Essen.. Hitze, Dürre, Extremwetter: Der Klimaatlas NRW zeigt die regionalen Folgen der globalen Erwärmung. Das sind die Hotspots der Klimakrise.

Der Klimawandel beschleunigt sich, das Wetter wird extremer, stellt der Deutsche Wetterdienst (DWD) in einem neuen Bericht fest. 2022 und 2023 waren die jeweils wärmsten Jahre seit Beginn der systematischen Messungen in Deutschland. 2024 steht schon wieder auf Rekordkurs, mahnt der DWD. Von Wetterextremen wie Hitzewellen oder Starkregen sind in den Ballungsräumen in NRW über fünf Millionen Menschen betroffen.

Das Klima ist im Wandel, und die Folgen sind Realität: Wie sich die globale Erwärmung in NRW auswirkt und wo sich in einer heißer werdenden Zukunft die Menschen an Hitze, Dürre oder Fluten anpassen müssen, zeigt im Internet der neue Klimaatlas des Landesumweltamtes (LANUV) – für jede Stadt, jede Straße, jedes Haus. Und für jeden zugänglich.

Die Datenbank des Landesumweltamtes: Klimaatlas NRW

LANUV: Per Zeitschieber in die Vergangenheit und Zukunft

Ein vierköpfiges Team, unterstützt von IT-Experten, hat einen riesigen Datenberg aufbereitet. Er ist für Jedermann kostenlos abrufbar. Wer etwa seine Wohnadresse eingibt, erfährt, wie warm es dort im Jahresschnitt ist und wieviel Millimeter Regen im Jahr gefallen sind – ein erstes Puzzleteil des Klimawandels vor der Haustür.

Der extrem trockene Sommer im vergangenen Jahr ließ den Pegel des Rheins unter die Nullmarke fallen. Bei Emmerich tauchten die Überreste eines 127 Jahre alten Schiffswracks auf.
Der extrem trockene Sommer im vergangenen Jahr ließ den Pegel des Rheins unter die Nullmarke fallen. Bei Emmerich tauchten die Überreste eines 127 Jahre alten Schiffswracks auf. © dpa | Unbekannt

Was diese Werte bedeuten und wie sie sich zu vergangenen und zukünftigen Klimaperioden verhalten, zeigen weitere Themenkarten und einordnende Kommentare der Fachleute. Mit einem Zeitschieber kann der Betrachter in frühere Jahrzehnte springen oder weit in die Zukunft schauen – und sehen, wie die Welt wärmer und anders wird. Aus dem Wetter, dem Ist-Zustand, wird so der Blick aufs Klima, das in Zeitspannen von mindestens 30 Jahren abgebildet wird. „In ganz Europa ist das einmalig“, sagt LANUV-Mitarbeiterin Antje Kruse.

NRW erwärmt sich schneller als im globale Durchschnitt

Was sagen die Daten, die vom Deutschen Wetterdienst (DWD) und vom LANUV stammen? Nichts Gutes: Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 steigen die Temperaturen in NRW wie auch in ganz Deutschland schneller als im globalen Durchschnitt. Das liegt auch daran, dass sich Landregionen wie Deutschland generell schneller erwärmen als die Oberflächen der Meere.

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In NRW erreichte die Jahresmitteltemperatur 2022 den Rekordwert von 11,2 Grad. Laut LANUV ist das ein Anstieg von 1,6 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit – die Erwärmung liegt damit weit über dem weltweiten Schnitt von 1,1 Grad und auch über den vielbeschworenen 1,5 Grad, die nach dem Pariser Klimaschutzabkommen als globale Grenze angestrebt werden sollen.

Den größten Rekord aber stellte das vergangene Jahr mit seiner Sonnenscheindauer auf, analysiert das LANUV. 1984 Stunden schien die Sonne über NRW – satte 37 Prozent länger als in der Vergleichsperiode 1961-1990.

Klimaatlas als Werkzeug für Stadtplaner oder Versicherer

Der Datenschatz des Klimaatlas aber liegt tiefer. „Die Temperaturzunahme allein sagt nur wenig aus“, merkt LANUV-Mitarbeiterin Kruse an. Hitzeperioden, Überschwemmungen, Trockenheit oder Waldbrände lassen sich durch weitere Datenreihen für die unterschiedlichen Regionen des Landes veranschaulichen. Karten zeigen sogar, wo bei Starkregen die Keller volllaufen.

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Für die Menschen in NRW werden so die Folgen des Klimawandels greifbar. Gleichzeitig dient der Atlas auch als Werkzeug für Entscheidungsträger: Für Stadtplaner, Wasserversorger oder Versicherer, die für zukünftige Investitionen Risiken kalkulieren müssen, ist er eine unentbehrliche Grundlage, sagte NRW-Umweltminister Oliver Krischer.

Das sind die Hotspots des Klimawandels in NRW

Wo also liegen Hotspots des Klimawandels im Land? Und wie könnte für die Menschen die Zukunft aussehen, wenn die Erwärmung ungebremst weiterginge? Drei Beispiele aus dem Klimaatlas für drei Großlandschaften in NRW.

