Oberhausen. Oberhausener Schulen haben an die Opfer der NS-Zeit gedacht. Der Präses der Evangelischen Kirche findet deutliche Worte.

An einer Wand der Aula des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums steht auf weißem Papier eine abstrakt anmutende Zahl: 6.000.000. So viele Jüdinnen und Juden wurden von den Nationalsozialisten bis zum Zusammenbruch der NS-Diktatur ermordet. Eine Zahl so groß wie ungreifbar. Eine Zahl, die die Oberhausener Schülerinnen und Schüler am Montag in bedrückender Weise mit Geschichte füllten. Am 27. Januar 2025 gedachten Schüler, Stadtvertreter, Politiker und Kirchenvertreter der Opfer in einer gemeinsamen Gedenkstunde. Denn an diesem Tag vor genau 80 Jahren wurden die Gefangenen im KZ Auschwitz befreit.

Noch eine andere Zahl ist bedrückend, aber die fehlt an den Wänden der Bertha-Aula: Laut einer Umfrage der Jewish Claims Conference hat jeder zehnte junge Erwachsene noch nie von den Begriffen Shoah oder Holocaust gehört. Mehr als 40 Prozent der Befragten konnten keine konkreten Daten aus der NS-Zeit nennen. „Man darf es nicht vergessen, aber man tut es“, ist Schüler Willi vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium erschreckt. Zusammen mit anderen Mitschülern der Demokratie-AG hat er die Gedenkveranstaltung organisiert. „Gerade solche Veranstaltungen sind ein starkes Zeugnis, dass es eben nicht in Vergessenheit gerät“, sagt Jonas.

Gedenkveranstaltung in Oberhausen: OB Schranz erinnert an jüdische Familie

Gedenkfeier Befreiung KZ Auschwitz
Bertha-Schulleiter Sascha Reuen, Oberbürgermeister Daniel Schranz und Thorsten Latzel (von links) von der Evangelischen Kirche hielten beim Gedenktag in Oberhausen Reden. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Die Sorge ist allerdings da, dass mit dem Verschwinden von Zeitzeugen auch die Lehren in Vergessenheit geraten. OB Daniel Schranz (CDU) hob in seiner Rede deshalb das Schicksal der jüdischen Familie Meyer hervor, um das „unvorstellbare Grauen“ dieser Zeit deutlich zu machen. Malermeister Wilhelm Meyer wurde erst gezwungen, sein Geschäft zu schließen, dann durch die Stadt Oberhausen zu Zwangsarbeit verpflichtet. Kurz darauf wurde die sechsköpfige Familie nach Riga deportiert. Die Großeltern wurden ermordet, Wilhelm Meyer im Konzentrationslager Stutthof erschossen, Ehefrau Jenny starb ebenfalls dort. Sohn Dagobert war 16 Jahre alt, als er im Jahr 1945 befreit wurde. Von seiner 13-jährigen Schwester Esther fehlt bis heute jede Spur. Am 4. Februar wird der Künstler Gunter Demnig in der Oberhausener Klörenstraße und Roonstraße Stolpersteine verlegen, um an die Familie zu erinnern.

Leidensgeschichten wie diese verarbeiteten die Oberhausener Schulen in ihren berührenden Beiträgen. Mal als schwer zu ertragenden Stoff in Theaterstücken, mal in Aufsagen. Die Fasia-Jansen-Gesamtschule warf den Blick in die Gegenwart und appellierte in Rapsongs an die Freiheit, die es zu beschützen gilt. Die Gesamtschule Osterfeld zeigte ebenfalls musikalisch, wie vielfältig ihre Schule ist - und dass es dort keinen Platz für Rassismus gibt.

Evangelische Kirche: Präses wird konkret

Gedenkfeier Befreiung KZ Auschwitz
Die Aula des Oberhausener Bertha-von-Suttner-Gymnasiums war prall gefüllt. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche, knüpfte in seiner Rede daran an. Er dankte den Schülern für ihr Engagement und erzählte ein Stück aus seiner persönlichen Vergangenheit. Sein Onkel Hans sei der „kinderfreundlichste Mensch“ gewesen und habe sich trotzdem der SS angeschlossen. Nur wenn er zu viel getrunken hatte, habe er später über seine Schuld „und seine Tränen“ sprechen können. „Nazis, das waren nicht irgendwelche Leute. Das waren die netten Nachbarn, die eigenen Verwandten.“ Latzel sieht in der „fehlenden Aufarbeitung“ nach dem Kriegsende „Folgen bis in die heutige Zeit“.

Der Kirchenvertreter nutzte die Gelegenheit für eine dringende Mahnung. Rechtsextremismus sei in Europa und Deutschland stärker verbreitet, der Gedenktag daher „wichtiger denn je“. Latzel wurde konkret: „Die Rede von Remigration ist nichts anderes als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.“ Das Wort wird von der Alternative für Deutschland gebraucht. Die Partei fordert eine Abkehr der bisherigen Politik und strenge Migrationsregeln. Auch im Internet müssten die Schülerinnen und Schüler aufmerksam bleiben, wenn sich Hass und Hetze verbreiten. „Wehret den Anfängen“, rief Latzel ins junge Publikum hinein.

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