Mülheim. Noch vor einem Jahr diente Mülheims Peisberghalde fürs kurze Gassigehen mit dem Hund. Heute bieten vielfältige Pflanzen und Tiere ein Erlebnis.
„Miieeo - miiiieeo“ - hier miaut der Mäusebussard, es „hi-hüpft“ das Heupferd, hier wiegen sich Beifuß und das rote Strauchgras im Sommerwind. Und alles summt, piept und schwirrt so emsig, dass man eines fast vergessen könnte: das helle Rauschen der Aktienstraße. Auf Stippvisite im Naturerlebnisraum Peisberg - mitten in der Stadt.
Vieles scheint zwischen Winkhauser Weg und Elisabeth-Selbert-Straße aufgegangen zu sein, was die Stadt vor gut einem Jahr auf der ehemaligen Schlackenhalde angestoßen hat. Auf der nährstoffarmen Fläche zwischen Schotter und Stein haben sich viele Pflanzen entwickelt, die das genau so brauchen: Um den gelben Wiesen-Pippau, die bizarr wirkende wilde Karde und den Wasserdost, um die Ackerwitwenblume und Wilde Möhre tummeln sich jede Menge Insekten, Bienen.
Mülheimerin: „Mir gefällt vor allem, wie die Natur hier eingebunden ist“
Und sehr häufig auch Kindergruppen, hat eine junge Frau beobachtet, die regelmäßig mit ihrem Hund hier ein Ründchen dreht. Denn die können an den Pflanzen entdecken, was Bienen, Libellen und Co. den lieben langen Tag so tun.
An diesem Morgen in den Sommerferien sieht man zwar nicht viele Kinder, doch man kann die vergangenen Besucher am niedergebeugten Gras erahnen, das in Trampelpfaden zu einem kleinen Blütensaum am Rand eines Wäldchens mit Birken und Espen führt - die Pioniere eines Waldes. Und der wächst peu à peu - eben in seinem eigenen Tempo. „Mir gefällt der Peisberg richtig gut“, meint die Frau, „vor allem, wie hier die Natur eingebunden ist.“
Viel Sorgfalt haben die Stadt Mülheim und die Biologische Station Ruhr-West (BSWR) gerade darin investiert, möglichst wenig zu machen. So paradox das auch klingen mag. Denn so teilt sich mit, was viele Städter ansonsten kaum mehr in ihrem Quartier erleben können: unberührte Natur.
Raum zum Verstecken spielen und Schutz für Tiere
Ein paar kniehohe Steinquader sind im Kreis gelegt, um dort zu sitzen oder zu balancieren. Einen festen Unterstand gibt es für alle Fälle ein paar Meter weiter. Und auf einigen Tafeln wird zum Beispiel erklärt, was sich beobachten lässt. Oder dass man im jungen Wäldchen natürlich prima Verstecken spielen und toben kann, aber dort auch Vögel ihren Schutz suchen.
Aber ansonsten soll alles so bleiben, wie es gerade ist. Eine artenreiche Industrienatur, die das Rückgrat der biologischen Vielfalt bildet, hatte Peter Keil, Leiter der BSWR, zur Eröffnung vor einem Jahr in Aussicht gestellt. Denn zuvor war der Peisberg nicht mehr als eine sich selbst überlassene Brache und für manche ein günstiges Versteck für den eigenen Sperrmüll.
Unberührte Natur hat ihre Grenzen
Seit aber der Naturerlebnisraum eröffnet wurde, scheint das Vergangenheit - zumindest weitestgehend: Irgendwo hat jemand trotzdem einen Einkaufswagen abgestellt.
Müll, den man in Parks anderswo üblicherweise herumliegen sieht, findet man auf den ersten Blick ebenso wenig wie Mülleimer. Dabei war die Entscheidung gegen solche Behälter nicht unumstritten. Anwohner befürchteten deswegen sogar eine zunehmende Vermüllung. Bewahrheitet scheint es sich nicht zu haben, wenn auch ein paar zertretene Zigarettenkippen um einen Acker-Gauchheil herum liegen. Vielleicht liegt der piekfeine Zustand auch daran, dass die umliegenden Kitas und Anwohner dafür ehrenamtlich Sorge tragen.
Mit gut 200.000 Euro aus EU-Fördermitteln hat die Stadt Mülheim das ehemalige Steinbruch- und Ziegeleigelände wieder attraktiv gemacht. Doch die „unberührte“ Natur hat auch Grenzen: Manche Pflanze droht sich hier breit zu machen, die Grenzen bräuchte, um die Vielfalt zu bewahren. Japanischer Staudenknöterich, Essigbaum oder Sommerflieder - obwohl sich dort just eine Traube Schmetterlinge zum Mittagessen niedergelassen hat. Solche „invasiven Neophyten“ gibt es hier zwar schon seit etlichen Jahren, doch will man die aktuelle Vielfalt weiter halten, muss die Stadt immer wieder mal mit Spaten und Heckenschere ran.
Mit Pflegekosten von 10.000 Euro im Jahr hat Mülheim deshalb kalkuliert, zudem rechnet die Stadt mit weiteren 4000 Euro für Reparaturen und den Unterhaltungsaufwand etwa der Tafeln. Dafür erhält der Großstadtmensch jedoch ein Stück Natur - mitten im verkehrsreichen und hochversiegelten Eppinghofen.
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