Mülheim. Die Beratungsstelle für Alleinerziehende in Mülheim konnte schon über 300 Menschen helfen. Dort heißt es: „Es gibt keine Probleme, nur Lösungen!“
Sabrina (46) und Marietta (39) sind Freundinnen (Namen geändert), die beiden alleinerziehenden Mütter stützen sich gegenseitig. Eine Trennung ist eben „ein Schicksalsschlag“ und das Leben alleine mit Kindern kein Kinderspiel. „Nachdem meine Ehe auseinandergegangen war, stand ich mittellos da. Von meinem Ex-Mann bekam ich kein Geld, vom Amt auch nicht. Ich wusste nicht mehr, wo hinten und vorne ist“, berichtet Sabrina, die mit ihrer jüngeren Tochter (heute elf) „einfach nur in ihrer Wohnung bleiben wollte“.
Großes Glück war es, dass sie zur „Anlaufstelle für Alleinerziehende“ fand. „Die beiden Mitarbeiterinnen dort haben Empathie ohne Ende und wollen einem wirklich helfen. Sie haben mir erklärt, welche Rechte ich habe und mich mit Brigitte Otto vom Jobcenter zusammengebracht. Schnell war klar, dass ein Fehler vorlag und ich doch staatliche Unterstützung bekommen konnte.“
Mülheimerin will künftig „nie wieder abhängig sein“
Eine große Erleichterung. Denn: Lange raus aus dem erlernten Beruf und mit einer Achtjährigen zuhause, war an Arbeit so schnell nicht zu denken. Zumal Sabrina auch noch schwer erkrankte. „Auch bei der Beantragung der Reha hat mich die Anlaufstelle unterstützt“, erzählt sie. Wenn sie gesundheitlich wieder fit ist, will sie Arbeit suchen: „Mein Lebensziel ist es, nie wieder abhängig zu sein.“
Ihre Freundin Marietta ist schon länger alleine mit ihren Kindern (heute zehn und 13) und hat ein Leben „wie eine Achterbahnfahrt“, es geht auf und ab. Mit ihrer großen Liebe kam die Französin vor Jahren nach Mülheim, an der gescheiterten Ehe hielt sie lange nur noch wegen der Kinder fest. Eine chronische Krankheit kam dazu, 2017 reichte sie die Scheidung ein. Auch sie erhält vom Ex kein Geld.
Französin zog es vor Jahren der Liebe wegen nach Mülheim
Die Alleinerziehende suchte sich Arbeit, eine Freundin half mit den Kindern. Dem Job als Altenpflegehelferin hielt sie gesundheitlich nicht stand. Eine Weiterbildung im IT-Bereich musste sie wegen eines Unfalls ihrer Tochter abbrechen. Jobs als Personalberaterin waren zu zeitintensiv: „Man sitzt mit Bauchschmerzen da, denkt an die Kinder.“ Über die „Anlaufstelle für Alleinerziehende“ fand Marietta einen neuen Weg. Sie will umschulen zur Kauffrau für IT- und Systemmanagement. „Egal, mit welcher Frage man kommt – für die Beraterinnen gibt es keine Probleme, sondern nur Lösungen“, sagt sie begeistert.
„In rund 3.100 Haushalten in Mülheim lebt nur ein Elternteil mit einem oder mehreren Kindern zusammen. Diese Alleinerziehenden müssen Aufgaben meistern, die zu einem enormen psychischen Druck führen“, wissen Désirée Növermann und Belma Idrizi von der „Anlaufstelle für Alleinerziehende“. Die Beratungsstelle, wurde 2023 als dreijähriges Modellprojekt von der Stadt Mülheim (mit Hilfe der Leonhard-Stinnes-Stiftung) eingerichtet und hat die Verbesserung der Lebenssituation von Alleinerziehenden zum Ziel. Im Evaluationsbericht (November 2022 bis August 2024) wird deutlich, wer die Beratung in Anspruch nahm und welche Hilfestellung die Beraterinnen geben konnten.
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„Der Beratungsbedarf war von Anfang an groß. Die Beratung ist oft sehr emotional, die meisten Ratsuchenden sind überfordert“, heißt es in den Ausführungen. Die Probleme der Betroffenen seien dabei vielfältig. Deshalb versuche man, alle Lebenslagen von Alleinerziehenden abzudecken, ihnen mit Hilfe persönlicher Gespräche sowie eines „umfassenden individuellen Leitfadens“ Hilfsangebote und Kontaktadressen für alle Schwierigkeiten aufzuzeigen.
