungen, denn sie wird in einer heißeren Welt unter grundlegend schlechteren Lebensbedingungen aufwachsen als die Generation, die die Destabilisierung des Klimasystems mitzuverantworten hat. Das Schicksal dieser jungen Generation aber, die zu jung ist, um zu wählen, wird bestimmt von Menschen über 60, für die es keinen Unterschied macht, welchen Klimaschutzpfad die Welt nun einschlägt.

Wie gehen die Nachgeborenen mit der Schuld der Erwachsenen an der Klimakrise um? Sie wollen nicht mehr schweigen. Ihre Wut darüber, dass die Lebensgrundlagen nach Jahrzehnten verschobenen Klimaschutzes nun knapp werden, tragen die jungen Menschen längst auf die Straße. Greta Thunberg und ihre globale Fridays-for-Future-Bewegung kämpft seit August 2018 um Aufmerksamkeit und Gehör, mit Slogans wie: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.“

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg startete 2018 mit der Kampagne „Fridays for Future“ eine weltweite Bewegung.
Die Klimaaktivistin Greta Thunberg startete 2018 mit der Kampagne „Fridays for Future“ eine weltweite Bewegung. © Funke Foto Services | Marcello Hernandez

Die Wut der Jugend: Durch Umarmung erstickt

Die „Letzte Generation“, ein Zusammenschluss deutscher und österreichischer Klimaaktivisten, hat den radikalen Protest gewählt: Aktivisten kleben sich auf den Asphalt der Straßen oder beschmieren Denkmäler und Gemälde. Auch die „Extinction Rebellion“, eine seit 2018 agierende radikale Umweltschutzbewegung, die gegen das Massensterben als Folge der Klimakrise protestiert, scheut bei Blockaden oder anderen Formen des zivilen Ungehorsams nicht mehr vor Gesetzesverstößen zurück.

Der Protest der Jugend ruft unterschiedliche Reaktion hervor. Radikale Aktivisten wie die Klimakleber stoßen generationsübergreifend auf strikte Ablehnung, wie zuletzt auch eine Studie des Wuppertal Instituts zur Generation Z bestätigte. Der Appell der Jungen, die Welt zu retten, stößt hingegen bei Älteren auf wohlwollendes Verständnis, inzwischen machen auch die „Parents for Future“ bei den Klimastreiks mit. Die Wut der Jugend wird durch Umarmung erstickt.

Höchste Gerichte: Junge Generationen haben Recht auf Zukunft

Doch was kommt nach Wut? Längst wird auf den Nebenbühnen der Klimakonferenzen darüber diskutiert, was wird, wenn die Jugend den Dialog abbricht, weil sie sich von der Generation ihrer Eltern und Großeltern um eine gute Zukunft betrogen fühlt. Attenborough hofft auf die junge Generation: Fangt an, entwickelt Lösungen, macht es besser als wir.

Längst haben höchste Gerichte und Verfassungsorgane der jungen Generation das Recht auf eine gute Zukunft zugesprochen. Nachhaltigkeit bedeutet, heute so zu handeln, dass schädliche Folgen der Zukunft vermieden werden. Seit 1994 ist das als Staatsziel im deutschen Grundgesetz verankert. Damals wurde der Artikel 20a eingefügt. Demnach muss der Staat auch in Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen schützen.

Karlsruher Urteil: Mehr Klimaschutz ist einklagbar

Wie weitreichend Generationengerechtigkeit ist, stellte das Bundesverfassungsgericht im April 2021 fest, als es sich mit einer Klage gegen das deutsche Klimaschutzgesetz befasste. Die Karlsruher Richterinnen und Richter urteilten, dass der Staat künftige Generationen vor dem Klimawandel schützen müsse und Lasten nicht unnötig auf zukünftige Generationen verschieben dürfe. Damit erkannte das höchste Gericht Deutschlands mit Blick auf die kommenden Generationen erstmals den Klimaschutz als Menschenrechtsproblem an. Mehr noch: Seitdem ist es möglich, Klimaschutz einzuklagen.

Doch welche Chance bleibt der jungen Generation noch, eine lebenswerte Zukunft zu erreichen? Wie viele Lasten müssen die heute Geborenen ertragen, wie viele Dürren, Fluten, Waldbrände oder andere Wetterextreme erleben? Ein Forscherteam um Wim Thiery von der Freien Universität Brüssel hat ermittelt, wie stark die Belastung der heutigen Kinder in Zukunft konkret wird. Die Forscher werteten dazu Daten und Prognosen zu sechs Wetterextremen aus – als Folge von 1,5 Grad Erwärmung und bei den zurzeit realistischen drei Grad Erwärmung.

Brennende Wälder in Kalifornien: Der Westen der USA wird von Dürren heimgesucht, immer wieder entstehen große Brände.
Brennende Wälder in Kalifornien: Der Westen der USA wird von Dürren heimgesucht, immer wieder entstehen große Brände. © dpa | Noah Berger

Studie: Heutige Kinder erleben doppelt so viele Wetterextreme

Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass ein heute geborenes Kind im Laufe seines Lebens gut 30 „Jahrhundert“-Hitzewellen an seinem Wohnort miterleben werde, wenn der Klimatrend weiter in Richtung drei Grad Erwärmung geht. Das ist siebenmal mehr als ein heute 60-Jähriger in seinem gesamten Leben.

