Essen. Millionen Solarmodule erreichen das Ende ihrer Lebensdauer, für den Müll sind sie zu kostbar. Es gibt neue Wege, um den Rohstoffschatz zu heben.

  • Eine Welle von Solarschrott rollt auf Deutschland zu
  • Millionen Solarzellen haben ihr Lebensende erreicht und müssen auf den Dächern demontiert werden
  • In diesem Artikel lesen Sie, wie Forscher und Unternehmen aus NRW neue Verfahren entwickeln, um Silizium, Glas oder Silber zu recyceln

Vor 20 Jahren erlebte Deutschland seinen ersten Solarboom. Die Photovoltaik-Anlagen, die damals ans Netz gingen, erreichen nun das Ende ihrer Lebensdauer. Hunderttausende Tonnen an Modulen müssen in den kommenden Jahren auf den Dächern demontiert werden. Sie wandern in den Müll, obwohl in ihnen kostbare Rohstoffe stecken. Doch Tag für Tag arbeiten Unternehmen und Forschungsinstitute an neuen Recyclingverfahren, um ein großes Ziel der Energiewende zu erreichen: den erneuerbaren Strom der Sonnenenergie auch wirklich nachhaltig herzustellen.

PV-Recycling: Alte Solarmodule sind kein Wegwerfprodukt

Ian Marius Peters (48) ist Physiker, und er hat ein Logikproblem: „Ich produziere etwas, um es selbst dann wegzuwerfen, wenn es ökonomisch noch sinnvoll ist. Mit diesem Gedanken kann ich mich nicht abfinden.“ Peters erforscht am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien, einer Außenstelle des Forschungszentrum Jülich, wie sich ausgediente Solarzellen recyceln lassen. „Wir haben den Rohstoff, und wir sollten ihn nicht als Wegwerfprodukt betrachten, sondern als Produkt, das wir weiter verwenden wollen.“

150 Jahre lang aber funktionierten Wirtschaftssysteme anders: Produzieren, benutzen, auf den Müll werfen. So wuchsen die Abfallberge, schrumpften Ressourcen, nahm der Klimawandel Fahrt auf. Für Peters, der zuvor in Singapur und am Massachusetts Institute of Technology (MIT/USA) forschte, ist es der Antrieb, ein Weiter-so zu stoppen: „Die größte und beste Motivation, an der Verbesserung der Photovoltaik-Technologie zu arbeiten, ist für mich: Wir können unsere eigene Zukunft zum Besseren ändern.“

Menge an Solarmüll in Deutschland noch überschaubar

Die Zukunft aber bringt Herausforderungen. Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) schätzt, dass weltweit bis 2030 mindestens 1,7 Millionen Tonnen Solarmüll anfallen. 2050 sollen es schon 60 Millionen Tonnen sein. Ein „Solar Trash Tsunami“ rollt auf uns zu“ , warnen US-Medien.

Ian Marius Peters ist Physiker und forscht am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien, einer Außenstelle des Forschungszentrums Jülich.
Ian Marius Peters ist Physiker und forscht am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien, einer Außenstelle des Forschungszentrums Jülich. © HI ERN / Jessica Pölloth | HI ERN / Jessica Pölloth

Ausgediente Solaranlagen können in Deutschland kostenlos auf Wertstoffhöfen entsorgt werden, nur Gewerbetreibende müssen dafür bezahlen. Noch ist die Müllmenge hierzulande überschaubar. Doch in den kommenden fünf bis zehn Jahren, wenn die Anlagen nach und nach aus der Einspeisevergütung fallen, erwarten Branchenexperten eine Flut an Solarschrott. Prof. Peter Dold, Abteilungsleiter im Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik in Halle, geht davon aus, dass die Menge an Altmodulen bis 2030 von jetzt etwa 10.000 Tonnen auf mehrere 100.000 Tonnen pro Jahr anwachsen wird. IRENA erwartet in Deutschland bis 2030 rund 400.000 Tonnen Solarmüll. Das entspricht etwa 20 Millionen PV-Module.

PV-Recycling noch zu teuer: Silizium und Silber im Blick

90 Prozent der aktuell weltweit installierten Solaranlagen arbeiten mit Zellen aus kristallinem Silizium. Schreddern, Sortieren, Ätzen, Schmelzen – das Recycling dieser ersten Generation von Photovoltaik-Modulen ist ein aufwendiges und teures Verfahren. Die Problematik liegt in der Tiefe: Nur wenn sich das Glas der Module in hoher Qualität zurückgewinnen lässt und auch Silizium, Silber und Kupfer recycelt werden, lohnt sich der Aufwand. „Das PV-Recycling trägt sich im Augenblick noch nicht“, sagt Peters. „Ein Grund dafür ist, dass die Qualität der recycelten Materialien noch relativ niedrig ist.“

Mit einem Anteil von rund 70 Prozent ist Glas der schwerste Bestandteil eines Solarmoduls. Beim Zerlegen des Panels zerbricht es meist, zudem ist es verunreinigt, so dass es nur teilweise für neues Glas genutzt werden kann und oft als Rohstoff für Glaswolle genutzt wird. Leichter geht es mit dem Rahmen aus Aluminium, der eingeschmolzen wird. Das Wiedergewinnen von Silizium, Silber und Kupfer aber ist ein Job für Experten der Metallschmelze. „Der Kunstgriff“, sagt Peters, „wird jedoch darin bestehen, dass man die Module so baut, dass die Langlebigkeit garantiert ist, aber man hinterher in der Lage ist, die Materialien ökonomisch günstig, sauber und einfach aufzutrennen.“