Mülheimer Beraterinnen führten 303 Gespräche
In anderthalb Jahren führten die Beraterinnen 303 Beratungsgespräche mit 181 Alleinerziehenden durch. 92 Prozent waren weiblich, nur acht Prozent männlich. „Gesellschaftliche Strukturen und Rollenverteilungen sind immer noch so, dass Frauen viel häufiger in die Rolle der Alleinerziehenden gedrängt werden.“
Zu den Hauptthemen in der Beratung zählten wirtschaftliche Unterstützung und Behördenangelegenheiten (40 Prozent), psychische Überlastung und häusliche Gewalt (26 Prozent), Wohnungssuche, Vernetzungsmöglichkeiten oder Serviceangebote wie etwa Haushalts- oder Nachhilfe (21 Prozent) und auch die OGS- und Kitaplatzsuche und Randzeitenbetreuung (zehn Prozent).
Alleinerziehende mit mehreren Kindern brauchen mehr Hilfe
Die Datenanalyse zeigt: 50 Prozent der beratenen Personen haben ein Kind, 35 Prozent zwei Kinder und 15 Prozent drei oder mehr Kinder. „Alleinerziehende mit mehreren Kindern benötigen noch intensivere Unterstützung, um den Alltag zu bewältigen“, so die Beraterinnen. Es sei notwendig, gezielt Hilfsangebote zu entwickeln, die die „spezifischen Bedürfnisse von Frauen“ und die „Bedürfnisse von Müttern oder Vätern mit mehreren Kindern“ berücksichtigten.
73 Prozent der Personen kamen nur einmal zur Beratung, 27 Prozent mehrmals. „Die Herausforderungen, mit denen Alleinerziehende konfrontiert sind, sind so komplex, dass sie oft nicht in einem einzigen Termin bearbeitet werden können“, weiß Désirée Növermann.
Mülheimer Beratungsstelle hilft in allen Trennungsphasen
„Bei den schon länger Getrennten (43 Prozent) ging es oft um finanzielle Absicherung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Stabilität der Kinder“, heißt es im Bericht. Die frisch Getrennten (17 Prozent) benötigten vor allem Hilfe bei rechtlichen Belangen, in Wohnungsfragen, bei der Neuorganisation des Alltags. 23 Prozent der Ratsuchenden standen noch vor der Trennung oder mittendrin. Fragen zur Trennungsbewältigung und zum Kindeswohl standen im Vordergrund.
Finanziell geht es vielen Alleinerziehenden schlecht, weil sie oft nur in Teilzeit arbeiten können: 35 Prozent der Ratsuchenden befanden sich im Sozialhilfebezug, 15 Prozent hatten einen Erstantrag gestellt. 23 Prozent kamen ohne staatliche Hilfe aus. „Was aber nicht heißt, dass sie keine Geldsorgen haben. Oft liegen sie knapp unter der Unterstützungsgrenze“, so die Beraterinnen.
Mülheimerinnen finden: „Anlaufstelle ist ein Paradies“
Die „Anlaufstelle für Alleinerziehende“ sei wichtig für Menschen in allen Trennungsphasen. Jeder Fall sei dabei anders. „Wir können den Menschen helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern und Struktur in ihre bürokratischen Angelegenheiten hineinzubringen“, so Désirée Növermann und Belma Idrizi. Antje Buck Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, lobt die Arbeit der Beratungsstelle: „Das ,Lebensmodell alleinerziehend‘ darf nicht als Marginalie vernachlässigt werden, es betrifft so viele Familien in Mülheim.“ Mithilfe von struktureller Unterstützung und gezielter Intervention könne man wirkungsvoll helfen.
Sabrina und Marietta möchten die „Anlaufstelle für Alleinerziehende“ nicht missen. „Das ist ein Paradies. So etwas sollte es in jeder Stadt geben“, finden sie und bedauern: „Schade, dass viele Frauen gar nicht wissen, dass es die Beratungsstelle gibt und dass dort ganz individuell für jede Alleinerziehende nach Lösungen gesucht wird.“ Das Modellprojekt müsse unbedingt verlängert werden.
Die „Anlaufstelle für Alleinerziehende“ am Löhberg 72 ist zu erreichen unter Telefon 455-1547 und -1548 oder alleinerziehend@muelheim-ruhr.de. Infos sowie einen Wegweiser für Alleinerziehende findet man auf www.muelheim-ruhr.de
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