Oberhausen. Seit Freitag läuft der Betrieb im Theater Oberhausen wieder. Am Ende der ersten Vorstellung gibt‘s tosenden Jubel und schweißgebadete Künstler.

Ziemlich genau 50 Jahre lang erschien es als utopisch, jemals wieder am Theater Oberhausen eine Tanzaufführung zu erleben. Umso erfreulicher, dass nun die hauseigene „Urban Arts“-Kompagnie, auf die Intendantin Kathrin Mädler wahrlich stolz sein darf, die neue Spielzeit in kraftstrotzender Intensität eröffnete. Mit einem von Kwame Osei (Regie) und Ntela Hendrickx (Choreographie) konzipierten Tanzstück namens „Utopia“, das in einer von Wüsten und Sandstürmen geprägten zukünftigen Welt spielt.

„Utopia“ heißt das neue Stück der „Urban Arts“-Sparte am Theater Oberhausen.
„Utopia“ heißt das neue Stück der „Urban Arts“-Sparte am Theater Oberhausen. © Theater Oberhausen | Dana Schmidt

Wie wir seit Thomas Morus wissen, der 1516 in seinem verkürzt als „Utopia“ bekannten Roman als erster eine ideale Gesellschaft beschrieb, lebt diese eigentlich auf einer Insel der Glückseligkeit. Im Studio des Oberhausener Theaters zeigt sich die jedoch als karge Wüstenei mit vier kleinen und einem größeren Sandkasten vor einer raumgreifenden Wand aus mächtigen Quadern (Bühnenbild: David Camargo) als optisch monotone, jedoch von Thomas Grubenbecher delikat ausgeleuchtete Kulisse.

Das Bühnenbild für „Utopia“ hat David Camargo gestaltet.
Das Bühnenbild für „Utopia“ hat David Camargo gestaltet. © Theater Oberhausen | Dana Schmidt

Nicht ganz das, was man sich als ideale Lebenswelt ohne Krieg, ohne Sorgen, ohne Kriminalität vorstellen mag, die hier durch eine, nun ja, Künstliche Intelligenz gewährleistet wird: „Sei gegrüßt, Menschheit. Ich bin hier, um eure Zukunft zu sichern“, tönt es auf Englisch (warum eigentlich?) aus dem Off: „Ich bitte euch eindringlich, diese Warnung zu beachten: Sucht nicht nach den alten Erinnerungen, die in den Tiefen der Zeit vergraben sind.“

Die Leistung der Tänzerinnen und Tänzer im Studio des Theaters Oberhausen war beeindruckend.
Die Leistung der Tänzerinnen und Tänzer im Studio des Theaters Oberhausen war beeindruckend. © Theater Oberhausen | Dana Schmidt

Höchste Zeit, auf die sechs „Urban Arts“-Dancer einzugehen, die in Gospelgewänder gekleidet nach und nach Farbe auf die Bühne bringen. Eindrucksvoll, wie Laëlle Makazu als „Die Unschuldige“ ihre neue Umgebung erkundet, andere Menschen trifft und sich mit ihnen in tänzerisch packenden Szenen zu künstlich erzeugter Harmonie vereint. Die freilich bald versandet, weil die geradezu biblische Warnung (Nich am Appel packen!) natürlich nichts fruchtet. Musikalisch illustriert von Mattis Rinsche, der mit markerschütternden Bässen – Massagesessel nix dagegen – gar nicht mal so laut alle Klischees psychedelischer Klangkunst von Pink Floyd bis Tangerine Dream auffährt, die von den ekstatisch agierenden Tänzerinnen und Tänzern oft rhythmisch akzentuiert werden – samt einer fiesen „Riverdance“-Assoziation, die meisten sind freilich netter.

„Utopia“ im Theater Oberhausen: Tänzer buddeln Erinnerungen aus

Denn es sind durchgängig eindrucksvolle, deutungsoffene Tanz-Bilder, die Beckley Adeoye, Siryel Elina Chtioui, Laëlle Makazu, David Wilfried Mayinga, Joseph Louis Sitti und William Hayibor Venous (diese Auflistung haben sie sich wahrlich schwer verdient) mit höchstem Körpereinsatz ins fesselnde und keine Minute langweilende Geschehen einbringen. Stark, wie sie die auf symbolträchtige Tafeln gebannten Erinnerungen ausbuddeln, das daraus resultierende Chaos bändigen, schließlich ihre Gewänder abwerfen und derart befreit zu neuer Harmonie vor der nun sinntragenden Kulisse zusammenfinden.

Tosender Jubel nach einer knappen Stunde für die sechs schweißgebadeten Dancer und ihr Team, dem mit „Utopia“ eine hochattraktive Tanzperformance gelungen ist, die viele Fragen aufwirft, aber auch offen lässt – und nicht zuletzt deshalb ein faszinierend anregendes Erlebnis ist.

Zwei weitere Vorstellungen

Leider gibt es nur noch zwei Aufführungen von „Utopia“ – nämlich am 22. September um 18 Uhr und am 4. Oktober um 19.30 Uhr im Studio des Theaters Oberhausen, Willi-Quadflieg-Platz.

Karten kosten 17 Euro (ermäßigt 7 Euro). Nähere Informationen unter Tel. 0208-8578-184 oder im Internet auf www.theater-oberhausen.de. Auf der Website können Karten gebucht werden.

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