Die Warming Stripes für Winterberg: Die Streifen zeigen die kühleren (blau) und warmen (rot) Jahre von 1881 bis 2022.
Die Warming Stripes für Winterberg: Die Streifen zeigen die kühleren (blau) und warmen (rot) Jahre von 1881 bis 2022. © LANUV | Unbekannt

Wetterstation Kahler Asten, Winterberg, Sieger- und Sauerland (+1,4 Grad seit 1881, +85 mm Niederschlag)

Die Warming Stripes für Xanten: Die Streifen zeigen die kühleren (blau) und warmen (rot) Jahre von 1881 bis 2022.
Die Warming Stripes für Xanten: Die Streifen zeigen die kühleren (blau) und warmen (rot) Jahre von 1881 bis 2022. © LANUV | Unbekannt

Kunstschnee neben braunen Wiesen – so sah es in den vergangenen Wochen im Skigebiet am zweithöchsten Berg in NRW aus. Die Datenreihen zeigen: Noch zwischen 1961 und 1990 gab es im Schnitt 100 Schneetage mit einer mindestens zehn Zentimeter hohen Schneedecke. Im Zeitraum 1992 bis 2021 waren es nur noch 75. Innerhalb von 60 Jahren verlor die Wintersportregion somit ein Viertel der Schneetage. Und die Zukunft? Ging es ohne eine Verstärkung der Klimaschutzbemühungen weiter, könnte die Anzahl der Frosttage im Zeitraum 2031 bis 2060 auf 51 bis 68 pro Jahr abnehmen, so die Klimaprojektion des LANUV.

Xanten, Niederrheinisches Tiefland (+1,6 Grad seit 1881, +49 mm Niederschlag)

Der Niederrhein ist der Spitzenreiter aller NRW-Großlandschaften bei den Maximaltemperaturen. In dieser Region, so das LANUV, wurde im Zeitraum 1991-2020 mit 10,9 Grad die höchste Jahresdurchschnittstemperatur in NRW erreicht, im Landesschnitt waren es 10 Grad. Im Vergleich zum Zeitraum 1951 bis 1980 ist der Sommer um 15 Tage länger geworden. Zehn heiße Tage mit über 30 Grad hat ein Jahr nun, sechs mehr als im Vergleichszeitraum. In Köln in der Rheinischen Bucht etwa wurden 2018 an einer innerstädtischen Messstation 33 Tropennächte gemessen. Im gleichen Jahr, so führt das LANUV an, sei zum ersten Mal in NRW seit Aufzeichnungsbeginn mehr Wasser als Niederschlag verdunstet.

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Es ist diese Trockenheit, die am Niederrhein die Wasser- und Landwirtschaft besonders trifft. 2022 fiel 18 Prozent weniger Niederschlag als im Schnitt der Jahre 1991 bis 2020. Das Jahr war eines der 20 niederschlagsärmsten Jahre, die seit 1881 registriert wurden. Was Trockenheit bedeutet, erfuhren auch die Binnenschiffer im vergangenen Sommer. Nach wochenlanger Dürre fiel der Pegel des Rheins bei Emmerich Mitte August unter die Nullmarke auf minus zwei Zentimeter, notierte damals die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV). Die Schiffe konnten weniger laden, die Lieferketten großer Konzerne waren bedroht.

Die Warming Stripes für Herne: Die Streifen zeigen die kühleren (blau) und warmen (rot) Jahre von 1881 bis 2022.
Die Warming Stripes für Herne: Die Streifen zeigen die kühleren (blau) und warmen (rot) Jahre von 1881 bis 2022. © LANUV | Unbekannt

Herne, Westfälische Bucht (+1,5 Grad, +59 mm Niederschlag)

Es gibt im Klimaatlas eine Seite, auf der die Probleme von Ruhrgebietsstädten drastisch deutlich werden. Sie zeigt den Anteil an der Gesamtfläche, der durch Gebäude und Verkehrsflächen versiegelt ist. Herne ist laut LANUV die Stadt mit dem höchsten Versiegelungsgrad in NRW – eine Stadt zur Hälfte aus Beton und Asphalt. Auch Oberhausen wird in der Karte knallrot dargestellt. Diese Kategorie ist den beiden einzigen Revierstädten vorbehalten, deren Gesamtfläche zu über 35 Prozent versiegelt ist.

Eine der Folgen: Fehlt es im Betondschungel der Ballungsgebiete an Frischluftschneisen, trifft der Hitzestress die Stadtbewohner besonders stark. Die Städte werden zu Hitzeinseln, die nachts kaum auskühlen. Laut der LANUV-Klimaanalyse sind schon jetzt an einem typischen Sommertag in Gladbeck, Gelsenkirchen oder Münster über 70 Prozent der Bevölkerung von Hitzestress betroffen. In Herne sind es laut LANUV mehr als 60 Prozent, in Essen über 50 Prozent. „Das zeigt, dass Klimawandel kein zukünftiges Problem ist“, sagt Antje Kruse. „Wir befinden uns bereits mittendrin.“