Mülheim/Ruhrgebiet. Die IG Metall hatte zum Warnstreik gerufen. Rund 2000 wild entschlossene Kollegen aus Mülheim, Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen machten gern mit.
Sie sind laut - und sie sind wild entschlossen: Knapp 2000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der Metall- und Elektroindustrie in Mülheim, Essen, Oberhausen und Gelsenkirchen demonstrieren am Mittwoch beim Warnstreik in Mülheim Kampfbereitschaft. Sie erwarten einen deutlich besseren Tarifabschluss, als ihn die Arbeitgeber bislang angeboten haben. Mit Pfeifen und Trommeln machen sie Krach, mit Bengalos hüllen sie den Rathausmarkt in roten Rauch. „Wir haben keine Lust mehr, uns abspeisen zu lassen und am Monatsende jeden Cent zweimal umzudrehen“, ruft Ömer Yücel von der IG Metall Gelsenkirchen ins Mikro, stellvertretend für Dutzende Azubis, die sich vor der Bühne aufgebaut haben.
Die gestiegenen Kosten für das ganz normale Leben treiben viele Teilnehmer der Kundgebung um: „Alles wird teurer, nächstes Jahr steigen noch die Beiträge für die Krankenkasse - wo soll das enden?“, fragt Marco Krause, der beim Gelsenkirchener Automobilzulieferer ZF im Prototypenbau arbeitet. Für den 51-Jährigen ist das, was die Arbeitgeber anbieten, nur „ein Witz“.
„Rechnet man nach, landet man auf lange Sicht nicht mal bei einem Prozent mehr“, so ein Demo-Teilnehmer
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1,7 Prozent mehr ab Juli 2025, weitere 1,9 Prozent ab Juli 2026 - für eine Laufzeit von 27 Monaten: Dieses Angebot bringt hier alle auf. Für den (zufällig namensgleichen) ZF-Kollegen Oskar Krause ist die Laufzeit „der allergrößte Witz“. Rechne man nach, lande man auf lange Sicht nicht mal bei einem Prozent mehr, sagt er. „So ein großer Konzern muss auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen. Wir sprechen hier von Gelsenkirchen, da hat die AfD 17 Prozent. Da kotzt die Demokratie doch“, so der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende (60).
Janina Schauerte und Marcus Laws kommen aus Oberhausen, arbeiten für MAN Energy Solutions. Die 39-Jährige hat sich jüngst über eine Nachzahlung für ihre privaten Stromkosten geärgert: „Das hat mit dem Homeoffice zu tun“, davon profitiere der Arbeitgeber. „Auch am Personal wird gespart, man muss immer mehr Arbeit leisten“, so die Angestellte aus dem Engineering-Service. Ihr Kollege (47) aus der Logistik fordert, „dass gute Arbeit gut bezahlt werden muss“. Man helfe dem Unternehmen schließlich beim Einsparen von Kosten, im Gegenzug müsse man am Erfolg beteiligt werden.
Drei Verhandlungsrunden liegen hinter den Beteiligten, am 11. November geht es in Hamburg weiter
Demonstration der IG Metall in Mülheim
Danach aber sieht es aktuell noch nicht aus, macht IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler deutlich: Drei Verhandlungsrunden liegen hinter den Beteiligten, am 11. November geht es in Hamburg weiter. Den Arbeitgebern liege daran, schnell fertig zu werden - „das kann man mit uns auch haben, aber nicht um jeden Preis“. Was sie bislang geboten hätten, sei „zu wenig, zu lang, zu spät“. Die Gewerkschaft hofft auf sieben Prozent mehr Gehalt sowie ein monatliches Plus von 170 Euro für die Azubis, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Wenn eine Einigung ausbleibt, „gibt es einen Knatsch, den die Republik so noch nicht gesehen hat“, kündigt Giesler an. Es sei doch eindeutig: Wer mehr auf dem Konto habe, könne mehr ausgeben. Mit den vier Millionen Menschen, die in der Metall- und Elektroindustrie arbeiten, könne man die Wirtschaft ankurbeln, „das wäre das größte Konjunkturprogramm überhaupt“.
Um Einblick in die Verhandlungen zu gewähren, haben Giesler und seine Mitstreiter diesmal auch Kollegen mitgenommen, die noch nie dabei waren. „Mancher denkt ja, wir trinken im Hinterzimmer fünf Gläser Wein, rauchen drei Zigarren und dann ist die Sache erledigt. Das ist aber leider nicht so.“ Einer der Teilnehmer habe hinterher ernüchtert festgestellt: „Ich weiß ja, dass die Arbeitgeber jammern. Aber dass sie so sehr jammern, konnte ich mir nicht vorstellen.“ Laut dem Gewerkschafter gab es bislang kein ernstzunehmendes Angebot, „es fehlt an Wertschätzung für die Belegschaften“. Diese hätten in jeder Krise durchgehalten, die Inflation durchlitten - das müsse sich nun endlich auszahlen.
„Wir brauchen die sieben Prozent mehr Lohn, die Haushaltskosten sind hoch“
„Wir brauchen die sieben Prozent mehr Lohn, die Haushaltskosten sind hoch“, sagt auch Max Paulus aus der Gehäusefertigung bei Siemens Energy in Mülheim. Gemeinsam mit Kollegen aus rund 40 Betrieben erhebt der 37-Jährige an diesem Tag seine Stimme. Die Veranstalter sprechen von rund 2000 Teilnehmern, die sich bei Siemens Energy im Hafen versammelt haben und via Konrad-Adenauer-Brücke Richtung Innenstadt gezogen sind. Darunter auch Dirk Steinbach (55) aus Essen. Er ist Abteilungsleiter und Betriebsrat bei Voith, einem Hersteller für hochelastische Kupplungen. Und will unbedingt flexibles Weihnachts- und Urlaubsgeld verhindern. „Wir schreiben große Gewinne, da muss man die Mitarbeiter beteiligen.“
Auch die Azubis sollten deutlich besser dastehen, verlangt IG-Metall-Mann Giesler. „In der Coronazeit wurden in der Metall- und Elektroindustrie 25 Prozent der Ausbildungsplätze gestrichen.“ Man habe so selbst massiv zum Fachkräftemangel beigetragen. „Es kann nicht sein, dass die Azubi-Vergütung nur noch Mittelmaß ist - wer die Besten haben will, muss auch die besten Löhne zahlen.“ Die Trillerpfeifen der Jugend schrillen an dieser Stelle besonders laut, der Beifall ist groß. Ganz ohne Hoffnung ist die Sache indes nicht. Schon vor der Demo hatte Jörg Schlüter, Erster Bevollmächtigter der hiesigen IG Metall, diesen Punkt positiv bewertet: Die Arbeitgeber seien für eine überproportionale Erhöhung der Vergütung durchaus offen. „Konkret sind sie aber noch nicht geworden.“
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