PV-Module: Für die Ewigkeit gebaut, nicht für den Kreislauf

Oft aber sind Glas, Folien und Metalle so fest miteinander verbunden, dass Trennen und Recyceln der Komponenten kaum machbar sind. „Dass die Materialien der Module so schwer aufzutrennen sind, liegt auch daran: Wir verpacken die Module so dicht und aufwendig wie möglich, damit sie 30 Jahre im Freien überstehen“, so Peters. „Sie sind für die Ewigkeit gebaut, dabei sollten sie eigentlich für einen ewigen Kreislauf gemacht sein.“ Für den Forscher ist klar: „Nur weil etwas erneuerbar ist, ist es noch nicht nachhaltig.“

Wie so ein ewiger Kreislauf aussieht und was Nachhaltigkeit bedeutet, macht Peters anhand eines Beispiels aus der Natur klar. „In einem Wald fallen die Blätter von den Bäumen. Am Boden werden sie zersetzt und liefern so das Material für neue Pflanzen. Wenn wir Solarpaneele so bauen, dass wir sie auf eine entsprechende Weise recyceln können, können wir die erneuerbare Energie zu einer wirklich nachhaltigen Energie weiterentwickeln.“

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Zentrum in Münster: NRW-Unternehmen geht neue Wege

In NRW arbeitet die Unternehmensgruppe Reiling an neuen Wegen, um auch Silizium und Silber wieder in den Kreislauf der Rohstoffe zurückzuführen. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Center für Silizium hat der Recycling-Spezialist ein Verfahren entwickelt und nach eigenen Angaben Edelmetalle im Tonnenmaßstab wiedergewonnen. Dabei werden in Säurebädern stetig reineres Silizium gewonnen und die Metalle abgetrennt. In diesem Sommer eröffnete Reiling in Münster ein PV-Recycling-Kompetenzzentrum. Dort soll der Prozess zu industriellem Maßstab ausgebaut werden.

Auch das Dresdner Unternehmen Flaxres hat eine Pilotanlage entwickelt und nach eigenen Angaben zur Marktreife gebracht. Flaxres zufolge konnten in einem Testlauf aus 7,5 Tonnen alter Solarmodule über 200 Kilogramm Silizium und vier Kilogramm Silber sowie 4,9 Tonnen an Glas in höchster Güte zurückgewonnen werden – ohne den Einsatz von Chemikalien: Mit einem Lichtblitz werden die Siliziumwafer, dünne Scheiben mit Halbleitermaterialien, komplett von der Folie getrennt.

Neue Generation von Solarmodulen ist superdünn

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Peters will das Recycling von Solarmodulen auf den Kopf stellen. „Meine Idee ist: Können wir ein Modul bauen, von dem jede Komponente zurückgewonnen werden kann – in der gleichen Menge und der gleichen Qualität von Ausgangsmaterialien, um daraus wieder ein neues Modul bauen zu können?“ Die recycelten Rohstoffe sieht er dabei als einen Satz an Materialien, der auch ermögliche, neue Dinge zu bauen. „Nehmen wir das Beispiel Mobiltelefon. Angenommen, ich wäre in der Lage, die Bestandteile in perfekter Qualität wiederzugewinnen und aus jeder Komponente das gleiche Telefon neu zu bauen. Nach neun oder zehn Jahren hätte ich nicht viel gewonnen, weil man dann nicht mehr das gleiche Telefon haben möchte. Denn die Technologie hat sich weiterentwickelt, Telefone sind vermutlich kleiner und leistungsfähiger.“ In diesem Sinne, so Peters, sei ein Solarmodul ein Baukasten.

„Die Photovoltaik ist die günstigste Stromquelle, die wir zu unserer Verfügung haben. Es ist unglaublich, wie schnell sich die Kosten verringert haben und die Anlagenzahlen gestiegen sind“, sagt Peters. „Neue Generationen von Solarmodulen sind aus photosensiblen Schichten hergestellt, die wenige Mikrometer dünn sind.“ So werde bei der Produktion deutlich weniger Energie und Material verbraucht. „In der Solarfabrik der Zukunft in Nürnberg haben wir gezeigt, dass diese Module unglaublich preisgünstig in Druckprozessen hergestellt werden können. Man könnte das sehr schnell hochskalieren. Nun arbeiten wir an einer Methode, die Module Schicht für Schicht wieder auseinander zu bauen.“

PV-Recycling: Massiver Ausbau der Solarenergie steht bevor

Die Zeit rennt. „Nach meinen Informationen stehen in den Auftragsbüchern der Firmen Bestellungen für Fertigungsmaschinen mit einer Produktionskapazität von einem Terawatt Leistung. Damit könnten wir so viele Solarmodule herstellen, wie in den letzten 40 Jahren auf der Welt produziert wurden“, sagt Peters. Viele Entscheidungen für die nächste Generation der PV-Technologie würden jetzt getroffen. Für Peters ist es logisch: „Wir sollten mit dem Entwickeln der Recyclingverfahren nicht warten.“

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