Mülheim. „Ich will arbeiten, aber ich habe Kinder“. Das gilt auch für Kerstin. Sie ist alleine mit drei Kindern und will zurück auf den Arbeitsmarkt.
Nach außen wirken sie abgeklärt, geben sich zunächst verschlossen, haben dicht gemacht und sich in ihren Kokon, der ihnen vermeintlich Schutz und Sicherheit bietet, zurückgezogen. Mit den Hilfsangeboten, die ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt erleichtern sollen, scheinen sie beinahe abgeschlossen zu haben. Jobcenter - manche zieht genervt die Augenbrauen hoch. Ihr Leben dreht sich um die Kinder, die sie alleine großziehen. Und auch ihre Familie müssen sie alleine durchbringen. Frauen wie Kerstin, Nicola und Tina haben diese Erfahrungen tief geprägt, das merkt man ihnen an. Frauen wie ihnen Mut zu machen, sie zu ihrer inneren Stärke zurückzuführen und so wieder am Arbeitsmarkt teilhaben zu lassen, ist das Ziel des Jobcenter-Projekts „EmpowerMom“. Dafür dürfen sie auch mal „out of the box“ denken.
Nicht nur das Wording, der Sprachgebrauch, erscheint hier modern, auch die Herangehensweise ist alles andere als verstaubt. Coaching erfahren die Frauen hier mit Terminen zu Selbstreflexion, achtsamer Kommunikation, Selbstfürsorge, Identitätsstärkung, Kompetenzentwicklung und zur Stärkung der Resilienz. Letzteres steht an diesem Mittwoch an.
Alleinerziehende aus Mülheim: „Ich erlebe viel Gegenwind in der Gesellschaft“
„Legen Sie mal eine Hand auf ihr Brustbein und spüren Sie da hinein. Und dann fangen Sie langsam an, mit der flachen Hand zu klopfen.“ Brigitte Otto, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt und ausgebildete Coachin, leitet eine Resilienzübung an und erklärt im Nachhinein: „Diese Übung kann einen Cut bedeuten und zieht mich für ein paar Momente raus aus dem Gedankenkarussell. Sie hat auch einen körperlichen Effekt: Man hat nicht mehr so viel Adrenalin im Körper.“ Adrenalin im Körper, gehörig unter Stress zu stehen, das kennen die Mütter, die an der Workshop-Reihe teilnehmen, nur zu gut.
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So sehr sie als Löwenmütter für die Belange ihrer Kinder einstehen, so wenig tun viele Alleinerziehende für sich selbst. „Keiner ist ohne Grund beim Jobcenter“, greift Brigitte Otto etwaigen Vorurteilen vor. Nicola, die eigentlich anders heißt, hört man deutlich an, dass ihre Seele stark unter dem gelitten hat, was in den vergangenen Jahren ihr Job war. Doch sie ist sicher: „Der Workshop hier kann mich nach vorne bringen. Und nicht nur mich: Ich finde es so wichtig, dass gerade Frauen wieder mehr miteinander verknüpft sind und füreinander da sind - bei dem ganzen Gegenwind in der Gesellschaft.“
Ehemalige Krankenschwester aus Mülheim über die Belastung: „Ich habe lange Zeit geschwiegen“
Diesen Gegenwind wird sie mehr als ein Mal erfahren haben, als sie sich eingestanden hat, dass sie aufgrund der vielfältigen Belastungen nicht mehr als Krankenschwester in der außerklinischen Betreuung von beatmungspflichtigen Patienten arbeiten kann. „Die letzten Jahre habe ich junge Patienten betreut, die jünger waren als ich“, schildert die 48-Jährige die emotionale Last. Jetzt aber, sagt sie, sei sie bereit, nach vorne zu gucken: „Ich bin für vieles offen, es muss zu mir passen und ich möchte mich dabei weiterentwickeln können, um das auch meinem Sohn mitgeben zu können.“
Es sei nicht alles schwarz im Leben, versuchen die Workshop-Leiterinnen des Mülheimer und des Oberhausener Jobcenters Mut zu machen. Der immense Erfahrungsschatz sei es, mit dem die Mütter bei potenziellen Arbeitgebern punkten könnten. Doch bis die Teilnehmerinnen so resilient seien, so viel Stärke aufgebaut hätten, um damit aktiv für sich zu werben, sei es mitunter ein weiter Weg. Brigitte Otto wirbt fürs Durchhalten: „Resilienz kann man ausbilden wie Muskeln, die man auch trainieren muss. Wir wachsen an jeder Situation, die wir schon geschafft haben.“ Das kann Nicola, die gelernte Krankenschwester nur bestätigen: „Viele sprechen nicht darüber, was sie erlebt haben - daran erstickt man. Ich habe auch eine lange Zeit geschwiegen.“
Schon der wöchentliche Termin stellt manche Alleinerziehende vor Herausforderungen
Allein schon der wöchentliche Termin Mittwochsvormittags stelle für manche eine Hürde da, hat Brigitte Otto in Gesprächen erfahren. „Ich frage dann: Wieso können sie in der Zeit nicht weg? Ihr Kind ist doch im Kindergarten oder in der Schule.“ Damit die Teilnehmerinnen auch wirklich kommen können, haben die Veranstalterinnen einen Shuttle vom Mülheimer Jobcenter nach Oberhausen, wo einige der Termine im Zentrum für Ausbildung und Qualifizierung stattfinden, organisiert.
