Oberhausen. Für die AfD ist das Schauspielhaus „irrelevant“, für alle anderen vorbildlich. Im Herbst 2024 wird das „Hanau“-Drama sogar in Berlin aufgeführt.

Im Februar war Kathrin Mädler noch viel zu vorsichtig: Damals galt es für die Intendantin, gemeinsam mit Verwaltungsdirektorin Doris Beckmann die 600.000-Euro-Sparauflagen des Oberhausener Theaters aufzudröseln. „Die aktuelle Spielzeit dürfte 44.000 Besucher erreichen“, hieß es im Vorfrühling - und das war optimistisch gemeint. Tatsächlich hat das Team um Kathrin Mädler die eigenen Erwartungen deutlich übertroffen: Mit der letzten Vorstellung des Komödien-Hits „The Legend of Georgia McBride“ hat die zweite Spielzeit ihrer Intendanz die 50.000-Zuschauer-Marke geknackt.

„Wir sind begeistert von der Resonanz auf diese Spielzeit.“

Kathrin Mädler,
seit Sommer 2022 Intendantin des Theaters Oberhausen

„Wir sind begeistert von der Resonanz auf diese Spielzeit“, sagt die Intendantin, die von Theaterfans wie Kulturpolitikern bereits für ihre Einstandssaison mit 42.000 Besuchern gefeiert wurde. Jetzt sind es rund zehn Prozent mehr - dabei will die 48-Jährige gar nicht in Zahlen schwelgen. Sondern lieber von großen Schauspielabenden schwärmen. Das belegt nicht zuletzt Mädlers eigenwillige Vorstellung von „Theaterferien“: Gerade erst hat sie am Staatstheater Mainz eine böse funkelnde „Me too“-Version von Kleists „Der zerbrochene Krug“ inszeniert - natürlich mit Franziska Isensee als der Ausstatterin ihres Vertrauens. Den Sommer verbringt die Unermüdliche in Sofia, um dort „Darkness on the Edge of Town“ von Dario Bevanda auf die Bühne zu bringen - folgerichtig in bulgarischer Sprache. Beide Regiearbeiten werden als Gastspiele auch im Theater Oberhausen zu sehen sein.

Theater Oberhausen: Intendantin Kathrin Mädler erreicht neue Zielgruppe

Kathrin Mädler im Foyer des Oberhausener Theaters. Ihre eigenen „Theaterferien“ verbringt die Intendantin in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, um dort „Darkness on the Edge of Town“ zu inszenieren.
Kathrin Mädler im Foyer des Oberhausener Theaters. Ihre eigenen „Theaterferien“ verbringt die Intendantin in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, um dort „Darkness on the Edge of Town“ zu inszenieren. © FUNKE / Foto Services | Gerd Wallhorn

„Partystimmung“ auf und vor der Bühne erlebte die Intendantin dank eines neuen, jüngeren Publikums, das zu den Abenden mit dem New Wave Ensemble strömt. „Suits ist super gelaufen“, resümiert Mädler, „bei MC Messer waren die wenigsten im Publikum vorher schon mal im Theater“. Stolz ist die Intendantin darauf, wie sich die neue Tanz-Truppe auch in Schauspielabende einbringt - von „Bambam Bambi“ bis „Ich zittere“. Kathrin Mädler: „Daran lässt sich absehen, was künstlerisch noch möglich sein wird.“ Zudem nutze die zuvor an kein etabliertes Haus gebundene Urban-Arts-Truppe ihre guten Kontakte in die Szene, um revierweit für Oberhausen zu werben.

„Für Georgia McBride setzen sich selbst Kölner in den Zug nach Oberhausen.“

Hannes Richter,
Pressesprecher des Theaters Oberhausen

Eine stattliche neue Besuchergruppe erschloss sich das Schauspielhaus auch dank der „Serenade für Nadja“ des türkischen Bestseller-Autors Zülfü Livaneli. „Das Feedback war überwältigend“, sagt Hannes Richter, der Pressesprecher des Theaters. Obwohl oder gerade weil die mit türkischen Übertiteln gezeigte „Serenade“ ein kritisches Geschichtsbild zeichnet, wie es die Regierung Recep Tayyip Erdoğans kaum tolerieren mag, war die Zustimmung zu dieser Produktion eindeutig. Kathrin Mädler nennt es wichtig, diese strenge Geschichtsstunde „auf die große Bühne zu bringen“ - obwohl natürlich auch Studio-Inszenierungen Klasse und politischen Zündstoff bergen.

