Mülheim. Zur Wahl des Bundestagskandidaten zeigten sich Mülheims Grüne zerrissen wie nie. Die Entscheidung ist getroffen, Versöhnung aber nicht in Sicht.
Woran kann man erkennen, dass ein Riss durch eine Gemeinschaft geht? Vielleicht daran: Als Franziska Krumwiede-Steiner in der Mitgliederversammlung vor rund 120 Grünen eine leidenschaftliche Rede über Chancengleichheit und Rechtspopulismus hält, applaudiert nicht einmal die Hälfte. Oder daran: Als ihr Mitbewerber um die Bundestagskandidatur der Mülheimer Grünen, Björn Maue, nach einer ebenfalls engagierten finanzpolitischen Rede schließlich das Votum erhält, lässt gut ein Drittel im Saal die Hände unten.
Björn Maue ist am Montag zum Spitzenkandidaten der Mülheimer Grünen für die Bundestagswahl 2025 gewählt worden. Mit einem historisch wohl schlechtesten Ergebnis von 62 Befürwortern. Das sind etwa 53 Prozent, nur wenige Prozentpunkte über dem vorgegebenen Quorum.
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Der Bruch in der Mülheimer Partei könnte kaum größer sein
Doch selbst für Krumwiede-Steiner hatten sich nur 52 Wählende ausgesprochen. Der Bruch könnte daher kaum größer sein. Statt nach langem internen Zwist, mehreren Rücktritten in Partei und Fraktion, einer Europawahl, die in Mülheim kaum mobilisieren konnte, nun mit Versöhnung und einem starken Votum in das anstehende Wahlkampfjahr zu gehen, müssen der Parteivorstand und Maue in den nächsten Wochen mühsam die Scherben kitten, die diese Kampfabstimmung hinterlassen hat. „Zukunft erkämpfen“ hatten die Grünen auf das Rednerpult der Kandidierenden geschrieben. Das gilt nun auch für die Zeit danach.
Denn der Ärger ist bei einigen weiterhin groß über ein „bevormundendes“ Handeln des Vorstands bis zu angeblich „ungrünen“ Abläufen in der Mitgliederversammlung, wie etwa die Anzahl der Fragen an die Kandierenden zu reglementieren. Schon über die Regelung, eine Diskussion oder Aussprache zu den Tagesordnungspunkten nur auf Antrag zuzulassen, echauffieren sich manche basisdemokratischen Grünen lautstark.
Über viele neue Gesichter in der Versammlung zeigten sich ,die Alten‘ überrascht
Oder darüber, dass es frenetischen Applaus für abgelehnte Anträge gibt, dass Buh-Rufe gegen Ex-Vorstand Fabian Jaskolla laut werden, als die amtierende Vorstandsvorsitzende Annette Lostermann-de Nil ihrem Vorgänger vorwirft, es sei „intern nicht förderlich“, dass er mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit ging. Oder darüber, dass viele „neue Gesichter“ abgestimmt haben sollen, die kurzfristig aufgenommen worden seien.
Unbestritten ist, dass die Grünen in den vergangenen Monaten trotz Querelen 34 Parteimitglieder hinzugewonnen haben - das hatte zuvor der Vorstand als Erfolg vermeldet. Und manches Mitglied freute sich, dass so viele gekommen waren - „das habe ich mir gewünscht, dass alle kommen“. Doch gerade dieser Erfolg lässt bei manchen Mitgliedern nun Gerüchte brodeln. Ist so das Abstimmungsergebnis gesteuert worden? Der Nachweis wäre angesichts einer geheimen Wahl nur schwer möglich.
Versuch der Versöhnung: Maue und Krumwiede-Steiner mit gemeinsamem Appell
Dabei hatte es mehrere Ansätze zur Versöhnung gegeben: Noch am Sonntag wendeten sich Maue und Krumwiede-Steiner gemeinsam mit einem Appell an die Parteimitglieder: „Die Stärke einer Partei oder eines Kreisverbandes leitet sich daraus ab, wie und ob man nach einem Streit wieder zusammenrücken kann. Und genau das wollen wir zusammen erreichen.“
Die zweite Hand der Versöhnung streckte zur Mitgliederversammlung in der Alten Dreherei die Mülheimer Grüne und ehemalige Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens aus. Sie schlug vor, doch beide Kandidaten zur Abstimmung auf Bezirksebene vorzuschlagen. Krumwiede-Steine würde dort auf der Frauenliste stehen, Maue auf der offenen Liste - keine Konkurrenz, sondern doppelte Chancen für Mülheim, zumindest aus Sicht von Steffens. Und vor allem sei damit kein Kandidat beschädigt.
Für Versöhnungsangebot von Ex-Gesundheitsministerin Steffens gab es keine Mehrheit
Was jedoch folgte, war eine Gegenrede des Fraktionsvorsitzenden Timo Spors. Sein Argument: Gerade weil die Grünen für 2025 zur Bundestagswahl mit deutlich weniger Stimmen und somit Parlamentssitzen rechnen müssen, müsse ein kleiner Kreisverband wie Mülheim „mit einer einigen und starken Stimme im Bezirksverband tätig sein, um das Mandat halten zu können“.
Das Mandat schon, aber offenbar nicht die Mandatsträgerin mit Amtsbonus, wie sich dann zeigte. Für Steffens Versöhnungsangebot gab es keine Mehrheit. Der ehemalige Parteivorsitzende Fabian Jaskolla wurde anschließend am Rand der Veranstaltung gegenüber dem aktuellen Vorstandsmitglied Christian Strosing noch einmal scharf und warf ihnen vor: „Ihr habt die Hand zur Versöhnung ausgeschlagen.“ Strosing entgegnete: „Warum diese Feindseligkeit? Das war ein normaler demokratischer Prozess.“
Die Befürchtung, die Wahl würde am Ende beide Kandidierenden beschädigen, sehen nun manche Mitglieder bestätigt: Franziska Krumwiede-Steiner droht im politischen Sinne eine „lame duck“ zu werden - also eine, die ihr Amt nur noch absitzen kann, weil sie in einem Jahr nicht wiedergewählt würde. Und ob Wahlsieger Björn Maue - mit diesem alles andere als „einigen und starken“ Votum aus dem Kreisverband - das Mülheimer Mandat im Bezirksverband wird verteidigen können, scheint fraglich.
Die Zukunft der Mülheimer Grünen: Das sagen Gewinner und Verliererin
Gegen die „lahme Ente“ wehrt sich Krumwiede-Steiner im Gespräch mit der Redaktion: „Ich akzeptiere das Votum. Ich lasse mich dadurch aber nicht ausbremsen, bin weiterhin ,all in‘ in Berlin und will durch Leistung die Mitglieder überzeugen, die nicht für mich gestimmt haben.“ Beide Kandidaten stünden für die Werte der Grünen, so die Bundestagsabgeordnete.
Auch Björn Maue ist sich seiner Aufgabe bewusst, schlägt nachdenkliche Töne an: „Die Abstimmung sei für die Kandidatur nicht dramatisch, aber es ist wichtig, dass diese Knappheit nicht in einen scharfen, langfristigen Kampf mündet. Es geht darum, wieder ein Momentum in der Partei zu entwickeln und in der Gesellschaft wieder ein Momentum für grüne Themen zu entwickeln, die Menschen mitzunehmen. Für mich, ehrlicherweise, ist das gerade das Wichtigste, nicht die Vergangenheit.“
Auch seine Ex-Mitbewerberin Krumwiede-Steiner will Maue nach Kräften unterstützen: „Der Erfolg von Franziska in Berlin ist unser aller Erfolg.“
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