Kreis Wesel. Wie bewertet die Gesundheitsbehörde die momentane Lage? Vorstandsmitglied Michael Maas beantwortet aktuelle Fragen und blickt dabei auch voraus.
Fast zwei Jahre Corona – und die Omikron-Variante breitet sich auch im Kreis Wesel schnell aus. Inzwischen hat die Gesundheitsbehörde einige Erfahrungen gesammelt. Michael Maas, Vorstandsmitglied für den Bereich Gesundheit des Kreises Wesel, zieht Bilanz nach einem weiteren turbulenten Jahr – und blickt auf 2022.
Das zweite Jahr der Pandemie neigt sich dem Ende entgegen, die Inzidenzen sind aktuell hoch. Vor welchen Herausforderungen steht die Gesundheitsbehörde heute im Gegensatz zur Anfangsphase?
Die hohe Inzidenz erschwert die Kontaktnachverfolgung. Wir sind daher auf die Unterstützung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die zum Glück in den meisten Fällen richtig handeln und sich oft schon vorsorglich selbst in Quarantäne begeben, wenn sie Kontakt zu einer potenziell infizierten Person hatten. In den meisten Fällen funktioniert das sehr gut. Durch die steigenden Zahlen kommt es natürlich zu einem erhöhten Arbeitsaufkommen und damit verbunden zu Verzögerungen beim Versenden von Quarantäne-Anordnungen. Wir versuchen unser Vorgehen stetig zu rationalisieren, bilden permanent zusätzliches Personal neu aus. Aktuell können wir wieder auf die Unterstützung der Bundeswehr zurückgreifen.
Kontaktnachverfolgung, das Stichwort der ersten Pandemiemonate, ist heute im Kreis Wesel kein Thema mehr, oder? Wie geht das Amt stattdessen vor?
Die Kontaktnachverfolgung bleibt wichtig. Aufgrund der gemachten Erfahrungen haben sich aber Struktur und Schwerpunkte der Kontaktnachverfolgung geändert. Das Gesundheitsamt konzentriert sich aufgrund der noch immer sehr hohen Fallzahlen bei der Kontaktnachverfolgung insbesondere auf den Schutz der vulnerablen Bevölkerungsgruppen. zum Beispiel Bewohner von Pflegeeinrichtungen. Daher kontaktiert es auch weiterhin Kontaktpersonen mit Bezug zu Risikogruppen oder bei größeren Ausbrüchen telefonisch. Positiv auf Corona getestete Menschen werden aufgefordert, ihre Kontaktpersonen über ein Online-Formular auf der Internetseite des Kreises Wesel zu melden. Im Formular findet sich auch eine Definition von „Kontaktperson“. Außerdem sind positiv Getestete dazu verpflichtet, unverzüglich die Kontaktpersonen über das eigene positive Testergebnis zu informieren und sie zu bitten, sich selbst in Quarantäne zu begeben. Die Vorgehensweise wurde bereits im Dezember vergangenen Jahres eingeführt, da die positiv Getesteten in der Regel vor dem Gesundheitsamt von ihrem Testergebnis erfahren. Die unterdurchschnittlichen Infektionszahlen im Kreis Wesel, der durch das hohe Durchschnittsalter eine überdurchschnittlich gefährdete Bevölkerung hat, bestätigt dieses Vorgehen. Auch die Beratung von betroffenen Einrichtungen (Schulen, Heimen etc.) bindet die Kapazitäten im hohen Umfang. Dazu kommt die Verantwortung der Gesundheitsbehörde für die Testinfrastruktur und das ergänzende Impfangebot. Die Aufgaben wachsen permanent und die Vorgaben ändern sich manchmal täglich. Die Belastung für das erfahrene Stammpersonal, das nicht nur alle schwierigen Aufgaben selbst wahrnehmen muss, sondern auch die zusätzlichen Kräfte einarbeiten muss, ist enorm.
Können Sie einen Überblick über die Belastung der Kreis-Weseler Krankenhäuser im Zusammenhang mit Corona geben?
Es ist aktuell eine erhebliche Belastung der Krankenhäuser im Kreis Wesel zu verzeichnen. Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer Infektion behandelt werden müssen, binden mehr Ressourcen. Dies zeigt sich insbesondere auch deutlich in der Belastung des Personals, welches seit fast zwei Jahren die Patientenversorgung unter Pandemiebedingungen durchführt. Diese Anspannung macht sich zusätzlich in der saisonal bedingt stets sehr hohen Auslastung der Kliniken in den Wintermonaten bemerkbar. Die Menschen, die in den Krankenhäusern des Kreises Wesel arbeiten, haben Großartiges geleistet. Es konnte stets die Akutversorgung sichergestellt werden, wenngleich man merkt, dass Reservekapazitäten endlich sind.
