Die Reichspogromnacht war das Signal zum größten Völkermord in der Geschichte. Die Erinnerung daran ist wichtig für unsere Gegenwart und Zukunft.

Mathilde Rosenberg. Artur Bachach. Jakob Issak Goldberger. Sie haben in meinem Stadtteil gelebt, nur ein paar Schritte entfernt. Ermordet in Theresienstadt und Minsk, so steht es auf den Stolpersteinen vor ihren Häusern.

Wir wissen nicht, wo sie waren, was sie taten, was sie dachten, als in der Nacht vom 9. November vor 85 Jahren die Synagogen im Land lichterloh brannten. Aber wir kennen das Ende.

Eine Nacht der Willkür, des Hasses und der Gewalt

Die Reichspogromnacht hat sich im Gedächtnis festgesetzt als eine Nacht, in der sich Willkür, Hass und Gewalt in unvorstellbarem Maß entluden. Als eine unendlich lange Nacht, in der Feuerwehrleute nicht handelten, Nachbarn nicht halfen und Polizisten niemanden festnahmen. Die nationalsozialistischen Schlägertrupps hatten freie Hand, Tausende Jüdinnen und Juden wurden verprügelt, verhaftet oder getötet.

Der 9. November ist ein Tag der Erinnerung. Historikerinnen und Historiker sehen die Reichspogromnacht als offizielles Signal zum größten Völkermord in der Geschichte. Die Aufarbeitung in der Bundesrepublik begann spät, aber seitdem haben sich Generationen von Kindern und Jugendlichen im Geschichtsunterricht mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinandergesetzt.

Der Antisemitismus ist immer noch da

Was hat es gebracht? Bei weitem nicht genug. Die „Mitte-Studie“, mit der im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre die Einstellungen der gesellschaftlichen Mitte abgefragt werden, kam im September zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die Zahl der Befürworter rechtsextremer Einstellungen erneut zugenommen hat. Mehr als sechs Prozent wünschen sich eine Diktatur mit einer starken Partei und einem Führer. 22 Prozent der Befragten sind mindestens teilweise davon überzeugt, dass Jüdinnen und Juden „mehr als andere Menschen mit üblen Tricks arbeiten, um das zu erreichen, was sie wollen“.

„Nie wieder!“, heißt es nun am 9. November wieder bei den Gedenkveranstaltungen. Aber Lippenbekenntnisse reichen nicht. Denn wir gedenken nicht um der Vergangenheit, sondern um der Gegenwart und der Zukunft willen. Wir müssen uns aktiv für eine Gesellschaft einsetzen, in der niemand diskriminiert wird und niemand Angst haben muss.

Sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden

Auch deswegen müssen wir die Geschichten von Mathilde Rosenberg, Artur Bachach, Jakob Issak Goldberger und den anderen sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden weitererzählen.

Und – so wie es etwa der Verein „Zweitzeugen“ macht – die der Überlebenden. Wir sind es allen schuldig – jenen vor 85 Jahren und jenen, mit denen wir heute zusammenleben.