Auch an diesem Mittwoch war es nicht für jede der Teilnehmerinnen einfach, zum Treffen zu kommen, das diesmal in den Räumen der Anlaufstelle für Alleinerziehende am Mülheimer Rathausmarkt stattfand. Kerstin, die anonym bleiben möchte, erzählt, dass ihr Sohn heute krank zu Hause sei. „Für mich wäre es einfacher gewesen, den Hörer in die Hand zu nehmen und für heute abzusagen. Er ist doch erst acht, das ist für mich noch klein“, sagt die 45-Jährige. Heute hat sie sich überwunden, ihn für die rund vier Stunden des Workshops alleine zu lassen - „er hat das Telefon am Bett liegen und kann mich jederzeit anrufen.“ Ein großer Schritt, eine starke Entscheidung, darin bestärken sie die anderen Teilnehmerinnen. Und das, obwohl Kerstin erzählt, dass sie niemanden habe, „keine Familie, die sich um meinen Sohn kümmern kann. Und meine Freunde, denen ich das Kind anvertrauen würde, kann ich an einer Hand abzählen.“
Alleinerziehende aus Mülheim sehen sich mit Vorurteilen konfrontiert
Als Alleinerziehende sehe sie sich regelmäßig Vorurteilen gegenüber: „Ich höre so oft: Du bist alleinerziehend? Dann werden deine Kinder sowieso abrutschen. Da kriege ich die Wut, wenn es heißt, dass Alleinerziehende ihre Kinder nicht auf die richtige Bahn setzen können.“ Ihre große Tochter, inzwischen 26 Jahre alt, sei der Gegenbeweis: „Sie hat Abitur gemacht, dann ihre Ausbildung zur Zerspanungsmechanikerin super abgeschlossen und kann sich heute aussuchen, wo sie arbeitet.“
Auch Tina kennt solche Vorbehalte, die ihr als Mutter entgegen stoßen. Das EmpowerMom-Programm, das über zwölf Termine geht, sei ihre ganz persönliche kleine Flucht: „So komme ich wenigstens einmal in der Woche raus. Mein Sohn ist jetzt 17 und ich will zurück ins Berufsleben.“ Dass sie aus den Workshops etwas für sich mitnehmen wird, davon ist die 43-Jährige, die vor Jahren in einer Arztpraxis gearbeitet hat, überzeugt, aber: „Es umzusetzen, wird schwierig.“
Die eigenen Bedingungen einfordern - das funktioniere wegen der aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt
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Dabei böte der aktuelle Arbeitsmarkt, auf dem viele Unternehmen händeringend nach Mitarbeitenden suchen, gerade Chancen für Neu- oder Seiteneinstiege - eben dort dürfe man heute „out of the box“ denken, mal in eine ganz andere Richtung überlegen, motivieren die Workshopleiterinnen. Zudem eröffne die drängende Personalnot vieler Arbeitgeber die Möglichkeit, als Bewerberin individuelle Bedürfnisse einzufordern - wie etwa flexiblere und somit familienfreundlichere Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten.
Kerstin ist noch nicht zu hundert Prozent überzeugt und meint: „Ich habe sowieso keine Chance, wenn ich sage, dass ich drei Kinder habe.“ Wenn sie ihre Einstellung wandeln könne von „Ich will arbeiten, aber ich habe Kinder“ zu „Ich will arbeiten und ich habe Kinder“, sei das der erste Schritt, um sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren, ermuntert Lina Spliethoff vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf Competentia, sich nicht als Bittstellerin zu sehen. Um den Teilnehmerinnen zu dieser inneren Stärke zu verhelfen, schließen sich an die Gruppensitzungen noch Einzelcoachings an.
Weitere Informationen beim Zentrum für Ausbildung und Qualifizierung (ZAQ) 0208 / 85 000 4327, aosterhoff@zaq-oberhausen.de Anfrage auch möglich per Whatsapp: 0162/174 10 92.
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