Theater Oberhausen: Drama über Hanau im Bundeskanzleramt

Was nicht passt, wird passend geschnürt: So beginnt Miss Tracy (Jens Schnarre) die Verwandlung von Casey (Daniel Rothaug) zur Dragqueen „Georgia McBride“, dem erzkomödiantischen Spielzeit-Hit des Oberhausener Theaters.
Was nicht passt, wird passend geschnürt: So beginnt Miss Tracy (Jens Schnarre) die Verwandlung von Casey (Daniel Rothaug) zur Dragqueen „Georgia McBride“, dem erzkomödiantischen Spielzeit-Hit des Oberhausener Theaters. © Theater Oberhausen | Karl Forster

Als „letztlich auch politisch“ bewertet die Intendantin selbst die schwungvoll-erzkomödiantische „Legend of Georgia McBride“, in der Daniel Rothaug vom gescheiterten Elvis-Double zur glanzvollen Dragqueen aufsteigt. „Die Schönheit der Verschiedenheit“, wie Mädler sagt, fand ein bunt gemischtes Publikum. „Dafür setzen sich selbst Kölner in den Zug nach Oberhausen“, erkannte Pressesprecher Hannes Richter. „Georgia McBride“ ist schon jetzt für den Silvesterabend 2024 im Theater gesetzt.

„Dieses Haus ist nicht nur für ein bürgerliches Publikum da!“

Kathrin Mädler,
Intendantin

Und die eindeutig politischste aller Spielzeit-Produktionen? Das mehrmals monatlich im prächtig wiedererstandenen Ratssaal aufgeführte „And now Hanau“, basierend auf der sekundengenauen Rekonstruktion der Mordnacht durch die Rechercheagentur „Forensic Architecture / Forensis“, ist nicht nur im Oberhausener Rathaus zuverlässig ausverkauft. Die eindringliche Arbeit des Autors, Regisseurs und Arztes Tuğsal Moğul legt eine erstaunliche Gastspielkarriere hin: Die gemeinsame Produktion der Theater Oberhausen und Münster war schon in Frankfurts Jüdischem Museum zu sehen - und im Rathaus Hanau, quasi am „Tatort“ des schrecklichen Behördenversagens nach der Mordnacht vom 19. Februar 2020. „Im Herbst sind wir für eine Aufführung ins Bundeskanzleramt eingeladen“, erklärt Kathrin Mädler. Die „erschreckende Aktualität“ des „Hanau“-Dramas sei offensichtlich.

Der Conférencier und seine Doubles (v.li Beckley Adeoye, Klaus Zwick, David Lau): Für  Kathrin Mädler ist das Düster-Cabaret „Ich zittere“ mit seinem wuchtigen Bühnenbild auch ein großer Leistungsbeweis der technischen Gewerke: „Da merkt man, wie der Spirit im Haus ist.“
Der Conférencier und seine Doubles (v.li Beckley Adeoye, Klaus Zwick, David Lau): Für Kathrin Mädler ist das Düster-Cabaret „Ich zittere“ mit seinem wuchtigen Bühnenbild auch ein großer Leistungsbeweis der technischen Gewerke: „Da merkt man, wie der Spirit im Haus ist.“ © Theater Oberhausen | Andreas Etter

So kann allein die AfD-Ratsfraktion „ein in der Stadtgesellschaft irrelevantes Theater“ ausmachen. Die Theaterchefin sieht es dagegen keinesfalls als „riskant“, mit ihrer dritten Spielzeit entschlossen auf zeitgenössisches politisches Schauspiel zu setzen: „Den Erfolg der zweiten Spielzeit“, so Mädler, „lese ich als vertrauensvolle Beziehung, als enge Bindung an die Stadt. Dieses Haus ist nicht nur für ein bürgerliches Publikum da!“ Ein wenig „gewagt“ sei in der kommenden Spielzeit allenfalls der starke Akzent auf Revier-Themen mit Adaptionen der Romane von Ralf Rothmann („Milch und Kohle“) und Annika Büsing („Koller“) sowie des ersten Bühnen-Textes von Nora Bossong („Grabeland“): Als Newcomer hätte die neue Crew am Will-Quadflieg-Platz den Oberhausenern nicht das Ruhrgebiet erklären wollen, meint Kathrin Mädler: „Wir wollten erst hier angekommen sein.“ Angekommen sind sie zweifellos.