Oberhausen. Die neue Klinikreform mit reduziertem Angebot macht vielen Angst. Auch Fachleute in Oberhausen befürchten: Patienten müssen noch länger warten.
Noch haben sich Bund und Länder nicht in allen Punkten der Krankenhausreform geeinigt, doch die Richtung, in die es gehen wird, steht fest: Weniger Klinikaufenthalte, mehr ambulante Versorgung soll es in Zukunft geben, auch für die 210.000 Oberhausenerinnen und Oberhausener. Große Sorgen machen sich darüber das Fachpersonal und die Patientinnen und Patienten.
Deren Frust konnte man bei einem Treffen des „Oberhausener Bündnisses für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung“ im DGB-Haus an der Friedrich-Karl-Straße erleben. Parteien-Vertreter und der Leiter des Gesundheitsamtes mussten sich den Vorwürfen stellen. Klare Aussagen oder gar gute Ideen zur Zukunft der Krankenversorgung in der Stadt hatte keiner von ihnen auf Lager.
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„Je älter und hilfloser man wird, desto wütender macht einen das.“ Tobias Michel war als Vertreter von pflegenden Angehörigen zur Diskussionsrunde eingeladen. Er berichtete von langen Schlangen vor Facharztpraxen, wo Menschen frühmorgens anstehen, nur um einen Termin zu ergattern; von seiner Hausärztin, die erst in zwei bis drei Monaten Zeit für ihn habe – „außer ich drohe gerade tot umzufallen“ – und von der verzweifelten Suche nach einem Übergangspflegeplatz und einer ambulanten Pflege für seine 90-jährige Mutter. Das Besondere: Als Krankenpfleger im Ruhestand kennt Tobias Michel die Situation auch von der anderen Seite. Trotzdem sagt er: „Ich habe sehr viel Geld eingezahlt in das System – für Leistungen, die ich einfach nicht bekomme.“
Oberhausens Kliniken: Was alles wegfällt durch die Reform
Mitten im kräftezehrenden Berufsleben als Krankenpfleger steht Burkhard Völker noch. Er arbeitet seit 27 Jahren in der ambulanten Pflege. „Früher haben wir erstmal eine geraucht mit den Patienten“, erinnert er sich. „Heute checken manche schon nach fünf Minuten wieder aus: Insulin, Medikamente – ein Gespräch gab es dann aber nicht.“ Zum großen Thema Personalnot, einer der Gründe für das Zusammenstreichen des Klinikangebots, vertritt er eine klare Meinung: „Die Kollegen mit einer Sechs-Tage-Woche wollen nicht mehr Geld, sondern bessere Arbeitsbedingungen.“
Die Krankenhausreform sieht erhebliche Veränderungen vor. So steht die Konzentration von bestimmten Leistungen auf wenige Krankenhäuser an, um die Qualität der medizinischen Ergebnisse zu verbessern. Dadurch wird auch Oberhausen Anlaufstellen verlieren.
Die Schmerzlinderung und psychische Betreuung von Schwerstkranken mit geringer Lebenserwartung (Palliativmedizin) in den Oberhausener Krankenhäusern soll komplett wegfallen, eine Spezialeinheit für Schlaganfall-Patienten (Stroke Unit) darf in Oberhausen nur noch das St. Clemens-Krankenhaus einrichten, die Belegung von Betten durch HNO-Praxen soll es nicht mehr geben, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie würde es deutlich weniger Kapazitäten geben, da teilstationär nur noch die Tagesklinik Mülheim/Oberhausen vorgesehen ist und: Die Oberhausener Kliniken sollen keine künstlichen Gelenkprothesen mehr einbauen - wenn die Reform so in Kraft tritt.
Leiter des Oberhausener Gesundheitsamtes: „Wir haben ein ineffizientes System“
„Ich würde gerne die Todeszahlen aufgrund von Nichtbehandlung wissen“, sagt sichtlich aufgebracht eine Besucherin der Veranstaltung. „Sarkastisch gesagt: So könnte man auch die Rentenlast loswerden.“ Gesundheitsamts-Leiter Emanuel Wiggerich will dies und die vorangegangenen Kritikpunkte nicht so im Raum stehen lassen. „So schlecht ist unser Gesundheitssystem nicht“, entgegnet er. Man müsse unterscheiden zwischen Notfällen, für deren schnelle Behandlung weiterhin gesorgt werde und planbaren Eingriffen und Terminen.