Heutige Kinder werden doppelt so viele schwere Waldbrände, zwei bis dreimal so viele Dürren und dreimal mehr Flusshochwässer und Missernten erleben als ihre Großeltern, stellt die Studie weiter fest. Allein in Europa und Zentralasien betreffe dies 64 Millionen Kinder, in Afrika sogar 205 Millionen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Sicherheit junger Generationen ernsthaft bedroht ist und drastische Emissionsreduzierungen erforderlich sind, um ihre Zukunft zu sichern“, schrieb Thiery.

Katha Frieler: Können unseren Kindern Klimalast von den Schultern nehmen

Der Blick in die Zukunft sei düster: In Bezug auf Dürre, Hitze, Fluten und Ernteausfälle würden Menschen, die heute unter 40 Jahre alt sind, ein Leben führen, das die Forscher im heutigen Vergleich als „beispiellos“ bezeichnen.„Wir können unseren Kindern tatsächlich einen Großteil der Klimalast von den Schultern nehmen, wenn wir die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, indem wir aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen“, sagte Katja Frieler, Wissenschaftlerin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Mitautorin der Studie.

„Wenn wir den Klimaschutz im Vergleich zu den derzeitigen Emissionsminderungszusagen verstärken und uns auf ein 1,5-Grad-Ziel einstellen, werden wir die potenzielle Gefährdung der jungen Menschen durch Extremereignisse im Laufe ihres Lebens weltweit um durchschnittlich 24 Prozent verringern. Für Nordamerika sind es minus 26 Prozente, für Europa und Zentralasien minus 28 Prozent, und im Nahen Osten und Nordafrika sogar minus 39 Prozent. Das ist eine riesige Chance“, so Frieler.

Sachstandsbericht des IPCC: Auf dem Weg in die Heißzeit

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Dass die Auswirkungen der Klimafolgen auf heutige und zukünftige Generationen von Entscheidungen abhingen, die jetzt oder in naher Zukunft getroffen werden, verdeutlichte der Weltklimarat IPCC im März dieses Jahres in einem neuen Sachstandsbericht. Darin hatten Wissenschaftler aus aller Welt in jahrelanger Arbeit den aktuellen Forschungsstand zum Klimawandel zusammengetragen und ausgewertet. Die Sachstandsberichte des IPCC sollen über die neuesten Erkenntnisse zu allen Aspekten des Klimawandels informieren und als Grundlage für politische Entscheidungen und Klimaverhandlungen dienen.

In ihrem jüngsten Bericht stellen die Wissenschaftler fest, dass die politisch verordneten Maßnahmen nicht ausreichten, um gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden. Selbst in einem optimistischen Szenario halten es die Autoren für wahrscheinlich, dass die globale Erwärmung die Marke von 1,5 Grad in naher Zukunft – also vor 2040 – überschreiten wird.

Nur noch begrenztes Budget an Treibhausgasen

Als Folge würden im Jahr 1980 Geborene als 70-Jährige bereits im Jahr 2050 gestiegene Temperaturen über 1,5 Grad im globalen Durchschnitt erleben. Kindern, die im Jahr 2020 geboren wurden, drohten 2100 dann drei Grad mehr im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter.

Die Staatengemeinschaft hatte 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart, die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad Celsius zu beschränken, um die katastrophalsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Dafür darf nur noch eine begrenzte Menge klimaschädlicher Treibhausgase in die Erdatmosphäre gelangen.

Staatengemeinschaft weit vom Klimaschutzpfad entfernt

Wie weit die Welt derzeit von diesem Kurs entfernt ist, zeigte vor wenigen Wochen der sogenannte Emissions Gap Report, den das UN-Umweltprogramm Unep vorstellte. Die Welt erlebe derzeit „eine verstörende Beschleunigung von Zahl, Geschwindigkeit und Ausmaß der übertroffenen Klimarekorde“, heißt es darin.

Doch selbst wenn die gegenwärtigen Klimaschutzzusagen der Staaten in aller Welt komplett umgesetzt würden, bewege sich die Erde auf eine Erwärmung um 2,5 bis 2,9 Grad bis zum Jahr 2100 zu, warnte Unep. Wenn nur die tatsächlichen Klimaschutzanstrengungen berücksichtigt würden, sei sogar mit einer Erderwärmung um drei Grad zu rechnen. Der UN-Generalsekretär António Guterres sieht die Welt „auf dem Highway zur Klimahölle mit dem Fuß noch auf dem Gaspedal.“

Wo bleibt das Schuldeingeständnis der älteren Generationen?

Wo ist das Schuldeingeständnis der Alten? Fast auf den Tag genau vor zwölf Jahren stand die damals 21-jährige US-Studentin Anjali Appadurai im Plenum der UN-Klimakonferenz in Durban, Südafrika. Als Jugenddelegierte hatte sie wenige Minuten Redezeit, um zu den Verhandlungsführern der Konferenz zu sprechen. Ihr ganzes Leben lang hätten die Delegierten der UN-Konferenzen verhandelt, begann Appadurai. In dieser Zeit hätten sie Zusagen nicht eingehalten, Ziele verfehlt und Versprechen gebrochen.

An die Klimadiplomaten in Durban richtete sie diese Sätze: „Die Internationale Energieagentur sagt uns, dass wir fünf Jahre Zeit haben, bis sich das Fenster zur Vermeidung eines irreversiblen Klimawandels schließt. Die Wissenschaft sagt uns, dass wir maximal fünf Jahre Zeit haben. Sie sagen: Geben Sie uns zehn. Der krasseste Verrat an der Verantwortung Ihrer Generation gegenüber unserer besteht darin, dass Sie dies ,Ehrgeiz’ nennen.“

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.