Oberhausen. Mit „Me too“-Biss und knalligen Farben setzt Kathrin Mädler den Dorfrichter Adam in Szene. Das Gastspiel zeigt: Klassik muss topaktuell sein.

Das Staatstheater der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz mit seinen tausend Plätzen ist ein pompöser Prachtbau, fast 200 Jahre alt, zugleich topmodern seit einer umfassenden Entkernung und Sanierung zur Jahrtausendwende. Dort - mit den satten Ressourcen eines Dreispartenhauses - inszenierte Oberhausens Intendantin Kathrin Mädler in der vorigen Spielzeit eine rasante „Me too“-Version von Heinrich von Kleists komödiantischem Dauerbrenner „Der zerbrochne Krug“. Für zwei Abende kommt das bissige Lustspiel in Blankversen von 1808 nun ins Große Haus am Will-Quadflieg-Platz.

Mit dem Gastspiel am Mittwoch und Donnerstag, 30. und 31. Oktober, macht Mädler als Regisseurin sogar ihrer eigenen Studio-Premiere „Grabeland“ von Nora Bossong Konkurrenz - und gibt lachend zu: „Schlechtes Timing.“ Die Klassik-Liebhaber unter den Theaterfans dürften sich allerdings eine ganz andere Frage stellen: Warum werden wir in Oberhausen so knapp gehalten mit Shakespeare und Goethe (der übrigens vor 216 Jahren in Weimar die Uraufführung des Kleist‘schen „Krugs“ inszenierte)?

Deichgraf Hauke Haien (David Lau) modelliert die neue Küste: Szene aus Theodor Storms „Schimmelreiter“ im Studio des Theaters Oberhausen.
Deichgraf Hauke Haien (David Lau) modelliert die neue Küste: Szene aus Theodor Storms „Schimmelreiter“ im Studio des Theaters Oberhausen. © Theater Oberhausen | Jochen Quast

Nun, zum einen gelingt der aktuellen Intendanz mit ihrem Kurs, betont aktuelle Arbeiten zu zeigen, eine für viele verblüffende Erfolgskurve. Das prägt den Eindruck vom Theater Oberhausen - führt aber wohl auch dazu, dass einige Klassiker im Repertoire schlicht „übersehen“ werden. Oder manche nehmen sie, angesichts des aktuellen „Drehs“, gar nicht mehr als historische Werke wahr. So verwandelte sich Theodor Storms „Schimmelreiter“ in der Regie von Gregor Tureček zum Plädoyer, endlich der drohenden Klima-Katastrophe entgegenzutreten. Und Georg Büchners „Woyzeck“ war eben nicht bloße Pflichtübung, um mit dem Abiturstoff junge Zuschauer einzufangen, sondern in der Deutung von Pia Richter ein bebender Protest gegen den Femizid einst und jetzt.

„„Heute Abend auf nüchternen Magen zehn Tropfen Glück!“

Arztrezept
in Anna Gmeyners „Welt überfüllt“

Erlaubt man sich, den „Klassiker“-Begriff bis in die literarisch so hochproduktiven Jahre der Weimarer Republik auszuweiten, dann gelang Kathrin Mädler sogar eine kostbare Wiederentdeckung mit Anna Gmeyners um 90 Jahre „verspäteter“ Uraufführung des großen Berlin-Panoramas „Welt überfüllt“: Auch diese Regiearbeit von Thomas Ladwig spiegelte im Drama zur Weltwirtschaftskrise von 1929 unsere gegenwärtigen Beunruhigungen und das Sehnen nach „zehn Tropfen Glück auf nüchternen Magen!“

Liebeshändel vor einem fleischig-roten Herzen: Hero (Nadja Bruder) und Claudio (Khalil Fahed Aassy) in „Viel Lärm um nichts“ - dazu die herzergreifenden Songs von Taylor Swift und Lana Del Ray.
Liebeshändel vor einem fleischig-roten Herzen: Hero (Nadja Bruder) und Claudio (Khalil Fahed Aassy) in „Viel Lärm um nichts“ - dazu die herzergreifenden Songs von Taylor Swift und Lana Del Ray. © Theater Oberhausen | Jochen Quast

Ein spezielleres Thema, jedenfalls der letzten Jahre, sind in Oberhausen allerdings die Shakespeare-Inszenierungen: „Nur eine pro Intendanz?“ Kathrin Mädler scheint erschrocken bei dieser Aufzählung. „Viel Lärm um nichts“ in der Regie von Anne Mulleners ist gerade erst auf dem Spielplan gelandet: in einer prunkvollen Ausstattung mit einem riesigen, fleischig-roten Herzen über den Kulissen, dazu die herzklopfende „Love Story“-Musik von Taylor Swift und Lana Del Ray. Schließlich lesen zigtausende (zumindest der englischsprachigen) „Swifties“ freiwillig die Sonette des Barden aus Stratford, um die clever verbauten Zitate in den Songs ihres Idols zu erkennen.

„Zum Stolpern braucht‘s nicht mehr als Füß.“

Dorfrichter Adam
in Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“

Beim vorletzten Shakespeare, dem 2019er „Sommernachtstraum“, gab‘s ganz andere Wow-Effekte: mit bruchgelandeten Segelfliegern auf der Bühne und sogar mitten im Zuschauersaal. Paul-Georg Dittrich ließ als erprobter Opernregisseur das Ensemble italienische Arien anstimmen: hinreißend gespielte Gefühlsausbrüche, die auch ganz ohne Belcanto beeindruckten.

Prolog auf dem Ebertplatz: Oberhausens 2019er „Sommernachtstraum“ mit Lise Wolle als Shakespeares Helena.
Prolog auf dem Ebertplatz: Oberhausens 2019er „Sommernachtstraum“ mit Lise Wolle als Shakespeares Helena. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Das Resümee? Damit klassische Bühnenstoffe nicht an Klippen musealer Langeweile zerschellen, müssen Regie, Dramaturgie und Ausstattung sie weitertragen gen Gegenwart. Heinrich von Kleists Dorfrichter Adam lässt sich trefflich vorführen als „Me too“-Sünder. Des groben Trump-Zitats über dem Bühnenbild von Franziska Isensee („Grab ‘em by the Pussy“) hätte es bei der Wortmacht dieses Textes gar nicht bedurft.

Karten für die beiden Aufführungen von „Der zerbrochne Krug“ gibt‘s von 13 bis 26 Euro an der Theaterkasse, 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de