Mülheim. Welche Eingriffe sind noch sinnvoll bei sehr alten Menschen? Im EKM Mülheim standen Chefarzt und Patientin (101) vor einer schweren Entscheidung.

Atmen, sprechen - leben. Für Lilo O. ist das jetzt wieder möglich. Gut gelaunt sitzt sie in einem Rollstuhl. Dann drückt sie ihren schmalen Körper hoch aus dem Sitz. Sie möchte den Mann herzlich umarmen, dem sie für seine professionelle Hilfe dankbar ist: Hamza Ademi, Chefarzt der Kardiologie am Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM).

Ademi hat bei ihr einen ungewöhnlichen Eingriff vorgenommen. Eine Herzklappe, die extrem verengt war, wurde mithilfe eines Ballons geweitet. Für Operateur wie Patientin sei es „ein sehr hohes Risiko“ gewesen, erklärt Ademi. Denn Lilo O. ist schon 101 Jahre alt. Gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Sohn wurde die Entscheidung, die OP zu wagen, nach intensivem Abwägen getroffen. Momentan sind alle damit sehr glücklich.

Mülheimerin (101) litt unter schwerer Atemnot

Mit dem Rettungswagen war die hochbetagte Mülheimerin am 26. Juli in die Notaufnahme des EKM gebracht worden, morgens um 4 Uhr. Sie litt an akuter Luftnot: „Ich dachte, ich ersticke.“ Ihre Lungen seien voller Wassereinlagerungen gewesen, berichtet der Chefarzt, die zunächst medikamentös behandelt werden mussten. „Sie hatte fast jeden Abend Erstickungsängste. Ohne Sauerstoffzufuhr ging es gar nicht mehr.“

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Sein Wunsch wäre gewesen, der Patientin gleich eine künstliche Aortenklappe einsetzen zu lassen, erläutert Hamza Ademi. Diese Operationen führe das EKM-Team nicht mehr selber durch, da es am Krankenhaus keine herzchirurgische Abteilung gibt. Vielmehr würden die Kranken ins Herzzentrum Duisburg überwiesen. „Das wollte sie aber nicht mehr.“

Herzeingriff mit Ballonkatheter unter örtlicher Betäubung

Angesichts ihres Zustandes hätte es dann nur noch drei Alternativen gegeben: Aufnahme in einem Hospiz, ambulante Palliativversorgung zu Hause oder eine sogenannte Ballonvalvuloplastie, zu der man sich letztlich entschloss. Den Eingriff führe er ansonsten gar nicht mehr durch, ergänzt der Kardiologe. Herzklappenersatz sei der übliche Weg. Dies ist heutzutage schon minimalinvasiv möglich, ohne den Brustkorb zu öffnen.

Auch Lilo O. wurde schonend, unter örtlicher Betäubung, operiert. Der Katheter wurde durch eine Leistenarterie zum Herzen geführt. Der Eingriff gelang. Die Patientin sei nicht geheilt, betont der Chefarzt, „doch ihr Leid ist gelindert.“ Lilo O. bestätigt das und strahlt: „Ich kann wieder wunderbar atmen, laut sprechen, wie Sie hören, und sogar singen.“ Ihr wurde jedoch auch gesagt, dass es wieder schlimmer werden kann.

Patientin ist nicht geheilt, aber ihr Leid gelindert

Es könne sein, dass die Patientin nun ein halbes oder gar ein ganzes Jahr Ruhe hat, meint Hamza Ademi. Falls die Beschwerden wieder auftreten, entscheide sich die Patienten vielleicht beim nächsten Mal doch für eine künstliche Herzklappe - eine OP, die selbst bei 90-Jährigen schon Standard sei, so der Chefarzt. „Die Bevölkerung wird älter, und die Medizin wird auch immer besser. Wir lernen mit.“

Lilo O. lebt seit mehr als sechs Jahrzehnten in Mülheim-Saarn, mittlerweile ist die 101-Jährige mit ins Haus ihrer Tochter gezogen, sie hatte bislang Pflegegrad drei, konnte in der Wohnung noch ohne Rollator laufen. Momentan bemüht sich die Pflege- und Sozialberatung im EKM, für die Seniorin einen Kurzzeitpflegeplatz zu finden - „um der Familie etwas Luft zu verschaffen“, so eine Sprecherin des Krankenhauses. In einigen Wochen möchte sie wieder nach Hause ziehen, das ist ihr großer Wunsch.

Mülheimer Chefarzt möchte alten Menschen Angst vor OP nehmen

Für Chef-Kardiologe Hamza Ademi ist die 101-jährige Patientin ein mutiges, positives Beispiel. Er möchte eine „Herzensbotschaft“ vermitteln, wie er sagt: „Auch wenn sie schon sehr alt sind, müssen Menschen keine Angst haben, in eine Klinik zu gehen. Warum dahinsiechen, sich quälen? Wir können mit überschaubarem Aufwand viel machen und die Lebensqualität deutlich verbessern, auch noch in der Endphase.“

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