In der Tat sieht die Klinikreform Erreichbarkeitsvorgaben vor: 30 bis 40 Minuten Fahrtzeit mit dem Auto zum nächsten Krankenhaus gelten als vertretbar. Dass die ambulanten Strukturen an Bedeutung gewinnen werden, räumt auch er ein. „Aber wir müssen etwas ändern. Wir haben eines der teuersten und ineffizientesten Gesundheitssysteme.“
Beliebt macht sich Wiggerich nicht mit seinen Aussagen. Während der Ärztemangel und auch das Apothekensterben in Oberhausen vielen Gästen der Veranstaltung auf der Seele brennen, rückt er Zahlen zurecht: „Fachärztlich sind wir in Oberhausen überversorgt, bei den Hausärzten beträgt die Auslastung 97 Prozent.“ Ungläubiges Gemurmel. „Sie sind hier gut versorgt“, beschwört Emanuel Wiggerich. Und er warnt vor Panikmache: „Es ist noch nicht alles entschieden. Wir wissen erst Ende des Jahres, wie sich die Kliniklandschaft ändert.“
Mitarbeiterin in der Kinder-Notaufnahme: „Wartezeit von fünf Stunden ist normal“
Die persönlichen Berichte einiger Anwesender klingen weniger beruhigend: Julia, die ihren Nachnamen nicht öffentlich lesen möchte, arbeitet seit zehn Jahren in der Kinder-Notaufnahme eines Krankenhauses. Die ambulanten Fallzahlen seien extrem angestiegen, berichtet sie. Wartezeiten von vier bis fünf Stunden seien an der Tagesordnung.
Im Winter müssten Eltern mit Neugeborenen bis zu acht Stunden auf ein freies Bett warten, einige kleine Patienten müssten in bis zu 80 Kilometer entfernte Kliniken verlegt werden. „Und wenn wir die Kinder zu früh entlassen, wird es zum Bumerang. Die kommen nach einem Tag zu Hause wieder zurück.“ Wer, fragt sie, soll die Verantwortung dafür tragen, ein Baby abzuweisen, weil es keinen Platz gibt?
Wie komplex das Thema Gesundheit ist, zeigt sich an diesem Abend ebenfalls. Katharina Schwabedissen von der Gewerkschaft Verdi, die den Abend moderiert, mahnt eindringlich an, dass es für eine Familie mit geringem Einkommen zum Riesen-Problem werden kann, ihr Kind nach einer Mandel-Operation täglich zu besuchen, wenn das Krankenhaus nicht in der Nähe liegt. Keiner widerspricht, doch es scheint auch niemand eine Lösung hierfür parat zu haben.
Peter Quaschner, Geschäftsführer des Evangelischen Krankenhauses Oberhausen (EKO), wiederholt beinahe gebetsmühlenartig, dass die Oberhausenerinnen und Oberhausener gut versorgt sind: „Das EKO ist ein stabiles Krankenhaus.“ Doch auch er muss einräumen: „Wenn nach der Reform 1000 Geburten hinzukommen, können wir das nicht auffangen.“ Und: „Die Versorgung der Kinder ist eine einzige Katastrophe.“
Sein – etwas verzweifelt wirkendere – Lösungsansatz, aus Zweibettzimmern Dreibettzimmer und aus Dreibettzimmern Vierbettzimmer zu machen, stößt jedoch gleich auf Widerspruch. „Das ist grenzwertig“, sagt Krankenpfleger Burkhard Völker. „Man muss sich fragen, ob das noch Versorgung ist oder nur Verwahrung.“
Lokalpolitiker in Oberhausen zur Krankenhausreform: Schweigen im Walde
Die politischen Vertreter halten sich erstaunlich lange aus der Debatte heraus. Erst als sie zum Ende um Statements gebeten werden, äußern sie sich vorsichtig. Entweder haben sie kaum etwas in petto oder scheuen klare Aussagen, um es sich mit der Wählerschaft nicht zu verscherzen. Andrea Küsters von den Linken fordert Gesundheitszentren, die im Gemeinwohl verankert sind, Jörg Schröer von der SPD hält Gesundheitszentren für „eine exzellente Idee“ und verlangt eine Abkehr „von der Anspruchshaltung“ der medizinischen Versorgung gegenüber. Sebastian Girullis von den Grünen hält die Reform für eine Chance, weil die Bündelung von Angeboten bessere Bedingungen für das Personal bedeuten könnte. Die CDU ist terminbedingt nicht anwesend, die AfD nicht erwünscht gewesen.
Was alle politischen Vertreter eint: Sie betonen ihre geringe Handhabe, da es sich um Veränderungen auf Landes- und Bundesebene handelt. Die Gäste gehen, kaum besänftigt. Vielleicht kommen sie zum nächsten Treffen des „Oberhausener Bündnisses für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung“ wieder: am Mittwoch, 19. Juni, 18.30 Uhr, erneut im Gewerkschaftshaus an der Friedrich-Karl-Straße 24.
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