Gibt es eine Strategie, mehr Menschen zum Impfen bzw. Boostern zu bekommen?
Der Kreis Wesel hat sein ergänzendes Impfangebot im Rahmen eines Stufenplanes stetig ausgebaut und in kurzen Abständen jeweils verdoppelt. Der Ausbau ist noch nicht abgeschlossen. Mit einem Impfzentrum in Wesel, das in Volllast arbeitet, drei stationären Impfstellen im Ballungsrand und unseren mobilen Angeboten sind wir inzwischen nachhaltig gut aufgestellt. Die vom Land angeordnete Schließung des Impfzentrums in Moers hat uns hier kurzfristig zurückgeworfen. Es wird, wie bereits seit vielen Wochen - weiterhin mobile Angebote in allen Städten und Gemeinden geben, um die Impfung zu den Menschen zu bringen und ihnen weite Wege zu ersparen. So kann sich jede und jeder spontan für eine Impfung entscheiden. Darüber hinaus unterstützt uns die AOK mit zusätzlichen mobilen Impf-Angeboten, wofür wir sehr dankbar sind. Die niedergelassenen Ärzte im Kreis Wesel nehmen ihre Verantwortung wahr und haben ihr Angebot auch sehr deutlich ausgebaut. Sie tragen die Hauptlast. Die Zusammenarbeit der Kassenärztlichen Vereinigung mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst gestaltet sich reibungslos. Wichtig ist weiterhin, nicht nur Booster-Impfungen zu pushen, sondern auch permanent Erst- und Zweitimpfungen anzubieten. Hier motiviert man die Menschen nicht mit Bockwürsten, sondern mit sachlicher Aufklärung.
Warum besteht der Kreis Wesel beim Boostern auf Termine?
Bei den mobilen Impfterminen sind spontane Impfungen ohne Termin im ganzen Kreisgebiet möglich. Das war seit November durchgängig der Fall. Der Andrang auf die Booster-Impfung an den stationären Impfstellen war jedoch so hoch, dass es sowohl für Erst- und Zweitimpflinge als auch für Menschen, die sich eine Auffrischungsimpfung abholen wollten, zu sehr langen Wartezeiten gekommen ist. Gerade jetzt in der kalten und nassen Jahreszeit wollen wir den Menschen lange Wartezeiten durch die Terminvereinbarungen ersparen. Das gelingt inzwischen sehr gut. Auch die Impfstoffbestellung kann so effizienter organisiert werden. Für die parallelen Kinderimpfungen im Impfzentrum ist die Terminvereinbarung ebenfalls sehr wichtig, weil wir eine achtsame, kindgerechte Betreuung und Aufklärung durch Kinder- und Jugendärzte in einer geordneten Atmosphäre gewährleisten wollen.
Die Niederrheinhalle als Impfzentrum steht nicht endlos zur Verfügung: Das Gebäude soll abgebrochen werden. Wo soll dann geimpft werden?
Aus diesem Grund haben wir uns in Moers bewusst für einen Impfstandort im Gebäude des Gesundheitsamtes entschieden, um hier auch dauerhaft eine Infrastruktur für das Impfen vorhalten zu können. Die Niederrheinhalle steht zunächst bis Ende April zur Verfügung. Wir sind in engem Kontakt mit der Stadt Wesel und tauschen uns mit ihr zur längerfristigen Sicherstellung des Impfangebotes in Wesel aus.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung mit der Omikron-Variante ein?
Die Omikron-Variante stellt uns natürlich alle vor neue Herausforderungen, da auch auf höheren Ebenen noch nicht klar ist, welche Auswirkungen die Variante hat. Wir halten uns an die Empfehlungen des RKI und ordnen in entsprechenden Verdachtsfällen strengere Maßnahmen an. In den Fällen, die im Kreis Wesel bestätigt sind, hat sich diese Vorgehensweise bewährt. Dabei warten wir die wissenschaftlich bestätigten Ergebnisse einer Vollsequenzierung nicht ab. Wenn die Labore belegbar von fundiertem Verdacht ausgehen, betrachten wir das als Bestätigung und reagieren entsprechend sofort. Den besten Schutz bietet nachweislich eine Booster-Impfung.