Mülheim/Duisburg. Lange war die Ermordung eines Friseurs ein Cold Case. Mittlerweile steht ein Angeklagter vor Gericht. Er lieferte nun eine neue Version zur Tat.
Überraschende Wendung im Fall der mutmaßlichen Ermordung des Mülheimer Friseurs Günter K. im Jahr 1991. Vor dem Landgericht Duisburg erhärteten drei Polizeibeamte und der Psychiater Dr. Frank Sandlos die Beweise gegen den mutmaßlichen Täter. Doch der Angeklagte selbst brachte eine ganz andere Sicht der Dinge ins Spiel.
Vom Leiter der Essener Ermittlungsgruppe „Cold Cases“, Kriminalhauptkommissar Dustin Wisniewski, war zu erfahren, dass man an der Leiche des Friseurs mehrere DNA-Spuren gefunden hatte, die dem Angeklagten zuzuordnen waren. „Die Spuren waren eindeutig an tatrelevanten Stellen“, so der Beamte. Wisniewski erinnert sich auch noch an einen tragischen Aspekt, den es bei der Festnahme des Angeklagten 2024 gab.
Haftbefehl kam in der schwersten Stunde des Angeklagten
Dessen Frau lag zu dieser Zeit im Sterben. Gleichzeitig kam man wegen der Schwere des Delikts an der Festnahme nicht vorbei: „Es war sehr heikel. Am nächsten Tag starb die Frau dann tatsächlich auch im Krankenhaus. Wir haben Herrn H. trotz seines Haftbefehls noch die Möglichkeit gegeben, von seiner Frau Abschied zu nehmen.“
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Mit der Zuordnung der DNA zu dem Verdächtigen war die Rechtsmedizin München beauftragt worden, die mit modernster DNA-Analytik den Beweis der Spurenlegerschaft führen konnte. Zur Tatzeit war die DNA-Analyse im Strafverfahren noch nicht möglich. Erst 1998 hatte der Gesetzgeber dieses bahnbrechende forensische Werkzeug in die Strafprozessordnung eingeführt.
Darum wurde der Mülheimer Fall erst als Code Case aufgeklärt
Überhaupt aufmerksam geworden war man auf den Tatverdächtigen aber wegen eines Fingerabdrucks an einem Cognac-Glas, den er am Tatort hinterlassen hatte. Auch hier spielten neue polizeiliche Möglichkeiten den Cold-Case-Ermittlern in die Hände. Denn mittlerweile sind die Fingerabdruckdatenbanken der europäischen Polizeien miteinander vernetzt. So konnte der Angeklagte als Urheber des Fingerabdrucks an dem Cognac-Glas identifiziert werden, weil er in Polen bereits wegen Eigentumsdelikten erkennungsdienstlich behandelt worden war.
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Außer dem Leiter der Ermittlungsgruppe traten auch noch zwei seiner Kolleginnen in den Zeugenstand. Eine 45 Jahre alte Oberkommissarin, die auf Finanzermittlungen spezialisiert ist, hatte nachvollziehen können, dass der Angeklagte, der Ende der 80er Jahre von Polen nach Mülheim umgesiedelt war, Anfang der 90er Jahre mit knapp 4.000 Euro verschuldet war, so dass er ein Motiv gehabt hätte, den Friseur umzubringen. Am Tatort an der Leineweberstraße waren seinerzeit Wertsachen, wie etwa eine auffällige Uhr, verschwunden.
Angeklagter im Mülheimer Fall offenbarte sich dem Psychiater
Einen Paukenschlag bot in der Beweisaufnahme der psychiatrische Sachverständige. Im Rahmen seiner Begutachtung hatte er nicht nur festgestellt, dass der Angeklagte uneingeschränkt schuldfähig gewesen ist. Er hatte sich zwangsläufig mit dem Mann auch über den konkreten Fall unterhalten. Der Angeklagte habe ihm offenbart, dass er von dem späteren Getöteten auf der Straße angesprochen worden sei und er ihn eingeladen hätte, mit ihm in seiner Wohnung noch etwas zu trinken. Er sei auch mitgegangen. Plötzlich sei er eingeschlafen.
Als er wachgeworden sei, sei seine Hose offen gewesen und sein Gastgeber habe sich mit Mund und Hand an seinem Geschlechtsteil vergangen. Er habe darauf im Schreckzustand ein Kabel an sich gezogen und habe den Geschädigten damit gedrosselt. Dann sei er aus der Wohnung geflohen. Davon, dass sein Opfer tot sein könnte, sei er nicht ausgegangen. Das habe er erst 23 Jahre später bei der Festnahme erfahren.
Warum die Mülheimer Tat verjährt sein könnte
Die Staatsanwaltschaft vertrat in der Verhandlung die Ansicht, dass die ganzen Umstände der Tat dafür sprächen, dass der Täter sich bereichern wollte und deshalb Wertsachen mit sich genommen habe. Daher müsse von einem Raubmord ausgegangen werden. Die Verteidigung, Rechtsanwalt Nikias Roth und eine weitere Kollegin, teilten die Annahme des Mordmerkmals Bereicherungsabsicht hingegen nicht.
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Rechtsanwältin Ursula Meise aus Mülheim, die nicht an dem Verfahren beteiligt ist, ordnete hierzu aus juristischer Sicht ein: „Die Frage, ob ein Mord oder ein Totschlag vorliegt, ist bei einer so lange zurückliegenden Tat von essentieller Bedeutung. Mord verjährt nicht. Sollte dem Angeklagten also dieses Delikt nachgewiesen werden, müsse er mit einer langen Haftstrafe rechnen. Totschlag verjährt in der Regel nach 20 Jahren. Da der Angeklagte erst nach über 30 Jahren unter Verdacht geraten ist, würde er bei Feststellung eines Totschlags als freier Mann aus dem Gerichtssaal gehen können. Eine verjährte Tat, auch von solcher Schwere, kann nicht mehr bestraft werden.“
Das Verfahren neigt sich seinem Abschluss zu. Die nächste Verhandlung ist Ende Januar.
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